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30 Jahre Titanic

3. Oktober 2009

"Titanic - Das Erstbeste aus 30 Jahren": Unter diesem Titel präsentiert das caricatura-Museum Frankfurt zum runden Geburtstag des Satiremagazins Titelbilder und Zeichnungen; satirische Aktionen und juristische Konflikte.

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Plakat zur Ausstellung (Bild: Titanic/caricatura)
Das Plakat zur Ausstellung "30 Jahre Titanic"Bild: TITANIC/Caricatura
Titelbild Titanic 11/1979 (Bild: Titanic/caricatura)
Die Erstausgabe 11/1979: Ein Titelbild mit Badewanne gab es später noch einmal ...Bild: TITANIC/Caricatura

Die "verbotenste Zeitschrift Deutschlands", wie sie sich selbst nennt, ist natürlich eigentlich die freieste unter allen Publikationen. Denn schließlich kann sie sich nicht nur auf die Meinungs- und Pressefreiheit berufen, sondern auch noch auf die Freiheit der Kunst. Und auf die Freiheit der Satire.

Dem schräggestellten Titelschriftzug zum Trotz: Im Gegensatz zum legendären Luxusdampfer hält sich das Magazin "Titanic" seit 30 Jahren über Wasser.

Gegründet wurde es 1979 von Robert Gernhardt, Peter Knorr, Chlodwig Poth, F.K. Waechter und Hans Traxler. Eine Luxus-Erstbesatzung aus berühmten Zeichnern und Dichtern also für das "Flaggschiff des deutschen Humors" - wie die "Titanic" zuweilen genannt wird.

"Flaggschiff des deutschen Humors"?

Titelbild Titanic 4/2006 (Bild: Titanic/caricatura)
Die Ausgabe 4/2006: "Titanic" ist kein Fan von "Tokio Hotel"Bild: Tit

Wobei man einschränkend sagen muss: Satire, das ist (wahrscheinlich nicht nur) in Deutschland ein Eliten-, also ein Minderheitenhumor. In ihrer Mehrzahl lachen die Deutschen wohl über anderes: Früher über die pfiffig-harmlosen Scherze eines Heinz Erhardt, später über die zwar geistvollen, aber auch nicht gerade anarchischen Sketche eines Loriot.

Und mittlerweile über so genannte Comedy, dargeboten in Privatsendern. Ein Satiremagazin ist also zwangläufig kein Massen-, sondern ein Nischenprodukt. Aber immerhin reichen der "Titanic" die pro Ausgabe etwa 70.000 verkauften Exemplare zum Überleben.


Viel Feind, viel Ehr ...

Titelbild Titanic 4/1993 (Bild: Titanic/caricatura)
Ein Skandal: Björn Engholm 1993 in der Badewanne des toten Uwe BarschelBild: TITANIC/Caricatura


Auch wenn selbst das "endgültige Satiremagazin" nicht immer frei von humoristischen Durststrecken ist - immer wieder gelingt es ihm, mit einem Titelblatt oder einer Karikatur so anzuecken, dass es scheppert. Dann gibt es Appelle an das gesunde Volksempfinden in der "Bild"-Zeitung, die ja übrigens manch einer für das eigentliche Satireblatt hält.

Oder ein "verunglimpfter" Politiker oder eine im sittlichen oder religiösen Empfinden getroffene Institution klagt vor Gericht. Meistens erfolglos, dann bringt das der "Titanic" kostenlose Extra-Publicity. Manchmal aber auch erfolgreich - 1993 im Fall Björn Engholm geriet das Magazin durch die damals hohe Schadenersatzsumme von 40.000 DM und die noch höheren Prozesskosten an den Rand der Pleite.

Was kümmert es die deutsche Eiche ...

... wenn sich die Wildsau an ihr wetzt: Ein Politiker zog übrigens nie vor Gericht, obwohl er, "Birne" genannt, als Stammgast und Lieblingsopfer von "Titanic" mehr als 50 Titelbilder zierte: Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl. Entweder aus Klugheit; oder weil er das Blatt, wie ja angeblich auch den "Spiegel", einfach ignorierte.

