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Das Gedenken gilt allen Verfolgten

28. Februar 2015

Morgen wird im Gottesdienst darum gebeten, dass Gott sich an seine Güte erinnern möge. Eine überraschende Bitte. Für die evangelische Kirche erklärt Christoph Ehricht, warum wir diese Güte gerade zurzeit brauchen.

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Kloster Mor Gabriel in der Türkei
Das Kloster Mor Gabriel im Südosten Anatoliens. Mor Gabriel ist das geistige Zentrum der aramäisch sprechenden christlichen Minderheit und eines der ältesten Klöster der Christenheit.Bild: picture-alliance/dpa

„Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte“
Reminiszere – diesen schönen Namen trägt der zweite Passionssonntag. Er bedeutet „Gedenke“ und zitiert einen Vers aus Psalm 25: „Gedenke Herr an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind“. Ich stutze jedes Mal, wenn ich diesen Appell des Psalmbeters an Gott höre oder lese. Gewöhnlich und sehr zu Recht ermahnen wir uns ja gegenseitig zum Gedenken. Aber ob man wirklich aus dem Gedenken geschichtlicher Ereignisse lernen kann, ist umstritten. Die vielen Gedenktage im zu-rückliegenden Jahr 2014 bieten bedrückende Beispiele genug dafür, dass diese Lernfä-higkeit der Menschen sehr begrenzt ist. Hinter dem Appell des Psalmbeters steht daher wohl die resignierte Einsicht, dass wir eben nicht klug werden aus den Fehlern der Ver-gangenheit. Darum spricht er die flehentliche und geradezu beschwörende Bitte aus, dass Gott seine Barmherzigkeit und Güte nicht vergessen möge, die von Ewigkeit her gewesen sind

Menschen werden wegen ihres Glaubens verfolgt
In den evangelischen Kirchen Deutschlands ist diese Bitte an Gott am Sonntag Reminiszere seit fünf Jahren mit einer sehr belastenden Zuspitzung verbunden. In den Gottesdiensten wird mit besonderer Fürbitte der Situation verfolgter christlicher Minderheiten gedacht. In diesem Jahr sollen die Christen in der Türkei im Mittelpunkt des Gedenkens stehen.

Wir dürfen die Opfer von Intoleranz nicht vergessen
Ich erinnere mich noch, mit welcher Bestürzung ich in einem Kirchengeschichtslehrbuch meiner Studienzeit gelesen habe, dass nicht das zweite oder dritte nachchristliche, sondern das zwanzigste Jahrhundert das Jahrhundert der bisher schlimmsten Christenverfolgungen ist. Vor allem im Blick auf die Diktaturen in Deutschland und in der Sowjetunion hatte der Autor Kurt Dietrich Schmidt dies damals geschrieben. Heute müssen wir befürchten, dass das einundzwanzigste Jahrhundert seinen Vorläufer noch überbietet. Ich fühle mich ohnmächtig und bin fassungslos, wenn ich davon höre, wie mitten in unserer heutigen Welt, in Afrika die Bewohner christlicher Dörfer niedergemetzelt werden, christliche Schülerinnen entführt und versklavt und in arabischen Ländern Frauen zum Tode verurteilt oder in China Männer in Umerziehungslager verbannt werden, weil sie sich zum Christentum bekehrt haben. Oder wenn in der Türkei der Neubau von Kirchen verboten ist und Versammlungen der Gemeinde behindert werden. Wo bleibt der Aufschrei der Kirchen oder warum wird er nicht gehört, so frage ich mich. Dabei ist es natürlich nicht sachgerecht und nicht weiterführend, vordergründige oder verallgemeinernde Schuldzuweisungen an andere Religionen vorzunehmen. Aber zu welch schrecklichen Dingen Fanatismus und religiöse Intoleranz führen, dass muss deutlich beim Namen genannt werden. Wir sind es uns selber, unseren Erfahrungen aus der eigenen Geschichte, aber vor allem unseren verfolgten Schwestern und Brüdern schuldig. Und wir sind es ihnen schuldig, in unserer Fürbitte nicht nachzulassen: Gedenke Herr an deine Barmherzigkeit und Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind. Wehre dem Unrecht und der Gewalt. Bring uns Menschen endlich zur Besinnung, damit wir friedlich zusammenleben.

Pfarrer Christoph Ehricht, Greifswald
Pfarrer Christoph Ehricht, GreifswaldBild: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik

Zum Autor: Christoph Ehricht, Jahrgang 1950, studierte evangelische Theologie an der Universität Greifswald. Vier Jahre war er dann wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kirchenge-schichte in Greifswald. Nach einigen Jahren als Gemeindepfarrer in Gützkow war er später theologischer Dezernent im Konsistorium der pommerschen Kirche - in Greifswald. Dann verließ er diese Stadt für 3 Jahre und war von 1999 - 2002 Propst in St. Petersburg. Nach seiner Rückkehr nach Greifswald ist er dort wieder im Dienst der pommerschen Kirche, und zwar als Landespfarrer für Diakonie. Christoph Ehricht ist verheiratet, hat zwei Töchter und einen Enkel.

Verantwortlicher Redakteur: Pfarrer Christian Engels