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Das Ende des Acht-Stunden-Tags

Malte Rohwer-Kahlmann
19. März 2017

Geburt, Arbeit, Tod. Dazwischen kommt das Leben manchmal zu kurz. Unternehmen entdecken nun neue Wege, den Arbeitstag zu strukturieren. Idealistische Spinnerei oder Revolution der Arbeitswelt?

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Bild: Reuters/Y. Shino

Mads Blücher hat sie gesehen, die Überstunden-Zombies. Er installierte neue Server in den Büroräumen einer großen Firma, weit nach Feierabend, und war erstaunt, wie viele junge Mitarbeiter noch an ihren Schreibtischen saßen. "Sie waren komplett in ihren Stühlen versunken; sie konnten kaum noch auf ihre Bildschirme gucken. Und trotzdem: Sie waren da", erinnert er sich.

So wollte er nicht arbeiten, das war ihm klar. Mittlerweile hat Mads seine eigene Firma, Translated By Us, ein kleines Übersetzungsbüro in Kopenhagen. Hier läuft es anders. Die Angestellten können nach sechs Stunden Arbeit nach Hause gehen - und werden trotzdem wie für acht Stunden bezahlt.

"Wenn man viele Stunden arbeitet, dann passiert normalerweise alles und nichts", sagt der 34-Jährige im Gespräch mit der DW. Die zwei gestrichenen Stunden fehlten dem Unternehmen keineswegs, im Gegenteil. Der gestraffte Arbeitstag erlaube es dem Start-Up, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und produktiver zu arbeiten.

Das Team von Translated By Us (Foto: Translated By Us APS)
Das Team von Translated By Us um Geschäftsführer Mads Blücher (links) schwört auf den Sechs-Stunden-TagBild: Translated By Us APS

Am Morgen trifft sich das gesamte Team und legt die Tagesziele fest. "Das sorgt für einen positiven Vibe, weil alle Mitarbeiter wissen, was von ihnen erwartet wird", sagt Mads. "Und dann machst du das, bist zufrieden, gehst nach Hause oder gehst Kitesurfen - was auch immer du mit deinem Leben anstellst."

Sind sechs Stunden die neuen acht Stunden?

Feierabend am frühen Nachmittag, das klingt nach dem Traum vieler Berufstätiger. Und tatsächlich trifft es einen Nerv. Die kürzlich erschienene Studie einer Krankenversicherung zeigt, dass der Stress am Arbeitsplatz fast die Hälfte aller Angestellten in Deutschland belastet. Viele leiden an Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit oder emotionaler Erschöpfung, einige sogar an Depressionen oder Burnouts. Die Leute arbeiten, arbeiten, arbeiten - bis sie krank werden. Und dann arbeiten sie weiter. Müssen wir neu darüber nachdenken, wie wir unser Geld verdienen?

Translated By Us sind keine Pioniere des Sechs-Stunden-Tages. Besonders in Schweden gibt es das Konzept schon eine Weile; viele kleinere aber auch größere Unternehmen haben es ausprobiert. Autohersteller Toyota, zum Beispiel, hat die Schichten in seiner Werkstatt in Göteborg vor mehr als zehn Jahren gekürzt - und seitdem so belassen, denn die Gewinne sind gestiegen.

Zudem wurde ein zweijähriges Experiment in einem Altenheim, ebenfalls in Göteborg, gerade beendet. Die Arbeitstage von 68 Pflegekräften wurden bei gleichem Lohn von acht auf sechs Stunden gekürzt. Zunächst einmal hat das gekostet, rund 1,3 Millionen Euro, denn die Stadt musste 17 neue Pflegekräfte einstellen, um die verlorene Arbeitszeit aufzufangen. Das eingesparte Arbeitslosengeld und die zusätzlichen Steuereinnahmen dämpften die Verluste. Trotzdem war der Probelauf finanziell gesehen ein Minusgeschäft.

Göteborg (Foto: picture-alliance/dpa)
Die Stadt Göteborg hat den Sechs-Stunden-Tag ausprobiert - mit gemischten ErgebnissenBild: picture-alliance/dpa

Aber das Experiment war auch ein Erfolg. Die Mitarbeiter waren zufriedener und gesünder - und kümmerten sich besser um die Patienten. Die Abwägung scheint einfach: Will man glücklichere und produktivere Arbeitskräfte oder Kosten sparen? Könnte der Sechs-Stunden-Tag die Arbeitskultur eines ganzen Landes umkrempeln?

