1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Geschäft mit dem Acker

19. November 2011

Eine Schweizer Firma pachtet von Dorfbewohnern in Sierra Leone Land und pflanzt dort Zuckerrohr für europäischen Biosprit an. Die einen nennen es landwirtschaftliche Entwicklung, die anderen Land-Grabbing.

https://p.dw.com/p/Rrvg
Hinweisschild des Schweizer Konzerns Addax in Sierra Leone (Foto: DW)
Streitobjekt Biosprit-InvestmentBild: DW

Lungi Acre, nahe Makeni, im Herzen von Sierra Leone: Ein ärmliches Bauerndorf, wie so viele im ländlichen Afrika. Rund 600 Menschen leben hier in einfachsten Lehmhütten. Es gibt eine Laube für die Dorfversammlungen, ein paar Palmen, Feuerstellen auf dem Boden - aber noch immer keinen Strom, kein fließendes Wasser. Bis vor kurzem haben sie hier noch Reis, Maniok und Bohnen angebaut.

Doch seit Addax das Land rund ums Dorf gepachtet hat, ist alles anders. Dabei waren sie hier so froh über das Projekt. Ihren Grundbesitz haben sie gern abgegeben. Die Addax-Manager haben schließlich Entwicklung versprochen. Krankenhäuser, Schulen, bis zu 4000 gut bezahlte Jobs für die ganze Region, eine moderne landwirtschaftliche Ausbildung. Und, dass die Bauern für ihr Land entschädigt werden. Mit Geld - und mit anderen, besseren Feldern.

Verzweifelte Bauern: "Was wird aus uns?"

Doch die Bauern fühlen sich betrogen. Auch Alusine Koroma. Er kniet auf dem Acker und zerreibt knochentrockene Erde zwischen Daumen und Zeigefinger. "Der Boden hier ist nichts mehr wert für uns. Denn wenn das Feld einmal trocken ist, kann man nichts mehr machen. Keine Landwirtschaft mehr. Null. Wir haben nichts mehr hier. Schau Dir unsere Schulhütte an, wir haben nicht mal Lehrer für unsere Kinder. Und wir arbeiten für schlechte Löhne, ohne Regenzeug, ohne Schutzkleidung."

Bauern von Lungi Acre (Foto: DW)
Es geht um ihre Zukunft: Die Bauern von Lungi AcreBild: DW

Wie viele Männer im Dorf ist auch Alusine als Gelegenheitsarbeiter bei Addax angestellt. Mit gebücktem Rücken und einer Machete schlägt er Büsche und Wurzeln ab und rodet Wald, damit mehr Fläche frei wird für Zuckerrohr. Eine Knochenarbeit. Dafür bekommt Alusine 10.000 Leones am Tag, rund zwei US-Dollar. Doch das Geld reicht nicht einmal für einen Sack Reis. Der alte Dorfchef Brima Serry stützt sich ratlos auf seinen Gehstock. "Ich frage Dich: Wie um Himmels willen sollen wir denn hier überleben?"

Investition als Entwicklungsprojekt oder Land Grabbing?

Das Dorf Lungi Acre (Foto: DW)
Das Dorf Lungi AcreBild: DW

Beschwerden aus den Dörfern hört man bei Addax nicht gern - und will sie auch nicht nachvollziehen. Schließlich habe der Schweizer Investor seine Hausaufgaben gemacht - und die Bedürfnisse der Bevölkerung im Blick. "Das hier ist ein kommerzielles Projekt, ganz klar. Wir wollen Geld verdienen, aber wir investieren auch eine ganze Menge", sagt Jörgen Sandstrom, Projektleiter bei Addax. "Wir werden unterstützt von Entwicklungsbanken - die wollen Zinsen dafür, dass sie uns Geld leihen. Aber sie verlangen auch, dass wir die Region entwickeln, in der wir arbeiten. Und genau das haben wir vor: Wir wollen, dass die Menschen, die von unserem Projekt betroffen sind, am Ende besser dastehen als vorher."

Ein hehres Ziel. Stattliche 285 Millionen Euro investiert Addax in Sierra Leone. Davon übernehmen die Entwicklungsbanken etwas mehr als 130 Millionen. Um die riesige Zuckerrohrplantage zu finanzieren, die Ausbildung der Arbeiter, die Ethanol-Fabrik und das kleine Kraftwerk, in dem aus Biomasse Strom gewonnen werden soll, immerhin mit einer Leistung von 15 Megawatt. Die Banken hat Addax mit seinem Konzept überzeugt - darunter auch die DEG, die Deutsche Entwicklungsgesellschaft, eine Tochter der staatseigenen KfW-Bank.

Bürgerrechtler klagen an

Bagger von Addax (Foto: DW)
Ein Bagger von Addax schafft Platz fürs ZuckerrohrBild: DW

Die Deutschen beteiligen sich mit geschätzten 20 Millionen Euro am Investment und sind voll des Lobes. Addax stelle sich wie ein guter Staatsbürger dar, als "corporate citizen". Mohamed Conteh von der Bürgerrechtsorganisation MADAM ist skeptisch. Addax sei nunmal keine Hilfsorganisation. Die Bauern wüssten nicht, worauf sie sich einließen. Die meisten könnten weder lesen noch schreiben. "Die Verträge sind alles andere als transparent", klagt Conteh. "Wenn diese Investition schlecht für die Menschen ist, wenn die Deals nicht für jedermann nachvollziehbar sind - dann ist das Land Grabbing."

