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Berliner Kinolegende

Bernd Sobolla/kg27. Februar 2009

Es hat Weltkriege überstanden und das große Sterben der Lichtspielhäuser: Das Berliner Moviemento ist das älteste deutsche Kino. Tom Tykwer lernte hier seinen Kameramann kennen. Nicht die einzige Geschichte des Hauses...

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Zeichnung des Moviemento von dem schottischen Maler Joe Alcorn (Foto: Bernd Sobolla)
Das Moviemento, wie es der schottische Maler Joe Alcorn siehtBild: Bernd Sobolla
Das Moviemento von außen (Foto: Bernd Sobolla)
Unscheinbarer Eingang zum geschichtsträchtigen OrtBild: Bernd Sobolla

Als das Lichtspieltheater 1907 gegründet wurde, waren gerade zwölf Jahre vergangen, seitdem die Filmpioniere Max und Emil Skladanowsky ihre ersten laufenden Bilder im Berliner Varietétheater "Wintergarten" vorgestellt hatten. Nach seinem Gründer Alfred Topp hieß das Filmtheater "Kinematographentheater Topp", woraus sich der Legende nach der etwas abschätzige Begriff Kintopp ableiten lässt. Der Name des Hauses am Kottbusser Damm wechselte oft: "Vitascope", "Hohenstaufen Lichtspiele", "Das Lebende Bild", "Tali" und seit 1984 "Moviemento".

Unikum in der Kinogeschichte

Auf der Leinwand im Moviemento wurden in 100 Jahren 1000 verrückte Filme gezeigt, aber die verrückteste Geschichte spielte sich hinter der Leinwand ab – die Geschichte des Kinos selbst, das in einem Eckhaus untergebracht ist. Von außen unscheinbar, bot es im Inneren lange eine Attraktion, den so genannten Spiegelsaal. Um einen Film in zwei Räumen gleichzeitig zu zeigen, wurde der Eckraum mit einer durchsichtigen Spezialleinwand geteilt: Im großen Saal sah man die Filme normal und im kleinen Saal seitenverkehrt. Deshalb hing seitlich hinter der Leinwand zusätzlich ein Spiegel, in dem man den Film seitengetreu sehen konnte – ein cineastisches Unikum, das bis Mitte der 70er Jahre existierte.

Wieland Speck, einer der Leiter des Moviemento (Foto: Bernd Sobolla)
Einer der Leiter des Kinos: Wieland SpeckBild: Bernd Sobolla

Illustre Programmmacher

1975 übernahm Manfred Salzgeber das Filmtheater und nannte es "Tali". Er machte aus dem Bezirkskino eines der ersten Programmkinos in Deutschland und zeigte vor allem Autorenfilme aus der ganzen Welt. Salzgeber ging bald pleite, aber ein junges Kollektiv führte seine Idee eines politischen Kinos jenseits des Mainstreams weiter. Zu dem Kollektiv gehörten unter anderem der heutige Berlinale-Panorama-Leiter Wieland Speck, der Produzent Elser Maxwell sowie Blixa Bargeld, der Anfang der 1980er Jahre als Sänger und Songschreiber die Kultband "Einstürzende Neubauten" gründete. Schnell entwickelte sich das Kino zu einem Treffpunkt der Alternativ-Szene.

Treffpunkt für die Pop-Szene

Auch Popgrößen wie David Bowie, Iggy Pop, Nina Hagen oder Rosa von Praunheim kamen vorbei. In dieser Zeit wurde das Filmtheater auch als Bühne genutzt, auf der erstmals in Deutschland schwul-lesbische Theatergruppen auftraten. Für diese schrieb wiederum Rio Reiser, Dauergast und Sänger der Rockband "Ton, Steine, Scherben", die Songs.

Mit der "Rocky Horror Picture Show", die am Kurfürstendamm gescheitert war, erlebte das Kino seinen größten Erfolg. Von der West-Berliner Insel aus eroberte der Film die ganze Bundesrepublik. "Es kamen wirklich Busse aus West-Deutschland, die durch die ganze DDR durchgetuckert waren mit 80 km/h, um dann hier die 'Rocky Horror Picture Show' zu sehen. Das war natürlich überwältigend für uns", erinnert sich Wieland Speck. In dieser Zeit, Ende der 70er Jahre, feierten die Kinomacher viel und investierten wenig. Als dann 1980 die Party vorbei war, war das Kino pleite.

Regisseur Tom Tykwer (Foto: Bernd Sobolla)
Stellte die Programme im Moviemento zusammen: Tom TykwerBild: Berns Sobolla

Tom Tykwer ging ein und aus

In der dreijährigen Übergangszeit arbeitete unter anderen Claus Boje als Filmvorführer im Haus, der später als Filmproduzent verantwortlich war für Kassenschlager wie "Wir können auch anders", "Herr Lehmann" oder "Sonnenallee". Mit Ingrid Schwibbe, die das Kino 1984 übernahm und "Moviemento" taufte, erlebte das Filmtheater eine Neugeburt. Vor allem als sie mit Tom Tykwer 1986 einen genialen Programmmacher fand. Der heute erfolgreiche Regisseur erinnert sich an die damalige Zeit zurück. "Ich bin hier hingekommen, war so 22 Jahre alt und habe einfach eine Liste gemacht mit meinen Lieblingsfilmen und Filmen, die ich unbedingt sehen wollte, und habe die einfach alle gespielt, und Hunderte von Leuten standen Schlange dafür", schwärmt der Regisseur. "Das war ein Schlaraffenland. Wir haben, das muss man sich mal klar machen, montags um 0.30 Uhr Doppelprogramme gemacht, teilweise in allen drei Kinos. Und es war immer voll."

Zukunft auch nach 100 Jahren

Im Moviemento lernte Tom Tykwer seinen späteren Kameramann Frank Griebe sowie Dani Levy kennen, dessen Debütfilm "Du mich auch" er dort vorführte. Außerdem traf er den Kinomacher Stefan Arndt. Tykwer, Levy und Arndt gründeten Mitte der 90er Jahre gemeinsam mit Wolfgang Becker die Firma X-Filme. Gemeinsam produzierten sie Welterfolge wie "Lola rennt" und "Good Bye, Lenin!". Ingrid Schwibbe leitete das Moviemento 23 Jahre lang. In dieser Zeit erlebte sie 1989 den Mauerfall, der viele Besucher aus Ost-Berlin ins Moviemento führt, und den Beginn des Multiplex-Zeitalters Anfang der 90er Jahre, der das Filmtheater an den Rand des Ruins führte. 2007 musste sie aus finanziellen Gründen das Moviemento verkaufen. Seither führt eine neue Kinomachergeneration Deutschlands ältestes Kino.