1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sicherheitslage nach Terroranschlag

Matthias von Hein8. Januar 2015

Der Anschlag von Paris wirft auch die Frage nach der Sicherheit in Deutschland auf. Die Behörden sprechen von einer "hohen abstrakten Gefährdung". Als besonders gefährlich gelten Syrien-Rückkehrer.

https://p.dw.com/p/1EHbm
Mutmaßlicher Terrorhelfer wird 2008 von drei BKA-Beamten dem Haftrichter vorgeführt (Copyright: Ronald Wittek dpa/lsw)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Wittek

Wahrscheinlich ist es menschlich: Nach dem Schock, der Wut, und der Trauer über die Toten vom Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" hat sich auch in Deutschland ein Gefühl der Unsicherheit breit gemacht. Einige Zeitungen haben ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Insbesondere vor Redaktionen, die in der Vergangenheit Karikaturen der "Charlie Hebdo"-Zeichner gedruckt hatten, zeigte die Polizei größere Präsenz.

Polizeiwagen vorm Axel-Springer-Verlagsgebäude in Berlin (Copyright: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Polizeischutz für die PresseBild: Reuters/H. Hanschke

Dabei hat sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden durch den Anschlag in Frankreich die Bedrohungslage in Deutschland nicht geändert. Die Terrorgefahr wird weiterhin als "abstrakt hoch" beschrieben. Hinweise auf konkrete Anschlagspläne liegen nicht vor.

Absolute Sicherheit unmöglich

Gegen Anschläge wie den in Paris könne man sich kaum schützen, analysiert der Kriminologe Andreas Armborst von der Universität Leeds. "Solange es Terroristen gibt, die zu solchen Taten bereit sind, werden sie in einer freiheitlichen Gesellschaft immer eine Möglichkeit finden, so ein unverfrorenes Attentat durchzuführen", so das düstere Fazit Armborsts im DW-Gespräch.

Bislang hat es in Deutschland einen islamistischen Anschlag mit Todesfolge gegeben: Im März 2011 erschoss ein Kosovo-Albaner am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten. Allerdings gab es mehrere Attentatsversuche. Die schlugen entweder fehl oder sie wurden vereitelt. Die Gefahr wächst im Gleichschritt mit dem Wachstum der islamistischen Szene. Besonders hohen Zulauf hat die Gruppe der sehr konservativ orientierten Salafisten. Ihre Zahl hat sich in den letzten drei Jahren auf heute geschätzt 7000 verdoppelt. Als besonders gefährlich schätzen Sicherheitsexperten Rückkehrer aus dem Kriegsgebiet in Syrien und dem Irak ein. Nach offiziellen Angaben sind rund 600 radikale Islamisten in das Gebiet des sogenannten "Islamischen Staates" gereist. Manche Beobachter wie der Berliner Psychologe und Islamexperte Ahmad Mansour gehen sogar von 1500 bis 2000 deutschen Dschihadisten im syrischen Bürgerkrieg aus. Rund 180 der Ausgereisten sind inzwischen wieder zurück in Deutschland.

Drei Gruppen von Syrien-Rückkehrern

Der Radikalisierungsforscher Peter Neumann vom Londoner Kings College unterscheidet drei Gruppen von Rückkehrern - mit denen man auch entsprechend unterschiedlich umgehen müsse. Auf etwa 10 Prozent schätzt Neumann den Anteil derer, "die tatsächlich gefährlich sind, die terroristisch aktiv werden wollen nach ihrer Rückkehr. Und das sind Leute, vor denen die Gesellschaft geschützt werden muss. Und die zum Teil wirklich strafverfolgt und ins Gefängnis gesteckt werden müssen". Eine zweite Gruppe sei traumatisiert und teilweise verstört. Für die empfiehlt Neumann im DW-Interview psychologische oder auch psychiatrische Betreuung. Eine dritte Gruppe bilden für den Londoner Radikalisierungsexperten diejenigen, die desillusioniert aus Syrien zurückkämen.

Dr. Peter Neumann (Copyright: Peter Neumann, Freigabe durch Peter Neumann)
Radikalisierungsforscher Peter NeumannBild: Peter Neumann

Einer der zwei algerisch-stämmigen Brüder, die im Verdacht stehen, das Blutbad in der Redaktion von "Charlie Hebdo" angerichtet zu haben, soll Dschihadisten für den Kampf im Irak angeheuert haben. Dafür war er 2008 zu drei Jahren Haft verurteilt worden, von denen er 18 Monate absaß. An seiner Einstellung hat das nichts geändert. Häufig sind Gefängnisse der Ort weiterer Radikalisierung, erklärt der Londoner Sicherheitsexperte Raffaelo Pantucci. "Das Problem der Radikalisierung im Gefängnis ist sehr groß. Wir haben das schon oft gesehen: Dass Leute, die für kurze Zeit ins Gefängnis gehen, dort andere radikalisieren. Oder dass Leute, die für andere Verbrechen im Gefängnis sind, dort Radikale treffen, die sie zu ihrer Ideologie bekehren."

Gefahr durch Nachahmer

Für Pantucci, Direktor für Internationale Sicherheitsstudien beim Royal United Services Institut (RUSI), liegt eine der großen Gefahren des Pariser Anschlags in seiner Anziehungskraft auf Nachahmer. "Leute werden versuchen, das zu kopieren", so Pantucci. In sozialen Netzwerken findet der Anschlag auf "Charlie Hebdo" unter radikalen Muslimen großen Beifall. Auf Twitter werden die Attentäter als Helden gefeiert. Auch der sogenannte "Islamische Staat" nutzt das Blutbad für seine Propaganda.

Für Raffaleo Pantucci stellt der Vorfall die Sicherheitsbehörden vor eine große Herausforderung. Denn die würden jetzt gezwungen, sich noch einmal um all jene zu kümmern, die zwar radikalisiert seien, vielleicht sogar Training erhalten und für Besorgnis gesorgt hätten, jedoch noch nicht die Schwelle überschritten hätten, jenseits derer man sie verhaftet hätte. "Jetzt wird das Problem sein, dass man sich diese Leute noch einmal anschaut und sicherstellt, dass die sich nicht bewaffnet haben."

Paris Anschlag auf Charlie Hebdo - Attentäter Cherif Kouachi & Said Kouachi (EPA/FRENCH POLICE)
Die Terrorverdächtigen Cherif und Said Kouachi konnten das Attentat trotz Überwachung planen und durchführenBild: picture-alliance/dpa/French Police/Handout

In Deutschland stufen die Sicherheitsbehörden etwa 260 Menschen als sogenannte "Gefährder" ein. Ihnen trauen sie Terroranschläge zu. Für eine Komplettüberwachung aber ist der Personalaufwand zu groß. Deshalb werden die "Gefährder" in unterschiedliche Kategorien eingestuft, die unterschiedlich genau beobachtet werden.

Dass man dabei daneben liegen kann, zeigt der Fall von Paris: Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve zu Folge waren die beiden Tatverdächtigen überwacht worden - ohne dass die Behörden Hinweise auf einen bevorstehenden Terrorakt gewonnen hätten.