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Das bayrische Karnickel

Bernd Riegert, Brüssel8. Juni 2004

Wahlkampfgag, Abstellgleis, Versuchsballon? Als Edmund Stoiber für das Amt das EU-Kommissionspräsidenten ins Gespräch gebracht wurde, lagen Entsetzen und Hoffnung dicht beieinander.

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Deutschland und Frankreich wollten den bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) ins Rennen um den EU-Kommissionspräsidenten schicken. Doch Landesfürst Stoiber, der gescheiterte Bundeskanzlerkandidat der Union von 2002, habe dankend abgelehnt. Diese Meldung erregte in Berlin und Brüssel die Gemüter. Für einige Stunden, denn dann kam ein halbherziges Dementi vom Sprecher der Bundesregierung. Am Dienstag (8.6.) brüllte der bayrische Löwe selbst und bekannte kokett, er fühle sich durch das Angebot geehrt. Mehr über die vertraulichen Gespräche mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac und Bundeskanzler Schröder wolle er aber nicht ausplaudern, verriet Stoiber im Zentralorgan seiner Partei, dem Bayernkurier.

Die gezielte Indiskretion so kurz vor den Europawahlen am 13. Juni ist ein Wahlkampfgag, vermuten Insider in Brüssel. Denn der Bayer wirbt für seine Christsozialen ja mit dem Slogan "Bayern im Herzen, Europa im Blick." Da Stoiber das angebliche Angebot im Frühjahr abgelehnt habe, beweist er eben, dass er, obwohl zu Höherem berufen, doch bodenständiger Landesvater bleiben will. Das zieht an weißblauen Biertischen. So kann man also auch mit der Absage einer geheimen Offerte Europawahlen gewinnen.

Der irische Ratspräsident, der gerade mühsam dabei ist, einen wirklichen Kandidaten für das europäische Spitzenamt zu finden, war nicht amüsiert über den bayrischen Querschläger. Im Moment blockieren sich die Lager um Großbritannien und Spanien auf der einen Seite und Deutschland und Frankreich auf der anderen Seite nämlich gegenseitig. Ein aus dem Hut gezaubertes Stoiber-Karnickel hätte die Verhandlungen nur noch erschwert. Gerade hatte man hart gegen das sorgsam gepflegte Vorurteil angearbeitet, dass politische Gegner oder in der Innenpolitik nicht mehr brauchbares Personal nach Brüssel abgeschoben wird. Und dann das?

Den größten Schmerz, dass Stoiber in Deutschland bleibt, dürfte seine Erzrivalin Angela Merkel empfinden. Die CDU-Chefin möchte als Kanzlerkandidatin bei den nächsten Bundestagwahlen gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) antreten. Da wäre ihr eine Entsorgung des bayrischen Platzhirschen schon lieb gewesen.

Froh, dass Stoiber weiter "bayrisch lebt und europäisch denkt" (CSU-Slogan), ist der Bundesaußenminister Joschka Fischer. Der Bündnisgrüne möchte nämlich in zwei Jahren als erster europäischer Außenminister seine schillernde Karriere krönen. Mit einem deutschen EU-Kommissionspräsidenten wäre das deutsche Kontingent in der Kommission aber erschöpft gewesen und Fischer hätte in die Röhre geschaut.

Wenn es darum ginge, unbeliebte Parteifreunde oder politische Gegner auf das Abstellgleis Brüssel zu schieben, hätte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch eine halbe Fußballmannschaft an Kandidaten zur Auswahl. Wie wäre es mit Hans Eichel, dem glücklosen Finanzminister? Oder mit Ulla Schmidt, der Gesundheitsministerin, die ihre Umwelt mit unausgegorenen Reformen nervt? Oder Gesine Schwan, der neuen Allzweckwaffe der SPD, die nach ihrem Schaulaufen als Bundespräsidentin in spe Gerhard Schröder die Kanzlerkandidatur abspenstig machen könnte?

Wäre der kantige König von Bayern, Ede I., tatsächlich nach Brüssel gekommen, hätte er wenigstens eine respektable Residenz bekommen. Der Freistaat baut nämlich gerade ein Schloss, so eine Art Neuschwanstein in klein, direkt neben dem Europäischen Parlament. Da wird demnächst die bayrische Landesvertretung einziehen, um für ein "starkes Bayern in Europa" (CSU-Slogan) zu kämpfen.