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Das Ende der digitalen Kontrolle

Sabine Damaschke14. August 2012

Aus Kritik und Spott entwickelt sich im Internet schnell Mobbing oder sogar ein Skandal. Weil jeder weltweit mitmachen kann, sind digitale Daten nicht zu kontrollieren. Das verändert die Gesellschaft.

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Eine Frau hält sich vor dem Computer die Hände vors Gesicht (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Mailen, chatten, twittern – die Kommunikation im Internet ist heute eine Selbstverständlichkeit. Doch sie hat auch eine Kehrseite. Jeder dritte deutsche Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren war schon mal als Täter oder Opfer am Internet-Mobbing beteiligt. Aber auch Erwachsene können schnell zum Mittelpunkt eines Skandals werden, sagt Medienwissenschaftlerin Hanne Detel im Gespräch mit der Deutschen Welle. Gemeinsam mit Bernhard Pörksen hat sie das Buch "Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter" veröffentlicht.

DW: Frau Detel, beim Thema Cybermobbing denken wir meistens an Schüler, die zu offen und unvorsichtig mit dem Internet umgehen. In Ihrem Buch zeigen Sie, dass auch geübte Nutzer, zu denen die meisten Studenten zählen, Opfer werden. Wie zeigt sich das Cybermobbing an Hochschulen?

Hanne Detel: Da kommt es vor allem zu einer Form des Mobbings, zum öffentlichen Bloßstellen. Normverstöße oder ein besonders lächerliches Verhalten werden von Kommilitonen einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht. Das ist im Zeitalter der digitalen "Überallmedien" sehr einfach. Man kann mit einem Smartphone oder einer Digitalkamera unglaublich schnell Fotos machen oder Situationen - etwa im Hörsaal - mitfilmen und dann gleich online stellen. Im Netz sind sie dann meist für lange Zeit abrufbar.

Die Autorin und Medienwissenschaftlerin Hanne Detel (Foto: Hanne Detel)
Hanne DetelBild: Hanne Detel

Welche Auswirkungen kann das auf die Zukunft der betroffenen Studenten haben?

Beim öffentlichen Bloßstellen wird die Reputation geschädigt. Das kann bei der späteren Suche nach einem qualifizierten Arbeitsplatz zum Problem werden. Potentielle Arbeitgeber können heute ganz einfach über Suchmaschinen einen Namen aufrufen. Und dann stoßen sie unter Umständen auf diese Fotos oder Filme. Das heißt, die Betroffenen müssen mit der Ungewissheit leben, wer genau was über sie weiß.

In Ihrem Buch sprechen Sie vom "Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter". Heißt das, jeder Spaß im Netz, jede kleine Peinlichkeit kann sich plötzlich zum Skandal ausweiten?

Immer, wenn ich Informationen über mich online stelle oder andere Menschen dies tun, können diese Daten letztlich auch negativ gegen mich verwendet werden. Der Kontrollverlust ist schnell da, weil digitale Daten von einer solchen Leichtigkeit geprägt sind. Sie können ganz einfach durchsucht, verknüpft, kopiert und so in andere Kontexte gestellt werden. Andererseits ist durch das Internet ein Zuwachs an Kontrolle entstanden. Das sieht man am Beispiel unseres ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg, der große Teile seiner Doktorarbeit gefälscht hatte. Dies ist vor allem durch die Plagiatsjäger im Internet aufgedeckt und belegt worden.

Gibt es eigentlich eine Chronologie, wie jemand im Netz zum Mobbingopfer wird?

Am Anfang steht meist ein verwerfliches oder lächerliches Verhalten, das im Netz sichtbar gemacht wird. Über die alten Verbreitungswege von Zeitung, Radio und Fernsehen konnten nur die Journalisten Skandale anregen, jetzt kann es jedermann. Im nächsten Schritt kommt das Publikum ins Spiel. Dieses Publikum ist sehr viel aktiver und hat sehr viel mehr Macht als früher, denn es kann diese Informationen weiter streuen und kommentieren. Außerdem sind die Daten weltweit abrufbar und bleiben im Extremfall sehr lange im Internet, weil sie sich nicht einfach tilgen lassen.

Buchcover Bernhard Pörksen, Hanne Detel: Der entfesselte Skandal (Herbert von Halem Verlag)

Wie international ist denn die Wirkung der Skandale, die Sie in Ihrem Buch untersucht haben?

Wie international die Wirkung sein kann, zeigt der Fall einer chinesischen Studentin, die 2008 in den USA studierte. Sie versuchte bei einer Demonstration im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking zwischen zwei Studentengruppen zu vermitteln. Eine Gruppe demonstrierte für die Freiheit Tibets, die andere dagegen. Diese Gruppe war wütend über die Vermittlungsversuche ihrer chinesischen Kommilitonin und filmte sie dabei. Das führte in der digitalen Welt zu einem regelrechten Cybermob gegen die Studentin. Sie erhielt Morddrohungen, und auch ihre Eltern in China wurden bedroht.

Hätte die Studentin sich dagegen irgendwie schützen können?

Das ist sehr schwierig, denn wer eine Information online stellt, hat auch die Macht, ihr eine gewisse Deutung zu geben. Die Chinesin hat damals eine Gegendarstellung im Netz gestellt und ihre Vermittlungsbemühungen erklärt. Das hat jedoch nichts genutzt.

Heißt das nun für uns alle, dass wir uns sehr viel vorsichtiger und bewusster im öffentlichen Raum verhalten müssen?

Wir formulieren in unserem Buch den sogenannten "Kategorischen Imperativ des digitalen Zeitalters", und der heißt: "Handle stets so, dass dir die öffentlichen Effekte deines Handelns langfristig vertretbar erscheinen. Aber rechne damit, dass dies nichts nützt." Letztlich können wir nur versuchen, ein Bewusstsein für die möglichen Effekte zu schaffen, die Handyfilmchen, Twitterbotschaften oder auch Mailboxnachrichten haben können.

Das Gespräch führte Sabine Damaschke.

Buchtipp: Bernhard Pörksen / Hanne Detel: Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter, Halem Verlag, 19,80 Euro.