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Interview mit dem Europaparlamentarier Thomas Mann

Das Interview führte Esther Broders10. März 2009

Am 10. März 1959 hatten sich in der tibetischen Hauptstadt Lhasa tausende Menschen gegen die chinesische Besatzung erhoben. Die Aktion wurde gewaltsam niedergeschlagen, der Dalai Lama flüchtete ins Exil nach Indien.

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Thomas Mann im Gespräch (Foto: Thomas Mann)
Im Interview: Europaparlamentarier Thomas MannBild: MdEP

Fokus Europa: Wie stehen die Chancen, dass es trotz dieser Vorzeichen bald zu einer friedlichen Lösung kommen wird?

Thomas Mann: Frieden kann man nicht garantieren. Man kann ihn nur wollen. Der Dalai Lama hat ja zu Geduld aufgerufen. Er hat gesagt, der Weg der Gewaltlosigkeit muss beibehalten werden. Das ist seine Zielsetzung. Aber es könnte natürlich auch anders kommen: Es könnte ein Zeichen sein nicht von massivem Protest, um zu sagen, wir wollen in die Schlagzeilen, sondern ein Zeichen der Verzweiflung, denn die Dinge in Tibet haben sich nicht verändert. Wir erleben gerade, dass die Soldaten die Klöster abriegeln, dass den Tibetern die Handys weggenommen werden, damit sie keinen Kontakt nach draußen haben. Wir haben jede Menge Erfahrungen mit Videokameras - da gab es auch etliche Bilder aus Lhasa und anderen Städten, von den Märkten. Die Armee und die Sicherheitskräfte sind aufmarschiert. Man merkt schon: Das Gefängnis lebt.

Nun sagt die "Tibet Intergruppe" im Europäischen Parlament, dass sie weder Abspaltung noch Unabhängigkeit möchte, sondern stattdessen eine echte Autonomie. Wie sähe das in der Praxis konkret aus?

Der Dalai Lama hat sich nie von dem Weg abbringen lassen, zu sagen, wir wollen keine Eigenständigkeit haben. Deswegen versteht man die Chinesen gar nicht. Es geht nicht darum, dass man das chinesische Weltreich dezimiert, sondern es geht darum, eine Autonomie zu haben, die echt ist. Zur Autonomie gehört, dass man sich religiös darstellen kann, dass man die eigene Sprache spricht. Das ist aber nicht immer möglich. Es gehört zur Autonomie, dass die Tibeter einen vernünftigen Unterricht haben können, denn sie müssen ja ihre Wurzeln kennen. Wenn sie aber in die Geschäfte gehen, die Chinesen gehören, müssen sie Chinesisch reden. Die Tibeter dürfen auch ihre Religion nicht ausüben. Das sind alles nur Dinge, die nur im Geheimen stattfinden können. Sie können ihre Sprache nicht ausüben - wie soll man da Identität erzielen?

Deswegen ist die Position klar: Es muss eine Autonomie geben, in der das alles gewährleistet ist. Es gab ja ein Memorandum, das die Vertreter des Dalai Lama den chinesischen Stellen dargestellt haben. Das wurde rundweg abgelehnt. Dort sind nämlich die ganzen Kriterien drin, wie so eine Autonomie konkret aussehen soll. Wir haben einiges dazu getan, dass in einer der nächsten Sitzungen noch im März diesen Jahres im Europäischen Parlament im Außenpolitischen Ausschuss sowohl Vertreter der Tibeter als auch der Chinesen -sofern sie denn kommen - dabei sind, um über die Inhalte dieses Memorandums zu debattieren.

Wie viel Einfluss hat denn die EU tatsächlich?

Wir können in der Europäischen Union nur Vermittler sein - wie bei vielen Menschenrechtsfragen. Wir können ja so ein großes Land nicht boykottieren. Wir können ja nicht sagen: Wir sorgen dafür, dass bestimmte finanzielle Maßnahmen nicht mehr stattfinden. Wir können nicht sagen, wir machen einen Finanzboykott. Darüber lacht man ja. Das Wesentlich ist, immer wieder Die Einhaltung der Menschenrechte zu fordern: Es gibt keinen Fortschritt bei der Akzeptanz in verschiedenen Teilen der Welt, wenn man Menschenrechte nicht einhält. Dazu gehört die Akzeptanz von Minderheiten, dazu gehört, dass man Religion zulässt. Das müssen die Chinesen lernen. Viele von denen, die in der Verantwortung sind, sagen uns immer wieder: Menschenrechte, das ist so ein westliches Denken. Das machen wir, wenn die Menschen gut zu essen haben, wenn sie leben können. Und wenn wir uns den Luxus leisten können, können wir auch über Menschenrechte nachdenken. Das merkt man auch in der Realität: Vor den Olympischen Spielen wurden Dörfer plötzlich abrasiert, da wurden Staudämme gebaut, da haben die Leute nur wenige Stunden, um ihr Haus zu verlassen.

Vorwürfen, die EU mache zu viele zu große Kompromisse gegenüber Peking - wie begegnen Sie denen?

Die Vorwürfe stimmen in vielen Bereichen überhaupt nicht. Es gab den Versuch vom damaligen deutschen Kanzler Schröder zu sagen, das Waffenembargo gegen China wird aufgelöst. Es gab überall einen wütenden Protestschrei. Ich bin sehr stolz darauf, dass es das Embargo nach wie vor gibt. Frau Ferrero-Waldner, die für die Außenpolitik der Europäischen Kommission zuständig ist, ist mehrfach energischst aufgetreten. Wir haben die Einhaltung von Menschenrechten im Rahmen der Olympischen Spielen erhofft, damit das nachhaltige Wirkung hätte. Passiert ist da wenig. Die Chinesen fühlen sich unglaublich sicher. Sie haben ja auch in der UNO Bündnispartner. Viele afrikanische Länder werden gerade von den Chinesen als Bündnispartner angeworben. Die Maßnahmen der Chinesen zur Hilfe den Menschen gegenüber, erreichen eigentlich immer nur die herrschenden Cliquen.

Was kann und muss die EU tun, um gegenzusteuern?

Wir haben nur eine Chance: Immer wieder darauf hinzuweisen, dass Menschenrechte ein universelles Gut sein müssen. Das immer wieder anzumahnen ist ein wesentliches Unterfangen. Es wird ja auch immer wieder getan in den Dialogen der Europäischen Kommission mit China. Die hat ja den Auftrag für die Europäische Union zu verhandeln. Im Menschenrechtsbereich haben wir noch nicht genug erreicht. Das wissen wir, aber es gehört immer wieder auf die Tagesordnung. Und zwar nicht, weil ein paar Journalisten oder aufmüpfige Politiker im Europäischen Parlament das anfragen, sondern weil das zu der Art und Weise gehört, wie man miteinander umgehen muss.