Was Mohamed Conteh als Land Grabbing, als "Land raffen" bezeichnet, ist kein neues Phänomen. Weltweit sichern sich Konzerne, Investmentgesellschaften und ganze Staaten Ländereien, um sich mit nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen. In Afrika sollen weit mehr als 30 Millionen Hektar Land an ausländische Konzerne verpachtet sein - in Ländern wie Äthiopien, Angola, Kenia, Madagaskar, Mali oder Sudan. All diese Länder müssen für teures Geld Nahrungsmittel einführen, weil sie selbst nicht genug produzieren. Das gilt auch für Sierra Leone.

Es ist eines der ärmsten der Welt, leidet noch immer an den Folgen des brutalen Bürgerkriegs. Zwischen 1991 und 2002 wurden hier Hunderttausende Menschen getötet. Nun aber sollen endlich bessere Zeiten anbrechen.

Was ist das Gutachten wert?

Rokel River (Foto: DW)
Was wird mit dem Rokel River?Bild: DW

Für das Projekt musste Addax ein sogenanntes Sozial-, Gesundheits- und Umweltverträglichkeitsgutachten vorlegen. Daraus geht hervor, dass auf der Plantage schwere Landmaschinen zum Einsatz kommen. Dass Fungizide und Pestizide versprüht werden - und auch das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat - eine chemische Keule, die unter Wissenschaftlern im Verdacht steht, Tiere, Nutzpflanzen, das Grundwasser und letzten Endes auch den Menschen zu schädigen.

Dem Gutachten ist nicht zu entnehmen, wieviel Wasser aus den benachbarten Flüssen wie dem Rokel River abgezapft und welche Menge Abwässer zurückgeleitet werden soll. Dem Agrarwissenschaftler Momoh Lavahun macht das ebenso Sorgen. "Wir haben in Sierra Leone nicht die Mittel, um selbst Studien durchzuführen. Wenn da ein Experte aus dem Ausland kommt und der Regierung seine Analyse präsentiert und sagt, das Ganze sei umweltverträglich, dann wird ihm hier keiner widersprechen."

Oluniyi Robbin-Coker, der persönliche Berater des Präsidenten für den Privatsektor, spricht gerne von Addax als einem Flaggschiff der landwirtschaftlichen Investitionspolitik in Sierra Leone. Er hat für die Regierung den Vertrag mit Addax ausgehandelt. "Das ist die größte Investition in die Landwirtschaft, die Sierra Leone je gesehen hat", verkündet Robbin-Coker stolz. "Addax sind Pioniere in der Bioethanol-Produktion, in der Stromproduktion. Wir wollen, dass noch mehr Firmen wie Addax kommen. Wir haben auf jeden Fall genug Boden und Wasser dafür."

Technologietransfer – vorbei an den Menschen?

Zuckerrohr (Foto: DW)
Zuckerrohr - soweit das Auge reichtBild: DW

Die Industrie-Lobby spricht nicht gern von Land Grabbing, sondern lieber von "Win-Win-Situationen", von "Technologietransfer", von einer symbiotischen Partnerschaft zwischen Regierung, Land und Großinvestor. Das tut auch auch Jörgen Sandstrom, Projektleiter von Addax. Er glaubt fest daran, dass solche großen Investitionen die Landwirtschaft in Afrika nach vorne bringen. "Landwirtschaft muss industrieller werden, und die Großen bringen die Technologie. Daher wundert es mich nicht, dass die Weltbank und andere diesen Ansatz propagieren."

Genau hier liegt aber das Problem. Land Grabbing wird offensichtlich als Entwicklungsbaustein legitimiert - durch Institutionen wie die Weltbank. Freiwilliger Ausverkauf mit Gütesiegel - im Namen der "Entwicklung": Die kanadische Autorin Joan Baxter beobachtet diesen Trend mit Sorge. Im Auftrag des Oakland-Instituts forscht sie zum Thema Agrarinvestitionen in Afrika: "Es ist, als ob alle afrikanischen Präsidenten der Doktrin der Weltbank-Gruppe verfallen sind. Die glauben, dass große Investoren die Lösung aller Probleme sind. Ich höre, wie sie betteln: Nehmt unsere Ressourcen, nehmt unser Wasser, nehmt unser Land! Als wäre das eine Entwicklungsstrategie! Aber niemand kann mir genau sagen, was sie eigentlich mit Entwicklung meinen!"

Joan Baxter geht es nicht um pauschale Kritik an neoliberalen Ansätzen oder am Privatsektor. Sie hängt nicht dem romantischen Klischee vom Kleinbauern nach, der mit der Hacke auf seinem Feld steht. Es geht ihr um die Zeitbombe Land Grabbing. "In fünf oder zehn Jahren werden die Menschen die Folgen der Landpacht erkennen. Das Geschäft mit dem Land wird Konflikte heraufbeschwören; die nächste schlechte Ernte, die nächste Nahrungsmittelkrise kommt bestimmt; an den Börsen wird weiter spekuliert…der Hunger wird noch größer werden. Es ist ein Desaster." Und zwar eines mit Ansage.

Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Birgit Görtz