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Das große Warum

Martin Beutler13. März 2009

Der Amoklauf von Winnenden war das ganz große Medienereignis der Woche. Bevor erste gesicherte Erkenntnisse eintrafen, schwirrten Gerüchte und unbewiesene Behauptungen umher. Die Medien haben sie rasant verbreitet.

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Fernschreiber-Grafik
Bild: DW

Je schrecklicher ein Ereignis, desto massiver muss darüber berichtet werden. Das scheint eines der unumstößlichen Gesetze des Journalismus zu sein. Und bitte so schnell wie möglich, die Konkurrenz schläft schließlich nicht! Der jüngste Amoklauf in Deutschland hat den zynischen Spruch unserer Branche wieder nachdrücklich bestätigt: "Bad news are good news!"

Rund um die Realschule von Winnenden baute die Weltpresse innerhalb weniger Stunden ihren Belagerungsring auf. Es galt, die Atmosphäre aus Trauer, Angst und Entsetzen möglichst authentisch rüberzubringen. Wie sensibel oder wie sensationslüstern das im Einzelnen geschehen ist, soll hier nicht das Thema sein. Es geht um unsere zum Teil hilflosen Reaktionen auf solch monströse Ereignisse, um unser manches Mal kopfloses Handeln.

Über "reflexartige" Äußerungen der Politiker nach einer solchen Tat amüsieren wir uns gerne in den Redaktionskonferenzen, aber wie reflexhaft reagieren wir selbst auf das Unfassbare einer solchen Tat?

Es müssen ja nicht nur ganz schnell möglichst spektakuläre Bilder und Töne her. Es müssen auch umgehend Antworten gefunden und möglichst rasch transportiert werden. Das große, geradezu monumentale WARUM? nach einem solchen Amoklauf, darf auf keinen Fall so stehen bleiben. Wir greifen also zu den gespeicherten Nummern der Experten-Liste. In diesem Fall Kriminalisten, Psychologen, Pädagogen.

Schon wenige Stunden nach dem Ereignis verbreiten wir auf unseren Sendern überall Schlüsse aus den ersten vermeintlichen Erkenntnissen, die der Nachrichtenstrom anschwemmt: Der Täter von Winnenden war ein scheuer Einzelgänger, aber sonst vollkommen unauffällig. Wie typisch! Nur dumm, dass sich am nächsten Tag herausstellt: Er war sehr wohl aufgefallen mit seiner schweren Persönlichkeitsstörung. Er war deswegen in psychiatrischer Behandlung. Wer sich nur am Vortag informieren ließ, nicht aber einen Tag später, war vollkommen auf dem Holzweg.

So geht es noch einige Tage, bis andere Ereignisse allmählich die Wunden von Winnenden nicht schließen, sondern überdecken und in den Nachrichtensendungen nach hinten schieben bis sie ganz verschwinden.

Etwa zwei bis drei Wochen nach einem solchen Ereignis wird es dann schwierig, einen mit Distanz und Ruhe recherchierten Aspekt des schrecklichen Geschehens ins Programm zu bringen. Eine Reportage etwa über erfolgversprechende Präventionsprojekte, die zum Teil schon seit Jahren laufen, unbeachtet von der großen Öffentlichkeit. Dann heißt es in der Redaktionskonferenz - reflexhaft: "Nein, das Thema ist doch längst durch! Das interessiert jetzt niemanden mehr!"