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Das Erbe des Bürgerrechtlers

Konstantin Klein25. April 2002

In den USA ist zur Zeit niemand mehr so sicher, ob beim Ertönen der Worte "I have a dream" wirklich der Traum Martin Luther Kings gemeint ist. DW-TV-Korrespondent Konstantin Klein über das Erbe des Bürgerrechtlers.

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Aus dem Fernseher dröhnt eine jedem Amerikaner vertraute Stimme: "I have a dream" - der Höhepunkt von Martin Luther Kings Rede, gehalten zu Füßen der Kolossalstatue Abraham Lincolns in Washington am 28. August 1963, jagt Amerikanern auch heute noch kalte Schauer über den Rücken. Doch an diesem Abend, auf diesem Bildschirm, ist alles anders.

Da ist zwar das vertraute Schwarzweißbild des Bürgerrechtlers, und auch der Ton ist verrauscht wie immer. Doch wo in der Erinnerung des Zuschauers eine Viertelmillion gebannt dem Reverend zuhört, erstreckt sich diesmal die gähnende Leere der verlassenen Mall.

Die Nachricht, die der internationale Telecom-Konzern Alcatel mit dieser elektronisch verfremdeten Sequenz unters Volk bringt, lautet: Stell Dir vor, Martin Luther King spricht, und keiner hört zu. Die Werbebotschaft: Auch das beste Anliegen braucht einen Transportweg. Von Alcatel, beispielsweise.

Wieviel Alcatel für die Erlaubnis bezahlt hat, die historischen Aufnahmen zu verwenden, ist nicht bekannt, wohl aber, wer das Geld kassiert hat: die Hinterbliebenen, vor allem Kings Witwe Coretta Scott King und sein Sohn Dexter.

Ebenfalls im Angebot der Kings: die Erlaubnis für ein King-Denkmal, das Kings alte Studentenvereinigung ihm setzen wollte, und sogar die Genehmigung für einen (bisher nicht zustandegekommenen) Martin-Luther-King-Vergnügungspark, von Kritikern gehässig "I have a dreamland" getauft.

Kein Mensch würde sich aufregen, wenn die mutmaßlichen Millionen beispielsweise dem King Center in Atlanta zugute kämen. Doch Besucher des Zentrums berichten von Löchern im Teppich und Gestank auf den Toiletten. Und Kritiker der geschäftstüchtigen King-Nachkommen weisen auf die Ironie der Tatsache hin, daß der gleiche King, der kurz vor seiner Ermordung einen "Marsch der Armen" nach Washington plante, 34 Jahre später mit dem Einverständnis seiner Familie Werbung für globale Multis macht.

Zum Traum aller Amerikaner gehört eben auch, gegebenenfalls in finanzieller Form, das Streben nach Glück. Aber das ist wieder aus einer ganz anderen Quelle. Aus der Unabhängigkeitserklärung der USA vom 4. Juli 1776.