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Das Festival als Lernort

30. April 2010

Die internationalen Kurzfilmtage Oberhausen sind das größte und älteste Festival für den Kurzfilm. Rund 400 Werke werden dort gezeigt. Im Wettbewerb geht es um Landschaften und Grenzen.

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Der Eingang des wichtigsten Festivalortes der Kurzfilmtage - das Kino Lichtburg in Oberhausen Foto: Alexander Jarecka
Oberhausener Festspielort: das Kino LichtburgBild: DW/Alexandra Jarecka

In Oberhausen sind am Donnerst die 56. Internationalen Kurzfilmtage eröffnet worden. Es ist weltweit das renommierteste Festival, dass sich ausschließlich dem Kurzfilm widmet. Bis zum 4. Mai werden dort rund 400 Werke in acht Sektionen gezeigt. Darunter die Hauptkategorien: der Internationale und der Deutsche Wettbewerb. Im Internationalen Wettbewerb geht es in diesem Jahr vor allem um "Landschaften und Grenzen". Wir haben mit Lars Henrik Gass gesprochen, dem Leiter der Kurzfilmtage.

DW-World: Herr Gass, was ist Ihnen thematisch bei den vielen Filmen aufgefallen, die eingereicht wurden?

Lars Henrik Gass, der Leiter des Kurzfilfestivals in Oberhausen Foto: Afraa A. Mohamad
Bild: Afraa A. Mohamad

Lars Henrik Gass: Es gibt in diesem Jahr sehr viele Filme, die Krisen zum Thema haben, persönliche, familiäre, aber auch wirtschaftliche. Und wir sehen das schon als einen gewissen Reflex, wenn auch mittelbar, auf die Wirtschaftskrise, die wir zurzeit erleben. Wobei nur die wenigsten Filme wirklich explizit sich auf solche Krisen beziehen.

"Wir wollen nicht das Gesamtbild der Einreichungen zeigen"

Konnten Sie gewisse Trends bei der filmischen Umsetzung erkennen?

Es ist immer sehr schwierig aktuell von Trends zu sprechen, weil man eigentlich erst zwei, drei Jahre später sagen kann, ob sich etwas durchsetzt. Und manchmal gibt es ein Bild, das sich im nächsten Jahr schon wieder als Makulatur erweist. Da bin ich wirklich sehr vorsichtig. Im Übrigen muss man auch sagen, dass wir nicht unbedingt das Gesamtbild der Einreichungen abzubilden versuchen, sondern sehr bewusst eine Auswahl treffen von Arbeiten, die wir für besonders interessant halten. Das sind in diesem Jahr mehrheitlich Animationsarbeiten.

"Welche Bedeutung haben Grenzen überhaupt noch?"

Der Internationale Wettbewerb steht in diesem Jahr auch unter dem Motto "Landschaften und Grenzen". "Exodus" von Almagul Menilibayeva aus Kasachstan etwa handelt davon, wie Menschen die Steppe verlassen; John Smith hat sich für "Flag Mountain" nach Zypern aufgemacht, wo in der geteilten Hauptstadt Nikosia die Gesänge des Imams auf der türkischen Seite übergehen in das Glockengeläut der griechischen Kirchen. Und in Halberstadt, im Film "Es wird einmal gewesen sein" von Anca Lazarescu, tönt eine Orgelkomposition von John Cage 639 Jahre. Wollen Sie in Oberhausen Grenzen neu definieren?

In einer globalisierten Welt ist es ganz klar, dass sich Filmemacher und auch alle anderen Menschen mit der Frage beschäftigen, welche Bedeutung Grenzen überhaupt noch haben. Ob Grenzen vielleicht wieder wichtiger werden, oder ob es im Gegenteil darum gehen muss, Grenzen abzubauen. Was sind das für Grenzen? Sind das kulturelle oder ethnische Grenzen, oder auch Grenzen im Kopf? Und das sind Themen, die viel mit unserem aktuellen Lebensumfeld zu tun haben und die sich in den Filmen widerspiegeln.

Szenenbild aus dem Film "Exodus" von Almagul Menlibayeva Foto: Almagul Menlibayeva
Szenenbild aus "Exodus"Bild: Almagul Menlibayeva

Sind die Kurzfilmtage auch auf der Suche nach Identität, oder wie ist das Motto der Diskussionen "Die Illusion des Ich" zu verstehen?

Die "Illusion des Ich" ist im Grunde eher der Versuch, ein neues Format in dieser Reihe "Podium" auszuprobieren. Was uns zurzeit sehr interessiert, das ist die Frage, wie man akademische Arbeitsweisen und künstlerische Arbeitsweisen auf einem Festival neu in Beziehung setzen kann. Also das, was man möglicherweise traditionell an einer Universität macht, was man vielleicht an einer Kunsthochschule macht, das, was ein Festival macht, alles das neu in Frage zu stellen. Wir wollen das Festival als einen Lernort neu begreifen.

