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Das Elend des Mezzogiorno

Kersten Knipp23. August 2015

Jüngste Zahlen belegen es: Süditalien ist ökonomisch massiv unterentwickelt. Das hat auch Auswirkungen auf die politische Kultur. Die Gründe für die Misere sind lange bekannt. Aber sie zu überwinden, ist schwierig.

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Italienische Polizsten vor einer illegalen Müllkippe nahe Neapel, 03.03.2015 (Foto: EPA)
Nur Müll in Süditalien? Illegale Kippe nahe NeapelBild: picture-alliance/dpa/C. Abbate

Die Ankündigung war geeignet, große Erwartungen zu wecken. "Die Städte Siziliens als Motor der regionalen Entwicklung" nannte sich die Konferenz im Teatro Pirandello in dem Städtchen Agrigent an der Südküste der Insel. Das Treffen begann um 16 Uhr - und war kurz vor dem Abendessen schon wieder zu Ende. Die Zukunft Süditaliens: Ein überschaubares Projekt, so übersichtlich und bescheiden offenbar, dass es sich in zwei, drei Stunden auf den Punkt bringen ließ.

Die Geschichte dieser Konferenz im März 2010 schrieb der italienische Journalist Luigi Offeddu neulich in der Tageszeitung "Corriere della Sera". Sie geht noch weiter: Offeddu widmete sich auch den organisatorischen Fragen der Veranstaltung, vor allem ihrer Finanzierung. Insgesamt, berichtete er, war das Treffen mit gut 23.000 Euro bezuschusst worden. Knapp 3500 Euro steuerte die Region bei. Rund 8000 Euro kamen vom italienischen Staat. Und den Rest, rund 11.500 Euro, hatte Brüssel spendiert. Erkenntnis, deutete Offeddu an, kann auch dann teuer sein, wenn sie bescheiden ist.

Die Anekdote wirft ein Licht auf die derzeit in Italien wieder heiß diskutierte Frage, warum es mit dem südlichen Teil des Landes einfach nicht vorangeht. Angefeuert wurde die Diskussion vor wenigen Tagen vom jüngsten Report des Instituts Svimez, einer Organisation, die sich der Förderung des Mezzogiorno, also italienischen Südens, widmet und hier konkret auf die wirtschaftliche Situation der italienischen Provinzen zwischen Neapel und Palermo einging.

Szene aus Palermo im Jahr 1955 (Foto: Getty Images)
Kultur der Armut: Szene aus Palermo im Jahr 1955Bild: Three Lions/Hulton Archive/Getty Images

"Das Griechenland Italiens"

Die Daten des Berichts waren durchgehend unerfreulich. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2013 ist die Wirtschaft des südlichen Italiens gerade einmal um 13 Prozent gewachsen. Mit böser Lust griffen die italienischen Zeitungen einen Vergleich auf, der das ganze Elend dieser Zahl verdeutlichen sollte: In Griechenland, auch beim italienischen Publikum derzeit ein Synonym für erfolgloses Haushalten, war die Wirtschaft im selben Zeitraum um 24 Prozent gewachsen - nahezu um das Doppelte der eigenen Südprovinzen also. Als "Griechenland Italiens" bezeichnete die Zeitung "Il Fatto Quotidiano" daraufhin den Mezzogiorno. Noch deprimierender die europaweite Perspektive: So waren die Ökonomien der EU-Staaten im selben Zeitraum um nahezu 54 Prozent gewachsen.

Das geringe Wachstum setzt die gesamte Region unter Druck: Die Arbeitslosigkeit beträgt über 20 Prozent. Bei Jugendlichen unter 24 Jahren schnellt sie bis auf 56 Prozent hoch. Solche Zahlen, kommentiert Svimez, weckten bei vielen jungen Menschen die Überzeugung, dass sich Lernen nicht lohne. "So entsteht ein Teufelskreis aus dünner werdendem Humankapital, der Bereitschaft zum Auswandern, langem Verweilen in der Beschäftigungslosigkeit und schließlich dem mutlosen Entschluss, nicht zu studieren."

Der Süden stirbt

Die beiden Journalisten Gian Antonio Stella und Sergio Rizzo haben sich dem Elend des Südens in einem Buch gewidmet, das in Italien zum Bestseller wurde. "Se muore il Sud", heißt es, "Wenn der Süden stirbt". Auch sie sprechen von weit verbreiteter Mutlosigkeit und Apathie. Die einst so kreative Region, die der Welt bedeutende Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler beschert hat, habe sämtliche Energie verloren. "Rette sich, wer kann", laute das Motto im südlichen Italien. Und das heiße: "Raus aus der Universität, raus aus den Krankenhäusern, aus den Forschungslaboren, den Unternehmen, den Städten des Südens überhaupt."

Für den Rückstand des Südens gibt es viele Erklärungen: Die verspäteten Ansätze zu einer industriellen Entwicklung am Ende des 19. Jahrhunderts - zu einer Zeit also, als der Norden des Landes seine Industrie bereits kräftig entwickelt hatte. Das hatte zur Folge, dass der Süden gegen die nördliche Konkurrenz nicht mehr ankam und seine Industrialisierung aufgab. Das Erbe der Latifundien, der großen Landgüter, habe eine Kultur der Selbstständigkeit verhindert, so dass Bürgersinn und Unternehmensgeist schwach blieben. Die Mafia, die immer weiter in die Politik vordringe, mache die Überzeugung hoffähig, ein Land lasse sich auch mit - sanfter - Gewalt und Einschüchterung regieren. Und schließlichb gilt auch eine stark ausgeprägte Subventionskultur als eine der Ursachen für die ökonomische Rückständigkeit des Mezzogiorno.

Begräbnis eines Mafia-Bosses in Rom, 20.08.2015 (Foto: (Massimo Percossi/ANSA via AP)
In der Hauptstadt angekommen: Begräbnis eines Mafia-Bosses in RomBild: picture-alliance/AP-Photo/M. Percossi

Zu viele Subventionen

Was diese Subventionskultur bewirken kann, belegen Stella und Rizzo mit einer eindrucksvollen Zahl. Sie betrifft allerdings nicht nur das südliche, sondern ganz Italien. Zwischen 2006 und 2013 flossen aus den Sozial- und Kohäsionsfonds der EU wie auch aus mehreren nationalen Fonds rund 99 Milliarden Euro Fördergelder nach Italien. Unterstützt wurden damit knapp 680.000 Projekte, im Durchschnitt jedes einzelne mit knapp 150.000 Euro. Ob sich bei diesem Umfang, bei Hunderttausenden Projekten, überprüfen lässt, ob sie die Mittel korrekt verwendet haben? Stella und Rizzo bezweifeln das.

Zu leiden hat unter dieser mangelnden Kontrolle auch und ganz besonders der italienische Süden: Er entwickelt keine Unternehmer- und Unternehmenskultur. Wie ließe sich das ändern, fragt die Zeitung "Corrriere del Mezzogiorno". Und sie gibt eine Antwort, die ihr selbst utopisch erscheint: Es brauche eine neue Partei. Aber eine Partei, die an die kommenden Generationen und nicht die kommenden Wahlen denkt.