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Das Gelächter – der Hoffnung letzte Waffe

7. Februar 2015

Von Narrenbischöfen und närrischem Treiben: Christian Feldmann spricht in einem Beitrag der katholischen Kirche über die Notwendigkeit, die Welt auch einmal auf den Kopf zu stellen und dem Chaos eine Chance zu geben.

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Karneval 2013 Köln Rheinland Weiberfastnacht OVERLAY
Verkleidete Karnevalisten klopfen in Köln an die Pforte des DomsBild: picture-alliance/dpa

In den deutschsprachigen Ländern, aber nicht nur hier, erreicht in den kommenden Tagen der Karneval seine heiße Phase. In Süddeutschland heißt er Fasching, im schwäbisch-alemannischen Raum Fasnet. Den Obrigkeiten, staatlichen wie kirchlichen, war das tolle Treiben oft genug ein Dorn im Auge. Ein Prediger des 15. Jahrhunderts empörte sich darüber, dass – Zitat – „Männer und Frauen die Kleidung tauschen und ihr natürliches Aussehen entstellen, indem sie sich abscheulich bemalen oder sich in Esels- und Bärenhäuten wie die Tiere aufführen.“ 1952 feierten die Lübecker so ausgelassen Karneval in ihrer noch von Bombenruinen entstellten Stadt, dass die Kirchen, evangelische wie katholische, aus Protest ihre Glocken schweigen ließen.

Es gibt freilich auch eine ganz andere Tradition. Aus dem Mittelalter sind erstaunliche Berichte überliefert, wie dieser aus einer französischen Kathedrale: „Die Priester erwählten einen Narrenbischof und führten ihn mit großem Pomp in die Kirche. Sie tanzten und gaukelten, mit Larven vor dem Gesicht und verkleidet als Frauenspersonen oder Tiere. Während der Narrenbischof die Messe las, aßen die Diakone auf dem Altar Würste und spielten Karten.“ Die Bischöfe erließen keine Sanktionen gegen das Treiben, sondern nahmen nicht selten begeistert daran teil.

Die Macht- und Namenlosen prangern an

Warum auch nicht? Der anarchische Rollentausch, die Verkehrung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die zeitlich begrenzte Zügellosigkeit – sie gehörten seit den babylonischen Neujahrsfesten und den römischen Saturnalien zu den alljährlichen Ritualen, zur Religion.

Denn was passiert da? Die sonst an den Rand Gedrängten, die Machtlosen und Namenlosen werden plötzlich zu Anführern, veralbern die Würdenträger, prangern im Schutz ihrer Maskerade Skandale und Ungerechtigkeiten an. Sie treten als das schlechte Gewissen der Gesellschaft auf. Die Hofnarren haben immer schon etwas von den Propheten an sich. Und dass die irdische Rangordnung bei Gott wenig gilt, weiß man nicht erst seit dem Magnificat, dem aufmüpfigen Gesang der schwangeren Maria im Lukasevangelium: „Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Lk 1,51 f.).

Auch Narren brauchen Gottes Hilfe

Über die Narren lacht man. Aber man beneidet sie auch, weil sie so herrlich frei sind von Abhängigkeiten und Zwängen, weil Narren sich der Anpassung verweigern und es wagen, unbefangen Blödsinn zu machen. Was eigentlich ziemlich viel Gottvertrauen voraussetzt und den Entschluss, nichts und niemanden auf der Welt zu fürchten. Nicht einmal die Obrigkeit. Diese weiß genau, wie gefährlich es ist, die heiligen Ordnungen als veränderbar zu entlarven, Alternativen vorzuführen. Narren zeigen, dass ein wenig Chaos nicht gleich den Weltuntergang bedeutet. Im Gegenteil. Über die unbefriedigende Wirklichkeit zu lachen, bedeutet ja immer auch die Hoffnung, dass es nicht so bleiben muss. Es kann gerechter, menschenwürdiger, lebenswerter zugehen. „Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“1), so hat ein amerikanischer Theologe vor Jahren ein ausgesprochen inspirierendes Buch überschrieben.

Natürlich ist das nicht immer nur fröhlich und lustig. Wenn die Freiheit ausprobiert wird und die Hemmungen fallen, gibt es auch Egoismus, Verantwortungslosigkeit, Gewalt. Die Maske macht Mut, die Wahrheit zu sagen – und sie erlaubt die Gemeinheit, die auf die Rechte des anderen pfeift. Der Schatten in uns gehört zum Menschen, im Karneval wird er uns vielleicht deutlicher bewusst als sonst. Aber es hilft nichts, den Schatten zu verdrängen. Freiheit und Verantwortung sind die beiden Seiten derselben Medaille. Es ist schon so: Auch die Narren brauchen Gottes Hilfe.

  1. Harvey Cox: „Fest der Narren – Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“, Kreuz-Verlag, 1970.

Zum Autor: Christian Feldmann, Theologe, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung. Er produzierte zahlreiche Features für Rundfunkanstalten in Deutschland und der Schweiz und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen in der Sparte „radioWissen“ beim Bayerischen Rundfunk. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.

Deutschland Christian Feldmann
Christian FeldmannBild: privat

Redaktionelle Verantwortung: Alfred Herrmann, Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkarbeit