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Politik

"Das passt nicht zu unserem Freiburg"

Christoph Ricking
6. Dezember 2016

Der Mord an einer Studentin trifft das linksliberale Freiburg ins Mark. Der mutmaßliche Täter ist ein Flüchtling. Die Stadt ist fassungslos, vor allem Frauen haben Angst. Christoph Ricking berichtet aus Freiburg.

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Mord an Maria L. aus Freiburg Stelle des Gedenkens
Bild: DW/C. Ricking

Auf einer Breite von etwa drei Metern fehlt das Gestrüpp an der Uferböschung der Dreisam. An dieser Stelle, nur wenige Meter entfernt vom Stadion des SC Freiburg, entdeckte eine Joggerin am frühen Morgen des 16. Oktober die Leiche von Maria L. Die Obduktion ergab, dass die Medizinstudentin vergewaltigt wurde und dann im Fluss ertrank. Ob der Täter sie ertränkt hat, ist unklar. Maria L. wäre am Dienstag 20 Jahre alt geworden. Am Freitag war ein 17-jähriger Flüchtling, der 2015 aus Afghanistan nach Deutschland gekommen war, festgenommen worden. Er gilt als dringend tatverdächtig. Der Junge lebte bei einer gutsituierten Pflegefamilie. Ein Haar in dem Gestrüpp am Ufer brachte die Ermittler auf die Spur des mutmaßlichen Täters.

Die Anteilnahme ist riesig. Weil der Tatort zunächst abgesperrt war, wurden hier nur wenige Blumen abgelegt, jedoch etwa 100 Meter entfernt an einem Baum stehen Dutzende Kerzen und Blumen. An die Rinde sind Herzen und Briefe angepinnt. Auf einem Herz aus Papier steht: "Wir trauern um Dich. Wir denken an Deine Angehörigen und Freunde. Das alles passt nicht zu unserem Freiburg."

Keine Pauschalurteile

Seit dem Mord steht Freiburg unter Schock. Die 225.000-Einwohner-Stadt gilt als offen und liberal. Viele engagieren sich hier in der Flüchtlingshilfe. Auch Maria L. war bei einer studentischen Initiative für Flüchtlinge aktiv. "Es ist eine solche Tragik, dass sie jemand war, der sich engagiert hat für diese Menschen", sagt Christiana J., die hier täglich mit ihrem Hund spazieren geht. Sie wirkt fassungslos angesichts der Tat. Ihren vollen Namen will sie nicht in den Medien lesen. "Dass es ausgerechnet so jemand gewesen ist, dass hat alle hier sehr erschüttert."

Die Tat ist Wasser auf die Mühlen derer, die seit Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 das Klischee des Fremden bedienen, der in seinem Gastland kriminell wird und Frauen vergewaltigt und ermordet. Besonders im Internet entspann sich nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters eine teils von Hass getragene Diskussion. Die AfD bezeichnete Maria L. als Opfer der Willkommenskultur. Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon mahnte unmittelbar nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters, mit dem Ergebnis der Fahndung jetzt besonnen umzugehen und die Herkunft des Täters nicht für Pauschalurteile heranzuziehen, sondern den Einzelfall zu betrachten.

Mord an Maria L. aus Freiburg Stelle des Gedenkens
Wenige Meter von hier entfernt wurde Maria L. ermordetBild: DW/C. Ricking

"Es gibt viele vernünftige Stimmen, es gibt aber auch sehr viel Emotionales, was einfach auch hochkommt, was man vielleicht auch irgendwo verstehen kann", sagt Christiana J. "Viele Frauen haben einfach auch Angst."

"Es ist schlimm, egal wer es war, ob ein Deutscher oder ein Flüchtling", sagt Julia Reigers, die einen Kinderwagen auf dem Fußweg neben der Dreisam schiebt. "Aber für die politische Stimmung ist es natürlich schlimm, dass so etwas Krasses vorgefallen ist."

Nüchterner Blick auf die Willkommenskultur

Beim Gespräch mit Passanten über den Mord an Maria L., kommt die Rede oft auf den Fall von Carolin G. aus Endingen, einer Kleinstadt in der Nähe von Freiburg. Die 27-Jährige wurde im November bei Joggen vergewaltigt und getötet. Bislang ist unklar, wer hinter der Tat steckt. Hinweise, dass beide Taten etwas miteinander zu tun haben, gibt es nicht. Dennoch: Die Unsicherheit ist groß.

Dass die Stadt mittlerweile nüchterner auf die Willkommenskultur blickt, liegt auch an Meldungen seit Jahresbeginn, dass es vermehrt zu sexuellen Übergriffen durch Asylbewerber in Freiburger Diskotheken gekommen ist. Besonders der linksalternative Club "White Rabbit" hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil die Türsteher zeitweise keine Flüchtlinge mehr in den Club gelassen hatten. 

Ob dies Einzelfälle sind oder ein Trend, wird die Kriminalstatistik für dieses Jahr zeigen, die Anfang 2017 veröffentlicht wird. Derzeit verweist die Freiburger Polizei auf die Statistik von 2015: Demnach wurden Asylbewerber vor allem durch Schwarzfahren und Ladendiebstähle auffällig. Allerdings wurden nur 0,5 Prozent der sexuellen Gewaltfälle von Flüchtlingen begangen.

"Es gibt jetzt noch mehr Hass"

Auch Hassan Raid Kadhum macht der Mord an Maria L. fassungslos. Der 21-jährige Iraker kam vor einem Jahr über die Balkanroute nach Deutschland und wartet nun darauf, dass sein Asylantrag anerkannt wird. Freiburg sei eine tolle Stadt, die Menschen hätten die Flüchtlinge sehr freundlich aufgenommen. Nach dem Mord macht sich Kadhum jedoch Sorgen "Es gab schon vor dem Mord an dem Mädchen Hass gegen Flüchtlinge", sagt er. "Aber jetzt gibt es noch mehr Hass." Ihm ist wichtig, dass differenziert wird. "Es gibt überall schlimme Leute. Bei den Flüchtlingen und bei den Deutschen."

Nach den Anschlägen in Paris und nach den Übergriffen an Silvester hat Kadhum Gesicht gezeigt und in der Freiburger Innenstadt gegen Gewalt demonstriert. Das will er nun an diesem Freitag wieder tun. "Wir sind eine kleine Gruppe von Flüchtlingen, und wir sagen, wir sind nicht alle gleich. Wir wollen dort mit Kerzen stehen und auch sagen: Wir sind traurig."