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Das harte Leben der Schwarzarbeiter in Russland

Gesine Dornblüth21. August 2006

Russlands Wirtschaft ist nach Jahren der Depression im Aufschwung. In Moskau entstehen Hochhäuser, Einkaufszentren und abertausende von Wohnhäusern. Gebaut werden sie von Schwarzarbeitern aus den ärmeren GUS-Staaten

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Bauarbeiter in MoskauBild: dpa/picture-alliance

Mittagspause auf der Baustelle. Acht Männer sitzen um einen Tisch, verschwitzt, in Badeschlappen. Als Tischdecke dienen Zeitung und Plastikfolie. Rundherum Staub, Mörtel, Kabel und Werkzeuge. Die Männer löffeln Kohlsuppe aus Emaille-Schüsseln. Dazu gibt es gebratene Hühnerbeine. "Wir kochen reihum. Damit sich niemand benachteiligt fühlt", erklärt Vitalij. "Einer allein hätte ja schnell die Nase voll. Erst recht unter Männern."

Touristen auf dem Bau

Vitalij ist 34 Jahre alt und der Chef der Brigade. Er und zwei weitere Männer kommen aus der Republik Moldau, die anderen aus der Ukraine. Je drei Monate verbringen sie in der Nähe von Moskau, arbeiten und leben auf Baustellen. Dann müssen sie ausreisen, kehren aber bald nach Russland zurück, für den nächsten Job. Als Touristen ohne Arbeitserlaubnis. Vitalij lebt seit zehn Jahren so. "Ich bin höchstens zwei Monate im Jahr zu Hause. Ein Monat zu Weihnachten und Neujahr, Ostern zwei Wochen, und noch mal zwei Wochen im Herbst. Und dann wieder Weihnachten."

Dank der hohen Preisen für Öl und Gas auf dem Weltmarkt boomt Russlands Wirtschaft. Die Gewinne bleiben vor allem in der russischen Hauptstadt hängen. In der Stadt entstehen Hochhäuser und riesige Einkaufszentren, außerhalb abertausende so genannter "Kottedschi", Einfamilienhäuser der wohlhabenden Hauptstädter, und umzäunte Reihenhaus-Siedlungen, die an Pomp kaum zu überbieten sind. Gebaut wird all das von Schwarzarbeitern wie Vitalij. Sie kommen aus ärmeren GUS-Staaten wie Tadschikistan, Usbekistan, der Republik Moldau oder der Ukraine.

Kamin- Imitat und Massage-Wannen

Zurzeit baut Vitalijs Brigade Reihenhäuser in einer Neubausiedlung am Ufer der Moskwa aus. Die Häuser sehen alle gleich aus: Vier Etagen, ein Vorgarten, zwei Autostellplätze, amerikanische Küchen. Billardzimmer, Sauna und Kamin-Imitat gehören ebenso zur Standard-Ausrüstung wie Gäste-Badezimmer und Massage-Wannen. Ein Wachmann mit Maschinenpistole sorgt dafür, dass kein Fremder die Siedlung betritt. Die Bauherren sind hochrangige Beamte und Geschäftsleute. "In einem Haus hier in der Nachbarschaft hatten wir schon alles fertig bis auf Parkett und Fliesen. Der Auftraggeber handelt mit Metall", sagt Vitalij. "Er kam uns nicht ganz koscher vor. Wir haben die Arbeiten deshalb abgebrochen und uns unseren Lohn vorher auszahlen lassen. Wir wollten kein Risiko eingehen."

Vitalij und seine Kollegen schlafen auf Klapp-Liegen direkt im Rohbau. Statt Matratzen legen sie sich Dämmstoffe unter. Ein Fernseher und ein Kühlschrank sind ihr einziger Luxus. Immer wieder kommt es vor, dass Schwarzarbeitern die Pässe abgenommen werden, sie wie Sklaven gehalten und um ihren Lohn gebracht werden. Vitalij ist deshalb vorsichtig. "Wir lassen uns von Kunden, die verlässlich gezahlt haben, weiterempfehlen. Die Leute in dieser Siedlung zum Beispiel kennen sich alle untereinander. So sind wir zu 70 Prozent sicher, dass alles glatt geht. Bisher hatten wir Glück."

Halbherzige Kontrollen

Zwar ist bekannt, dass auf den Baustellen in und um Moskau fast nur Schwarzarbeiter sind, die russischen Behörden führen jedoch nur halbherzig Kontrollen durch. Für Vitalij ist klar, warum: "Stellen Sie sich doch mal vor, was wäre, wenn wir alle ausgewiesen würden: Keiner würde die Drecksarbeit machen. Die Russen jedenfalls nicht."

Auch auf öffentlichen Großbaustellen in Moskau werden massenweise Schwarzarbeiter beschäftigt. Vitalij arbeitet allerdings nur für Privatleute. "Da isst und schläfst du in einem Kellerloch, ohne Waschmöglichkeiten. Hier haben wir wenigstens seit ein paar Tagen eine Dusche." Außerdem könne auf staatlichen Baustellen jederzeit das Geld ausgehen. "Wenn du am Ende deinen Lohn willst, verweist einer auf den anderen, und am Ende sagen sie: Fahr erst mal nach Hause, wir schicken dir das Geld. Das tun sie natürlich nicht."

"Wir verschwenden unsere Jahre"

Neben Vitalij sitzt der 42-jährige Volodja mit nacktem Oberkörper auf einer zusammengezimmerten Bretterbank. Volodja hat vier Söhne. Den ältesten hat er mitgebracht auf den Bau, die anderen sind zuhause bei seiner Frau. "Zuhause gab es nur schlecht bezahlte Arbeit. Zuletzt habe ich dort als Fräser gearbeitet, an der Werkbank", erzählt er. "Da habe ich umgerechnet nicht mal 80 Euro verdient. Davon kriegt man keine vier Kinder durch." In Russland verdient Volodja etwa das Vierfache, manchmal sogar das Zehnfache - sofern die Auftraggeber zahlen.

Die Mittagspause ist zu Ende. Einer der Männer rührt Zement an, ein anderer schneidet Fliesen zu. Vitalij möchte, wenn dieser Job beendet ist, nicht mehr nach Russland zurückkommen. Er will in seiner Heimat eine Firma gründen. Volodja klopft ihm auf die Schulter. "Was haben wir denn für ein Leben?", fragt er. "Unsere Frauen sehen wir nur selten. Die Kinder werden groß, ohne dass wir es mitbekommen. Wir verschwenden unsere besten Jahre."