Titelbilder Titanic 4/1992, 11/1998 und 10/1985 (Bilder: Titanic/caricatura)
Weitere wegweisende "Titanic"-TitelBild: TITANIC/Caricatura

Vorsicht, Falle ...

Titelbild Titanic 5/1999 (Bild: Titanic/caricatura)
Schröder, Scharping und Fischer kalauern 1999 über den BalkankriegBild: TITANIC/Caricatura

Auch die "Titanic" geht mit der Zeit und verlässt sich nicht allein auf ihre Print-Ausgabe: Mittlerweile mischen die Blattmacher die Republik auch immer wieder mit "Aktions-Satire" auf: 1988 schmuggelte sich der damalige Chefredakteur Bernd Fritz inkognito in die Fernsehshow "Wetten, dass..?" ein und gab vor, er könne die Farbe eines Buntstifts am Geschmack erkennen.

1999 ging der baden-württembergische Wirtschaftsminister Walter Döring der Redaktion auf den Leim, als eine fiktive "Edmunda Zlep" ihm angeblich ihr Vermögen in Millionenhöhe vermachen wollte. Der Politiker ging hocherfreut auf das großherzige Angebot ein und übermittelte seine Privat-Kontoverbindung.

"Titanic" holt die WM nach Deutschland ...

Titelbild Titanic 8/2000 (Bild: Titanic/caricatura)
Das Titelbild 8/2000: FIFA-Generalsekretär Blatter vergibt die WM an ... Deutschland? Nein, an "Titanic"...Bild: TITANIC/Caricatura

Den absoluten Coup landete die "Titanic" ein Jahr später: In der Nacht vor der endgültigen Entscheidung über die Vergabe der Fussball-WM 2006 bekamen mehrere Delegierte des Weltverbandes FIFA Bestechungs-Faxe unter der Hotelzimmertür durchgeschoben: Eine ominöse WM-Initiative "TDES", die Buchstaben standen für "Titanic - das endgültige Satiremagazin", versprach ihnen einen Wurstkorb aus dem Schwarzwald und eine Kuckucksuhr, wenn sie für Deutschland votieren würden.

Absurderweise brachte die Aktion einen Delegierten völlig durcheinander: Er fühlte sich von allen Seiten so bedrängt, dass er sich in der Abstimmung tags darauf der Stimme enthielt. Damit ging die WM tatsächlich und ziemlich überraschend an Deutschland - dank "Titanic".

Auch die internationale Presse fiel zunächst auf die Geschichte herein - so abwegig war der Verdacht einer Bestechung ja auch gar nicht. Später gab es dann Lob, gerade aus England: Die sind doch gar nicht so humorlos, die Deutschen ...

Ganz ernst gemeint ...

Titelbild Titanic 10/2009 (Bild: Titanic/caricatura)
Die Ausgabe 10/2009: 30 Jahre "Titanic" sind geschafftBild: TITANIC/Caricatura

Den Lauf der Geschichte will das Blatt, genauer gesagt der ehemalige Chefredakteur Martin Sonneborn, auch in der deutschen Politik weiter mitgestalten: Seit 2004 tritt seine Partei mit dem schönen Namen "Die Partei" bei Wahlen an. Auch hier wird die satirische Absicht, etwa die "endgültige Spaltung Deutschlands", von manch einem für bare Münze genommen.

Und wie sind die Zeiten für Satire heutzutage, so ganz "im Allgemeinen"? Die Bereitschaft, sich aufzuregen, nimmt ab. Die gesellschaftlichen Tabus sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren, jedenfalls im westlichen Kulturkreis.

Aber zumindest gibt es ja jetzt in Deutschland eine neue Regierung. Der "Titanic", ihren Zeichnern, Textern und Aktionssatirikern wird der Stoff nicht völlig ausgehen in den nächsten Jahren.

Autor: Michael Gessat

Redaktion: Thomas Grimmer/Hartmut Lüning