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Das große Geben und Nehmen

Karl Zawadzky2. August 2004

Die Mitgliedsländer der WTO haben sich auf einen Rahmen für die Liberalisierung des Welthandels geeinigt. Der Abschluss-Termin für die laufende Liberalisierungsrunde ist aber auf unbestimmte Zeit verschoben worden.

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Obwohl mit der Einigung auf ein Rahmenabkommen nur ein Zwischenergebnis auf dem Weg der weiteren Liberalisierung des Welthandels erzielt worden ist, kann die Vereinbarung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn nach dem spektakulären Scheitern der beiden letzten großen WTO-Ministerkonferenzen - erst in Seattle und dann in Cancun - kommt wieder Schwung in das große Geben und Nehmen auf dem internationalen Marktplatz. Genau darum handelt es sich bei der WTO. Die Welthandelsorganisation ist keine wohltätige Veranstaltung, obwohl die von ihr betriebene Liberalisierung des internationalen Handels in der Vergangenheit zu großen Wohlfahrtsgewinnen für die Haupthandelsländer geführt hat und von den geplanten Marktöffnungen weitere Wohlfahrtsgewinne zu erwarten sind.

Das ist dringend nötig. Hatten nämlich die weltweiten Warenexporte in den 1990er-Jahren um rund zehn Prozent pro Jahr zugelegt, sind sie im Zeitraum 2000 bis 2003 nur noch um jährlich zwei Prozent gestiegen. Das hat auch mit dem weltweiten Konjunktureinbruch zu tun, aber zusätzlich zur bereits angelaufenen konjunkturellen Erholung ist ein Impuls für den Welthandel dringend erforderlich.

Bei den WTO-Verhandlungen kann und muss dafür gesorgt werden, dass erstens dieser Impuls erfolgt und dass zweitens die Wohlfahrtsgewinne aus der Zunahme des Welthandels gerechter als bislang verteilt werden. Wenn die Doha-Runde tatsächlich zu einer Entwicklungsrunde wird, also den Entwicklungsländern überproportionale Vorteile bringt, dann kann ein vollständiger Abbau der Handelsbarrieren bis zum Jahr 2015 nach einem Szenario der Weltbank mehr als 300 Millionen Menschen von der absoluten Armut befreien.

Gleichzeitig würden auch die Industriestaaten einen großen Vorteil aus der Handelsliberalisierung ziehen. Denn die weltweiten Exporte bestehen zu fast drei Vierteln aus Industriewaren, zu knapp 20 Prozent aus Dienstleistungen und zu lediglich 7,5 Prozent aus Agrarerzeugnissen. Doch gerade bei den Agrarerzeugnissen ist der Handelsprotektionismus am schlimmsten. Mit rund 300 Milliarden Euro pro Jahr subventionieren die Industriestaaten ihre Bauern.

"Schwarzer Peter" bei EU und USA

Die USA und die EU tun sich dabei auf besonders unrühmliche Weise hervor. Immerhin haben sie die Exportsubventionen für Agrarerzeugnisse weitgehend abgeschafft. Denn vielfach war der wohltätige Zweck der Nahrungsmittelexporte nur vorgeschoben; in Wahrheit ging es um die Vermarktung der Überschussproduktion.

Jetzt geht es darum, dass die heimische Agrarstützung so verringert beziehungsweise umgebaut wird, dass Entwicklungsländer mit ihren Agrarerzeugnissen bessere Chancen auf den Märkten der Industrieländer erhalten. Im Gegenzug räumen die Entwicklungsländer Importbarrieren für die Industrieerzeugnisse und Dienstleistungen aus dem Weg, was den Industriestaaten nützt. Die WTO ebnet den Weg für eine solche Handelsliberalisierung im allseitigen Interesse. Das jetzt in Genf vereinbarte Rahmenabkommen gibt das Ziel und das Ausmaß der weiteren Handelsliberalisierung vor.

Entschärfung der Märkte

Die eigentlichen Detailverhandlungen können nun aufgenommen werden. Sie werden schwierig und strittig sein, denn beim großen Geben und Nehmen auf dem Marktplatz WTO geht es nicht nur darum, über den Abbau von direkten Zöllen, versteckten Handelshemmnissen und unfairer Exportsubventionierung den internationalen Handel zu fördern, sondern ebenso geht es um die Verteilung der damit zu erzielenden Einkommen.

Das Ergebnis der letzten Liberalisierung im Rahmen der so genannten Uruguay-Runde hat den Industriestaaten mehr eingebracht als den Entwicklungsländern. Diese Erfahrung wollen die Länder der Dritten Welt unter Führung von Brasilien und Indien nicht noch einmal machen. Sie pochen darauf, dass die Industriestaaten ihr Versprechen einer "Entwicklungsrunde" einlösen und den Armen dieser Welt bei den jetzt anstehenden Detailverhandlungen überproportionale Vorteile einräumen.

Recht haben sie. Das heißt aber keineswegs, dass die Industriestaaten bei einer Entwicklungsrunde gänzlich leer ausgehen würden. Ganz im Gegenteil: Wirtschaftlicher Fortschritt in der Dritten Welt führt zu einer verstärkten Nachfrage nach Industrieerzeugnissen. Gerade exportstarke - und vom Export stark abhängige - Länder, zum Beispiel Deutschland, würden von einer weiteren Liberalisierung des Welthandels in erheblichem Maße profitieren.