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Das Ausland spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle

Gérard Foussier16. April 2002

Über Deutschland reden sie nur wenig und auch andere außenpolitische Themen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Chirac und Jospin, die beiden Hauptkontrahenten im französischen Wahlkampf blicken vor allem ins Inland.

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Erst nach der Wahl spricht man sich wiederBild: AP

Die Vorstellung von einer deutsch-französischen Achse erscheine ihm zu abgeschottet – damit sagt Lionel Jospin, amtierender Premierminister und sozialistischer Präsidentschaftskandidat, was eigentlich alle schon lange meinen. Auch sein neogaullistischer Kontrahent, der amtierende Staatspräsident Jacques Chirac, ist der Meinung, dass das deutsch-französische Verhältnis nicht exklusiv sein dürfe.

Jospin in Berlin – nur ganz privat versteht sich

Als die heiße Phase des französischen Präsidentschaftswahlkampfs am 5. April 2002 offiziell eröffnet wurde, flog Lionel Jospin nach Berlin. Das war seine einzige Auslandsreise in den letzten Wochen vor der Wahl. Hiermit signalisierte Jospin die Bedeutung der deutsch-französischen Beziehungen. Sein Besuch gab ihm aber auch die Möglichkeit, sein außenpolitisches Programm vorzustellen.

Das Thema ist heikel, denn es herrscht seit Gründung der Fünften Republik Konsens, dass die Außenpolitik des Landes Sache des Staatspräsidenten ist. Deswegen betonte Jospin in Berlin, sein Besuch sei rein privater Natur. Präsident Jacques Chirac hätte allerdings kaum Gelegenheit, seinen sozialistischen Regierungschef wegen dieses Themas zu kritisieren. Denn überparteiliche Einigkeit prägt die Außenpolitik in Frankreich. Außerdem: Außenpolitik ist dieses Jahr kein Wahlkampfthema. Und die deutsch-französischen Beziehungen schon gar nicht.

Freundschaft wäre schön

Dass Lionel Jospin in Berlin eine Stärkung der persönlichen Beziehungen zwischen den Verantwortlichen beider Länder vorschlug, kann eigentlich nur als Stichelei verstanden werden. Die Freundschaft zwischen Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder hat nicht die Qualität der Freundschaft zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl, oder zwischen Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt.

Ob ein Staatspräsident Lionel Jospin, der sich die Wiederwahl Gerhard Schröders am 22. September ausdrücklich gewünscht hat, zum deutschen Bundeskanzler eine größere Affinität zeigen würde, sei dahingestellt.

Europa in der Nebenrolle

Europapolitisch lassen die Hauptkandidaten um das höchste Amt in Frankreich das Terrain weitgehend brachliegen. Mehr als die europäische Grundüberzeugung beider Politiker ist, zumindest im Wahlkampf, nicht zu hören. Lionel Jospin sagte in Berlin, er sei durch und durch europäisch. Jacques Chirac zeigt sich gern als Europäer aus Vernunft.

Darüber hinaus plädiert der Sozialist Jospin für eine europäische Föderation der Nationalstaaten, während der Gaullist Chirac als Hüter nationalstaatlicher Souveränität eine Neubegründung Europas verspricht. Die Europäische Union, so Chirac, habe nicht die Berufung, sich um alles unter allen Umständen zu kümmern. Die EU, so Jospin, dürfe nicht zu einer großen Freihandelszone herabgestuft werden.

Der Wähler bleibt auf der Strecke

Drei Viertel der französischen Wähler sind nach den jüngsten Umfragen der Meinung, dass sich die politischen Programme von Sozialisten und Gaullisten wie ein Ei dem anderen gleichen. Was die Europapolitik betrifft, werden wohl nur wenige Wähler die Nuancen in den Vorstellungen beider Kandidaten herausgehört haben. Ob man in Berlin die feinen Unterschiede zwischen beiden Rivalen einordnen kann, ist genauso fraglich.

Joschka, der Flötenspieler

Was bleibt, ist eher das Gefühl, dass die Beziehungen zwischen Paris und Berlin an Wärme und Intensität verloren haben. Nicht vergessen ist zum Beispiel das böse Wort von Außenminister Hubert Védrine im vorigen Jahr an die Adresse seines deutschen Amtskollegen: Joschka Fischer, so der Pariser Minister damals, sei ein Flötenspieler.

Berlin wertete die Formulierung zunächst als Kompliment, schließlich mögen die Franzosen deutsche Musik, wenn sie auf leisen Instrumenten gespielt wird. Erst mit Verzögerung stellte man in Berlin fest, dass "Flötenspieler" die französische Übersetzung für den Rattenfänger von Hameln ist - eine Märchenfigur, die mit ihrer Flötenmusik die Ratten und, als ihm die Bezahlung verweigert wurde, auch die Kinder aus der Stadt Hameln ins Verderben lockte. Es bedurfte einer diskreten gastronomischen Zusammenkunft, um den Ärger über das Védrine-Zitat zu bereinigen.