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Das Festival schloss, bevor es geöffnet hatte

Ulrich Fischer13. Juli 2005

Das wichtigste französische Sommerfestival in Avignon ist wegen des Streiks der Angestellten endgültig abgesagt worden. Was ist passiert und was hätte passieren sollen?

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Das altehrwürde Avignon im ArbeitskampfBild: AP

Beim Sommerfestival in der alten Papst-Stadt Avignon, das in Frankreich wohl das höchste Prestige genießt, fiel die Eröffnung im traditionsreichen Ehrenhof des Papstpalastes aus. Am zweiten Tag (6.7.05) wurden alle Aufführungen abgesagt - und die Gerüchteküche brodelte. Künstler mit Zeitverträgen streikten. Wie würde der Leiter des Festival d'Avignon, Bernard Faivre d'Arcier, sich verhalten?

Am Donnerstag (7.7.05) rief er zu einer Pressekonferenz. Der Hof des Klosters zum Heiligen Ludwig war mit Journalisten vollgestopft, um 12.20 Uhr war es soweit: "Ce 57e Festival est clos." Bernard Faivre d'Arcier stellte fest, dass das Festival in Avignon 2005 nicht stattfindet, er erklärte das Festival d'Avignon für geschlossen. Statt der Festivalfanfaren am Abend gab es in Avignon Protest am Mittag.

Bühne für Gewerkschafter

Frankreichs Regierung plant, die Dauer des Bezugs von Arbeitslosengeld für Bühnenangehörige mit Zeitverträgen zu verkürzen - dagegen wenden sich Betroffene mit einem Streik. Seit der für den vergangenen Dienstag (5.7.05) geplanten Eröffnung des Festivals legen sich Tag für Tag hunderte Aktivisten, vor allem junge Leute, auf die Rue de la République, Avignons Hauptstraße: stumm; dann stehen sie auf und erheben ihre Stimmen.

Für viele Zeitungen in Frankreich ist der Streik eine Spitzennachricht. Mehr Öffentlichkeit hätten sich die Gewerkschafter kaum wünschen können. Der Druck auf ihren Gegner, Frankreichs Regierung, ist immens. Jeweils abends entscheiden die Betroffenen, ob sie ihren Streik um einen Tag verlängern.

Wölfe in den Hauptrollen

Die zunehmende Arbeits- und Perspektivlosigkeit, die die Streikenden befürchten, ist auch zentrales Thema des Stücks, das zum Beginn im Ehrenhof des Papstpalastes gespielt werden sollte: Alain Platels

"Wolf ... oder wie Mozart auf den Hund kam".

Alain Platel hatte mit der Uraufführung von "Wolf" bei der deutschen RuhrTriennale Anfang Mai 2005 in der Stadt Duisburg, einem anderen Zentrum sozialer Probleme, bemerkenswerten Erfolg. Das gattungsübergreifende Stück spielt in einer heruntergekommenen Vorstadt. Die Akteure: Sängerinnen, Tänzer, Schauspieler, eine

Akrobatin, weisen auf soziale Brennpunkte, wie es sie überall in Europa gibt, wirkungsvoll kontrastiert mit Kompositionen von Wolfgang Amadeus Mozart, die Sylvain Cambreling eigens für diese Produktion bearbeitet hat.

Platel und sein Ensemble wären gern in Avignon aufgetreten, doch der Regisseur und Choreograph aus Belgien unterstützt das Anliegen der Streikenden, wollte sich auf keinen Fall gegen die Techniker stellen und auch nicht im Schutz der Polizei spielen.

Der Tanz der Globalisierer

Dabei wollte der Festivalleiter im französischen Avignon doch schon seit letztem Jahr mit dem Festival neue Impulse geben: "Wir sind vor allem ein Schauspiel-Festival, ein Festival, in dem das Schauspiel den Tanz einlädt. Ich wähle Choreographien aus, die mir für ein Schauspielpublikum wichtig scheinen. Ich möchte gern die Sehkultur des Schauspielpublikums für den Tanz weiten, denn ich denke: die Ziele des zeitgenössischen Tanzes und Schauspiels sind eng verbunden."

Kein Zweifel, auch im Programm dieses Jahres hätte, wie immer in Avignon, das Schauspiel dominiert. Herausragend die neue Arbeit des Sonnentheaters, des Théâtre du Soleil: "Le Dernier Caravansérail" - "Die letzte Karawanserei", ein Stück über Flüchtlingsprobleme heute in einer unter den Folgen der Globalisierung stöhnenden Welt.

Weder On noch Off

Neben dem großen Festival war, wie immer, ein Off-Festival geplant. Das Off-Festival erklärte sich überwiegend mit den Streikenden solidarisch, erklärte dann aber doch aufzutreten. Im Stadtzentrum sind Zäune und Laternenpfähle bepflastert mit Plakaten, das Publikum sollte zwischen mehr als 700 verschiedenen Angeboten wählen können.

Abends auf dem Platz vor dem Rathaus kamen in den letzten Jahren stets Ensembles in Kostüm und Maske und boten kleine Ausschnitte aus ihrem Programm, um für ihren Auftritt zu werben. Bands, Feuerschlucker, Zauberkünstler, Straßenmusiker wetteiferten um die Gunst des Publikums. In diesem Jahr fehlt dieses Flair bislang - die Stadt und die Geschäftsleute fürchten um die Anziehungskraft Avignons. Während das Ruhrgebiet mit der RuhrTriennale Anfang Mai, völlig ungewohnt, im Glanz eines avantgardistischen Festivals erstrahlt, stöhnen alle am Unterlauf der Rhône. In Avignon wie auch in Aix-en-Provence bleibt der Vorhang in diesem Jahr zu.