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Das Ende des Gigantismus

Tobias Käufer20. Juni 2013

Brasiliens Demonstranten fordern eine Balance in der Ausgabenpolitik. Investitionen in Krankenhäuser und Schulen müssten genauso möglich sein wie die Milliarden für Stadien, deren Zukunft noch ungewiss ist.

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Demonstranten in Brasilien fordern Geld für Schulen und Krankenhäuser (Foto: REUTERS/Alex Almeida)
Bild: Reuters

Brasiliens neue Stadionwelt ist vom Allerfeinsten: Die Arena "Mané Garrincha" in der Hauptstadt Brasília gehört zu den fünf teuersten, die jemals für eine Weltmeisterschaft errichtet wurden, hat das brasilianische Fachblatt "Lance" errechnet und legt nach: Der Fußball-Weltverband FIFA und sein Präsident Joseph Blatter hätten "den Kontakt zur Realität" verloren. Blatter kontert wie immer: Die FIFA habe dem südamerikanischen Land die WM keineswegs aufgezwungen, Brasilien habe sich ja freiwillig beworben. Der Schweizer wäscht seine Hände in Unschuld.

Beide Positionen sind zum Teil richtig: Gastgeber Brasilien kannte die Vorgaben des Weltverbandes genau, als das Land des fünfmaligen Weltmeisters seine Bewerbung abgab und 2007 den Zuschlag erhielt. Die Menschen feierten damals an der Copacabana und freuten sich auf ein riesiges Fußballfest, als Blatter verkündete, dass das südamerikanische Land Gastgeber der Titelkämpfe werde. Doch nun haben Korruption, Kostenexplosion und Gigantismus den Brasilianern die Vorfreude vergällt. Nicht auf den Fußball wohlgemerkt, sondern auf die Zeche, die sie zu zahlen haben.

Stadien ohne Zukunft

Das Stadion "Mané Garrincha" in Brasília beispielsweise ist ein kleines Schmuckstück, doch dessen Sinn stellen zahlreiche Brasilianer in Frage. In der Hauptstadt gibt es weder einen Erstliga-Verein noch klassische Fußballtradition. Auch in Manaus, der Amazonasstadt, die mit Spitzenfußball bislang nichts zu tun hatte, wird künftig eine schmucke, nagelneue Arena stehen. Wer nach der Fußball-Weltmeisterschaft die Sitzplätze füllen soll, weiß allerdings niemand.

Falsch, kontert die FIFA. Immerhin seien 87 Prozent der Tickets für das Eröffnungsspiel des Confed-Cups gegen Japan (3:0) in Brasília von Hauptstadteinwohnern gekauft worden. Doch ob die auch wiederkommen, wenn der einheimische Provinzverein kickt und nicht Superstar Neymar, ist eine ganz andere Frage.

Das WM-Stadion in Brasília bei Nacht. (Foto: REUTERS/Ueslei Marcelino)
Heute Schmuckstück – und morgen? Die WM-Arena "Mané Garrincha" in BrasíliaBild: Reuters

Kein Plan B für Schwellenländer

Das Problem liegt tiefer: Die FIFA vergibt die WM nach einem bestimmten Schlüssel. Die Gastgeberländer müssen Milliarden in neue Stadien investieren, ganz gleich, ob eine Gesellschaft und deren Volkswirtschaft dies aushalten können oder nicht. Die WM ist das Premiumprodukt der FIFA, das auf der bestmöglichen Bühne präsentiert werden muss. In Industrienationen wie Deutschland oder Japan mag dies möglich sein, weil es hier eine Konsumentenlandschaft gibt, die auch nach der WM die Eintrittspreise für die neuen Stadien bezahlen kann.

In Ländern wie Südafrika oder Brasilien aber versteht die Mehrheit der Bevölkerung nicht, dass Geld in Prestigeobjekte gepumpt wird, während gleichzeitig 25 Babys in einem überfüllten Krankenhaus sterben, wie kürzlich in Brasilien geschehen. Und das Beispiel Südafrika mit seinen zum Teil gähnend leeren ehemaligen WM-Arenen zeigt, dass hier keine nachhaltige Investition getätigt, sondern nur kurzfristige Impulse gesetzt wurden. Es gibt keinen Plan B für ein Schwellenland in der FIFA-Ausschreibung für eine WM-Bewerbung. Die Messlatte ist für alle gleich, egal ob die reiche Schweiz oder der bettelarme Sudan eine WM ausrichten wollen.

Sportler solidarisieren sich

Brasiliens populärer Stürmer Hulk brachte nun auf den Punkt, was viele Fußballer und andere Athleten in Brasilien vor der WM 2014 und Olympia 2016 denken. "Wir wissen, was gerade passiert. Wir wissen, dass sie Recht haben mit ihren Protesten und dass in unserem Land viele Dinge verbessert werden können." Ausgerechnet die Sportler, die großen Profiteure der Großereignisse, solidarisieren sich also mit der Basis. Was in Brasilien gerade passiert, ist ein spannender Prozess, der mehr sein kann als nur ein kurzfristig auftretender Protest gegen eine Großveranstaltung. Diesmal sind es Hunderttausende, die auf die Straße gehen, nicht weil sie gegen den Fußball oder Olympia sind, sondern weil sie einen fairen Ausgleich einfordern. Der Steuerzahler, der am Ende für die Ereignisse gerade stehen muss, fordert ein Mitspracherecht gegen die Monopole und den Gigantismus der Sportverbände FIFA und IOC.

Nur ein ehemaliger Weltfußballer enttäuscht seine Landsleute. "Man kann keine Weltmeisterschaft mit einem Krankenhaus machen." Man brauche Stadien, sagte Ronaldo und provozierte damit einen Sturm der Entrüstung im Netz. Innerhalb von nur 24 Stunden klickten mehr als 1,3 Millionen Menschen den Ausschnitt aus einer TV-Sendung im Internet an. Die fehlenden Investitionen in Krankenhäuser sind einer der wichtigsten Kritikpunkte der demonstrierenden Brasilianer. Ausgerechnet Ex-Weltfußballer Ronaldo, mittlerweile im Aufsichtsrat des lokalen WM-Organisationskomitees, galt bislang als Sympathieträger der WM-Macher. Er muss sich im neuen Brasilien erst noch zurechtfinden. Der Lernprozess hat gerade erst begonnen.

Der ehemalige brasilianische Nationalspieler Ronaldo posiert mit WM-Maskottchen Fuleco. (Foto: EPA/STEFFEN SCHMIDT, dpa)
Ex-Weltfußballer Ronaldo gab ein umstrittenes InterviewBild: picture-alliance/dpa