"Ein Kino voller Ideen, die noch heute nachwirken"

Bei den diesjährigen Kurzfilmtagen geht es nicht nur um aktuelle Produktionen und um die Zukunft des Mediums Film, sondern eine spezielle Sektion widmet sich auch der Vergangenheit: "Vom Meeresgrund: Das Experiment Film 1898 – 1918" lautet der Titel. Was gibt es da zu entdecken? Und warum widmen sich die Internationalen Kurzfilmtage gerade den ersten beiden Jahrzehnten der Filmgeschichte?

Was uns fasziniert an dieser sehr frühen Phase des Kinos, das ist die Entstehungsphase. Dass dort das, was wir heute als selbstverständlich ansehen, also dass es Genres gibt wie Spielfilme oder Experimentalfilme und diese Dinge, dass das damals überhaupt keine Rolle spielte. Es gab auch keine Unterteilung in Hochkultur, Subkultur oder verschiedene Zielgruppen. Und man merkt, dass die Menschen noch sehr damit beschäftigt waren, erst einmal die Technik zu verstehen und mit dieser Technik Dinge auszuprobieren. Das heißt, man kann wirklich dem Medium beim Entstehen zuschauen. Und das finden wir sehr interessant. Wir stellen beispielsweise auch fest, dass das frühe Kino nicht unbedingt Schwarz/Weiß war. Im Gegenteil, damals waren viele Filme farbig. Und man merkt auch, dass viele Vorurteile, die man zu diesem frühen Kino hat, gar nicht zutreffen. Es ist ein außerordentlich humorvolles, populäres Kino, ein Kino, das voller Ideen ist, die heute noch nachwirken. Ob das nun im Science-Fiction-Film ist oder auch im Animationsfilm. Es ist ein sehr experimentelles Kino. Aber ohne elitär zu sein. All das kann man da entdecken.

"Ein Schatz, den es zu heben gilt"

Sie widmen sich traditionell auch den Kindern und der Filmarbeit mit Kindern, etwa wie man Kinder ermutigen kann, sich mit Künstlerfilmen auseinanderzusetzen. Sehen Sie dies als eine Art Aufbauarbeit für zukünftige filminteressierte Generationen?

Es ist heute üblich sich auch mit Filmbildung zu beschäftigen, überhaupt mit kultureller Bildung. Da sind wir nicht allein. Dennoch glaube ich, dass das Thema Filmbildung gerade auch mit Blick auf den kurzen Film noch bei Weitem nicht ausgeschöpft ist. Man kann nicht erwarten, dass sich junge Menschen fürs Kino interessieren, wenn man im Unterricht überhaupt kein Wissen über Kino und Film vermittelt. Es gilt als selbstverständlich, dass man seinen Goethe liest, aber schon als weniger selbstverständlich, dass man in Deutschland in der Schule lernt, wer Fassbinder war. Und das finde ich sehr bedauerlich. Ich glaube im Übrigen auch, dass kurze Filme wegen ihrer Kürze sehr geeignet sind, um in kurzen Unterrichtseinheiten eingesetzt zu werden. Und dass vor allen Dingen kurze Filme sehr viele Themen zum Gegenstand haben, die im Unterricht mit Gewinn eingesetzt werden können, etwa das Aufwachsen von jungen Menschen, Geschlechterkonflikte, familiäre Probleme, aber auch kulturelle Widersprüche und Konflikte. Das ist ein Schatz, den es zu heben gilt.

Findet man in dieser Studie Ansätze dazu, wie die Filme jungen Menschen präsentiert werden sollten?

Das Thema "Vermittlung von Kunst" generell ist in den letzten Jahrzehnten leider nicht in dem Maße gewürdigt worden, wie das vielleicht notwendig gewesen wäre. Daher ist das für uns alle auch Aufbauarbeit. Wir müssen feststellen, dass die Schulen unter starkem Zwang stehen, bestimmte Lehrpläne absolvieren zu müssen. Eigentlich befindet man sich in der etwas schwierigen Situation, auf kulturelle Bildung in einer Zeit drängen zu wollen, in der Effizienz, bestimmte Ergebnisse oder bestimmte Noten Vorrang haben. Es handelt sich also auch für uns um einen Lernprozess: Wie kann man eigentlich auf eine lustvolle interessante Weise Film im Unterricht vermitteln?

Das Gespräch führte Bernd Sobolla

Redaktion: Jochen Kürten