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Das Erdbeben von Tangshan - folgenschwerste Naturkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Gui Hao 28. Juli 2006

Vor 30 Jahren wurde die nordchinesische Millionenmetropole Tangshan innerhalb weniger Sekunden durch ein Erdbeben fast komplett zerstört. Politisch geschah dies in einer schwierigen Phase. Zeitzeugen erinnern sich.

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Das Beben in Tangshan hinterließ ein TrümmerfeldBild: picture-alliance/dpa

Es geschah am 28. Juli 1976, in tiefster Nacht, um 3.42 Uhr. Es überraschte den Tangshaner Xu Min im Schlaf. Damals war er 15 Jahre alt und Lehrling in einer Textilfabrik: "Der Himmel und die Erde gerieten ins Wanken. Die Maschinen in der Werkstatt fielen um und das Dach der Wohnheime stürzte ein. Mauerteile hatten mich begraben. Ich verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, war es dunkel, ich lag bereits im Freien. Das Gebäude existierte nicht mehr. Ich konnte mich selbst aus dem Schutt befreien. Die Stadt hatte sich verändert. Die meisten Gebäude waren eingestürzt. Überall hörte ich Hilferufe. Das war schrecklich."

Sensibel Phase chinesischer Politik

30 Jahre nach dem Erdbeben von Tangshan
Denkmal der Katastrophe in TangshanBild: picture-alliance/dpa

Offizielle chinesische Stellen sprechen von etwa 240.000 Toten, andere Schätzungen reichen bis zu 500.000 Toten. Chinesische Seismologen gaben die Stärke des Erdbebens mit 7,8 auf der Richterskala an. Keine andere Naturkatastrophe des 20. Jahrhunderts forderte mehr Todesopfer.

Das Erdbeben fiel in eine sensible Phase chinesischer Politik: Mao lag bereits im Sterben, am 9. September 1976 schließlich starb er. Nach zehn Jahren zeichnete sich das Ende der Kulturrevolution ab.

Das Beben sollte geheim gehalten werden

Die Revolutionäre wollten das Beben und seine Folgen geheim halten. Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert, eine Ausnahme bildeten lediglich Ärzte. Am Tag danach wurden landesweit Mediziner aufgerufen, in die Krisenregion zu kommen. 1400 Kilometer entfernt machte sich Dr. Kwei Kun in der Stadt Nanjing bereit für den Katastropheneinsatz. Etwa 40 Ärzte bildeten sein Team, das mit anderen Teams in der Stadt Verletzte versorgen sollte.

Der reguläre Betrieb auf den Bahnschienen zwischen Nord- und Südchina wurde nach dem Erdbeben eingestellt. Dr. Kwei fuhr zuerst mit einem speziellen Zug, die letzten 200 Kilometer zum Ziel musste er in einem Militärtransporter zurücklegen. Sein erster Eindruck war verheerend: "Fast alle Gebäude waren eingestürzt. Es gab teilweise heftige Nachbeben. Lediglich eine alte Pagode außerhalb der Stadt war stehen geblieben. Das konnte ich erst auf der Rückfahrt sehen. Die Leute schliefen in Notunterkünften und Zelten."

Opfer mussten ohne schweres Gerät geborgen werden

30 Jahre nach dem Erdbeben von Tangshan
Obdachlose Opfer aus Tangshan wurden auch in provisorischen Unterkünften in Peking untergebrachtBild: picture-alliance/dpa

Mehr als 90 Prozent der Häuser lagen in Trümmern. Zehntausende von Ärzten und Hunderttausend Soldaten waren zu Bergungsarbeiten in der Stadt eingetroffen. Sie hatten jedoch kein schweres Gerät und versuchten die Überlebenden mit bloßen Händen aus den Trümmern zu befreien. Militärhubschrauber kreisten über der Stadt und versprühten Desinfektionsmittel, um den Ausbruch von Seuchen zu vermeiden. Leichen wurden sofort tief begraben. Verletzte wurden in der Stadt behandelt.

Das Ärzteteam um Dr. Kwei ließ sich auf einem Schulhof nieder. "Ich kam in einem Zelt unter. Die Verletzten lagen auf dem Sportplatz. Dort wurde ein großes Zelt als Lazarett eingerichtet. Uns gelang es, einige Operationen bei Patienten mit inneren Blutungen durchzuführen. Auch ein mobiles Röntgengerät hatten wir dabei. Damit konnten wir Knochenbrüche bei den Verletzten feststellen. Doch unsere Medikamente gingen schnell zur Neige. Auf so eine Menge von Verletzten waren wir nicht vorbereitet", erinnert sich der Arzt.

"Wer sprach denn in der Kulturrevolution über Geld?"

Aus Misstrauen und aus ideologischen Gründen lehnte Peking jede ausländische Hilfe ab. Das kommunistische Land werde selbst mit der Naturkatastrophe fertig werden, hieß es. Später brachte die Regierung Schwerverletzte aus der Krisenregion mit dem Zug heraus. Sie wurden in anderen Städten medizinisch versorgt. Dr. Kwei blieb mit seinem Team drei Wochen in Tangshan. Für seinen Einsatz rund um die Uhr bis zum Umfallen erhielt er keinen Lohn. "Keinen einzigen Cent. Wer sprach denn in der Kulturrevolution über Geld? Keiner wollte Geld. Ich bin einfach so hingefahren." Später erhielt der Arzt eine weiße Tragetasche und einen Orden als Dankeschön. Die Tasche trägt einen Spruch von Mao, der angesichts der Katastrophe wie Hohn wirkt: "Die Menschen besiegen den Himmel."