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Das älteste Kino

23. August 2009

Lumiere, Edison, die Brüder Skladanowsky – das sind die Namen, die man mit dem Beginn des Kinos verbindet. An die Stadt Szcecin denkt man nicht. Dennoch steht hier, unweit der deutschen Grenze, das älteste Kino der Welt.

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Der Kinosaal. Foto: Jerzy Miśkiewicz
Bald 100 Jahre alt: Der Kinosaal des "Kino Pionier"Bild: Jerzy Miskiewicz
Else Rezjenska, eine pensionierte Lehrerin, lächelt. Denn sie kennt es gut: Das Kino Pionier – das heute älteste Kino der Welt. Hier wurden ohne Unterbrechung Filme gezeigt, nur wenn das Kino mal renoviert werden musste, schloss es seine Pforten, erzählt sie nicht ohne Stolz. Sogar während der zwei Weltkriege gab es im Kino Pionier immer Filme zu sehen. "Also, es war immer ein kleines und gemütliches Kino", schwärmt die fröhliche Mittsechzigerin. "Eigentlich nichts Besonderes. Hier sind wir immer sehr gerne hin gegangen. Früher mit meinen Freundinnen, später mit meinen Kindern und heute mit meinen Enkeln." Eingeschworene Cineasten, wie Else Rezjenska, lassen auf das Kino Pionier nichts kommen, für sie ist das Stettiner Kino ein echtes Wunder. Ein Ort voller sentimentaler Romantik.
Kino Pionier, Fassade. Foto: Jerzy Miśkiewicz
Innen alt, außen neu: Eingang des ältesten Kinos der WeltBild: Jerzy Miskiewicz

Gegründet wurde das Kino Pionier, das damals noch Helios hieß, am 26. September 1909 von Albert Pitzke, einem Mann aus den besseren Kreisen, wie es heißt. In einer vergilbten Anzeige der Stettiner Abendpost wird von einem Sensationsprogramm geschwärmt, und vom hervorragenden Kunstfilm der Gegenwart. "Der Kampf um den Glauben. Pick und Pock. Die Smaragdküste der Bretagne". Das waren die ersten Filme, die man in dem Kinematographen - Theater in der früheren Falkenwalder Straße sehen konnte. Schräg gegenüber der Hauptpost, mitten im Zentrum im damals noch deutschen Stettin. Zu einer Zeit als in Deutschland noch ein Kaiser regierte und der Eintritt gerade mal zwei Groschen kostete.

Die Augen des Kinoliebhabers Jerzy Miskiewicz strahlen. 1999 hat er das Kino Pionier in einem völlig ramponierten Zustand erworben. Es standen nur noch ein Dutzend klapprige Holzstühle drin, es gab lediglich eine Ofenheizung und alles war vollkommen marode. In dreijähriger und mühsamer Kleinarbeit hat er ein plüschiges Kleinod draus gemacht, und das älteste Kino der Welt vorm Untergang gerettet.

Guinness Buch der Rekorde

Kino Pionier, innen. Foto: Jerzy Miśkiewicz.
Café und KinoBild: Jerzy Miskiewicz

Bereits zu sozialistischen Zeiten war Jerzy Miskiewicz der Filmdirektor eines polnischen Verwaltungsbezirks, und Chef über 100 Kinos. Doch eins konnte er nie von sich behaupten: Chef eines eigenen Kinos zu sein. In der Sowjetunion war das schlicht unmöglich und ein Tabu. Denn vor 1989 durfte man in Polen nicht einfach so ein Kino besitzen, und die Filme zeigen auf die man Lust hat.

Jetzt konnte sich Jerzy Miskiewicz nach mehr als 50 Jahren seinen heimlichen Traum erfüllen. Doch es ist noch mehr als das. Denn nun besitzt er nicht nur ein Kino, sondern gleichzeitig auch das älteste Kino der Welt. Stolz zeigt er auf die Wand, an der die Gold-gerahmte Urkunde der World - Record Company hängt. Besser bekannt unter der Bezeichnung: Guinness Buch der Rekorde.

Ohne Werbung, ohne Popcorn

Schon als Schuljunge rannte Jerzy Miskiewicz, so oft er konnte, ins Kino. Das befand sich in dem Dorf in dem er aufwuchs, auf einem alten Waggon, auf einem Abstellgleis. Irgendwo: zwischen Stettin und Danzig. In jeder freien Minute war er dort zu finden.

Das war früher. Jetzt ist aus dem kindlich begeisterten Filmfan, ein stolzer Kinobesitzer geworden. "Das ist doch ein sehr sympathischer Ort", sagt er. "Mann muss es außerdem auch mal so sehen: In Stettin gibt es nicht viel Altes. Und da ist es toll, dass es so was hier gibt." Während er das erzählt, ruckelt er wie ein kleiner Bub auf dem Stuhl hin und her. Wenn der Film beginnt, dann ohne Werbung, ohne Popcorn. Im Original mit Untertiteln.

Mittendrin: Ein alter Projektor

Historische Aufnahme ohne Datum. Foto: Jerzy Miśkiewicz.
Neben Wohnungen in einer Wohngegend in Stettin steht das älteste Kino der WeltBild: Jerzy Miskiewicz

Besonders stolz ist aber Jerzy Miskiewicz auf den zweiten Saal, die Kinarnia, ein Wortspiel aus Kino und Kivarnia, dem polnischen Kaffeehaus. Es ist ein kleiner, dämmriger, verrauchter Salon. Hier gibt es eine Bar, kleine runde Tische. Mittendrin ein alter Projektor. Neben der Leinwand steht ein braunes altes Klavier. Für die Stummfilme! Eben alles wie früher.

Hypermodern verglast

Im April 1943 wurde Stettin, von den Alliierten fast vollständig zerstört. Immer wieder tauchen jedoch im Gründerstil gehaltene - völlig intakte Straßenzüge auf. Eine Bebauung, die sehr an den Prenzlauer Berg in Berlin erinnert. Kein Zufall. Der Stadtbaumeister James Hobrecht der die Berliner Innenstadt von 1859 bis 1861 entworfen hat, war vorher Stadtbaurat in Szcecin. In einer der preußisch geprägten Straßen befindet sich das Kino Pionier. An der Häuserwand - auf die sich durch die Kohleheizungen schwarze triste Schatten gelegt haben - ist noch der alte Stuck zu erkennen. Der Eingangsbereich allerdings ist modern verglast, und glänzt kontrastreich. Auf den ersten Blick ist daher überhaupt nicht zu erahnen, dass hier das älteste Kino der Welt zu Hause ist.

Alle sollen kommen

Am 26. September 2009 soll groß gefeiert werden. Denn dann wird sein Kino, sagt Jerzy Miskiewicz, 100 Jahre alt. Aufgeregt fuchtelt er mit den Armen rum. Alle sollen sie kommen. Die großen Filmemacher: Wie Andrzej Waijda oder Roman Polanski. Die großen Namen eben des polnischen Kinos. "Also es wäre schon toll, wenn sie alle kommen könnten. Natürlich müssten auch die Staatspräsidenten zusammenkommen. Die Frage ist nur, ob die hier alle Platz finden."

Den alten und ursprünglichen Namen Helios kann das Kino allerdings nicht wieder bekommen. Weil es mittlerweile ein Multiplex um die Ecke mit dem selben Namen gibt. Doch ob das so lange durchhält bezweifelt Jerzy Miskiewicz, und lächelt. Er ist der Kinodirektor eines echten Phänomens: Des Kinowunders von Szcecin.

Autor: Christoph Richter
Redaktion: Elena Singer