Realitäts-Check

Nein, ist die etwas ernüchternde Antwort von Werner Eichhorst vom Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. "Es ist kein Allheilmittel und kein generelles Prinzip, das sich kurzfristig realisieren lässt", sagt er im Gespräch mit DW. "Die Arbeit, die jetzt unter Wettbewerbsbedingungen in acht Stunden erledigt wird, kann nicht in jedem Fall einfach so in drei Viertel der Zeit geleistet werden."

Wenn ein ganzes Land auf sechs Stunden umstellt, müsste die Wirtschaft erheblich leiden, warnt Eichhorst. Plötzlich würden mehr Leute benötigt, um dieselbe Arbeit zu verrichten. Dadurch stiegen die Lohnkosten der Unternehmen. Und es könnte zu Personalengpässen kommen, weil nicht unendlich ausgebildete Arbeitskräfte vorhanden sind. "Ich würde hinter so einem Modell ein großes Fragezeichen machen", sagt Eichhorst.

Potatos Büro in Bristol (Foto: Potato Ltd)
Die Web-Agentur Potato will junge Talente mit komplett flexiblen Arbeitszeiten anlockenBild: Potato Ltd

Und genau das tat auch der Stadtrat in Göteborg. Er stellte das Projekt in dem Pflegeheim ein - wegen der höheren Kosten.

Für jeden die richtige Lösung

Doch nur weil das Experiment gescheitert ist, ist der Sechs-Stunden-Tag noch lange nicht gescheitert. Er hat seinen Platz in einigen Unternehmen. Und andere Unternehmen müssten sich eben andere Lösungen überlegen, so Eichhorst. "Zur Zeit gibt es viele Diskussionen darüber: Was ist Arbeit? Was ist ein legitimer Raum, um nicht zu arbeiten? Wo liegen die Grenzen der Belastung und Erreichbarkeit?"

Zumindest in Deutschland, fügt er hinzu, verschwinde der klassische Acht-Stunden-Tag immer weiter. Viele Firmen bieten zumindest einigermaßen flexible Arbeitszeiten, lassen Mitarbeiter von Zuhause arbeiten - oder lassen sie komplett frei entscheiden, wann und wie sie ihre Aufgaben erledigen.

Ergebnisorientierung

Die 2010 gegründete Webentwicklungs-Agentur Potato etwa hat sich ganz von festen Arbeitszeiten verabschiedet. Die Mitarbeiter in London, Bristol und San Francisco können kommen und gehen, wie sie wollen - solange das Ergebnis am Ende stimmt.

Stressmanagement in einer Werbeagentur

"Verschiedene Leute sind zu verschiedenen Zeiten produktiver, nicht jeder ist gleich", sagt Declan Cashin, der bei Potato arbeitet. "Solange dein Job es möglich macht, zu arbeiten, wenn du am produktivsten bist, ist es doch im besten Interesse der Firma den Angestellten da entgegenzukommen."

Der 35-Jährige arbeitet erst seit vier Monaten bei Potato. Vorher hat er als Journalist gearbeitet, mit langen, unregelmäßigen und unflexiblen Arbeitszeiten. "Wenn man in den Medien arbeitet, kann es schwer sein, eine gute Work-Life-Balance zu finden. Wenn man aber in einer Firma wie Potato arbeitet, geht das schon viel leichter."

Der Wandel kommt

Klar, Unternehmen wie Potato und Translated By Us setzen nicht aus reinem Wohlwollen auf attraktive und flexible Arbeitskulturen. Sie hoffen, dass sie dadurch junge und talentierte Menschen anlocken, mit deren Hilfe sie ihre Wettbewerber ausstechen können. Genauso wie Toyota in Götebörg die Arbeitszeit bei sechs Stunden pro Tag belassen hat, weil sie damit mehr Geld verdient haben. Es muss sich geschäftlich lohnen. Aber vielleicht stoßen solche Vorreiter mit ihrem Erfolg auch ein Umdenken an, das zu einem größeren Wandel in der Arbeitswelt führt.

In Kopenhagen ist Mads jedenfalls froh, dass sein Besuch bei den Überstunden-Zombies vorbei ist. "Es schien einfach so ungesund", sagt er. "Es ging gar nicht so sehr darum, ein großartiges Leben zu haben - sondern vielmehr darum, irgendwelche Budgets einzuhalten." Er will zeigen, dass beides geht: Budgets einhalten UND ein großartiges Leben haben.