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Das Heidel-Tedesco-Prinzip

14. August 2017

Schalke müht sich im Pokal gegen Viertligist Dynamo Berlin in die nächste Runde. Der Klub steht mit Trainer Tedesco vor einem Neuanfang. Vom Erfolg des 31-Jährigen hängt auch das Schicksal von Sportvorstand Heidel ab.

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Domenico Tedesco und Christian Heidel
Bild: Getty Images/AFP/C. Koepsel

Seine Arme scheinen in mehrere Richtungen gleichzeitig zu fliegen, die Stimme ist laut, durchdringend und auch in einiger Entfernung noch unüberhörbar. Domenico Tedesco lässt auf dem Trainingsplatz des FC Schalke 04 keine Zweifel daran aufkommen, dass er seine Vorstellungen von seinen Spielern umgesetzt sehen möchte.

Der junge Trainer des Ruhrgebietsklubs versucht seiner Mannschaft mit viel Engagement und Nachdruck eine eigene Handschrift zu verleihen. Das bevorzugte taktische System des 31-Jährigen ist das 3-4-3, bei dem ein frühes Pressing und rasantes Flügelspiel zum Erfolg führen sollen. Das hat Tedesco bereits durchblicken lassen, mehr aber noch nicht. Viele Spieler haben sich bei den Vorbereitungs-Testspielen auf unterschiedlichen Positionen und in unterschiedlichen taktischen Varianten wiedergefunden. Auch nach dem mühsamen 2:0-Arbeitssieg im DFB-Pokal in Berlin beim Regionalligisten BFC Dynamo, dem ersten Pflichtspiel des neuen Trainers, hat sich eine Stammformation noch nicht gebildet.

Tedesco sorgt für Überraschung

"Wir haben die Mannschaft kennengelernt, so wie ich es angekündigt habe", sagt der Fußballlehrer. "Uns ist aufgefallen, dass wir die Kontersituationen nicht sauber zu Ende spielen." Ob er seine System-Vorliebe auch in die Tat umsetzen wird, das lässt Tedesco offen und gibt sich zurückhaltend. Solange er nicht der Auffassung ist, dass er über die idealen Spieler für sein favorisiertes System verfügt, kann er sich auch mit anderen taktischen Ausrichtungen anfreunden. Diese Flexibilität gestattet sich Tedesco. 

Dass der junge Trainer ausschließlich seine ganz persönlichen Eindrücke und Bewertungen in die Entscheidungen einfließen lässt und offenbar nichts von Erbhöfen hält, damit überraschte er zuletzt nicht nur seine Spieler, sondern auch Sportvorstand Christian Heidel. Tedesco ernannte Torhüter Ralf Fährmann zum neuen Kapitän. Benedikt Höwedes, der das Amt sechs Jahre lang innehatte, wurde unerwartet abgelöst. "Ich habe davon auch nichts gewusst, unterstütze den Trainer aber bei allen seinen Entscheidungen", sagt Heidel. 

"Honey-Moon"-Phase ist beendet

Fährmann und HöwedesFußball,  Saison 2016/2017Euro League Europaliga Viertelfinale Europa League ViertelfinaleAjax Amsterdam - FC Schalke
Der neue und der alte Kapitän: Ralf Fährmann (l.) und Benedikt Höwedes (r.)Bild: Picture alliance/augenklick/firo Sportphoto

Die Absetzung von Alt-Kapitän Höwedes, den viele im Klub und auch viele Fans für eine Idealbesetzung hielten, erfordert Courage vom jungen Fußballlehrer. Auf uneingeschränkte Zustimmung wird er damit nicht treffen. "Wir wollen nicht, dass sich einzelne Spieler hinter Benedikt Höwedes verstecken", begründet Tedesco seine Wahl. Heidel sagt: "Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem solch eine Veränderung mal notwendig war."

Die übliche "Honey-Moon-Phase” der Vorbereitung, in der sich alle Seiten - Trainer, Spieler, sportliche Führung - erstmal kennenlernen und sich öffentlich und gegenseitig große Sympathien bekunden, ist vorbei. Vor allem Heidel dürfte darauf bedacht sein, ein gutes Verhältnis zu Tedesco aufzubauen und ihm den Rücken zu stärken. Denn mit dem sportlichen Erfolg des jungen Trainers, den Heidel nach der abgelaufenen Saison für Markus Weinzierl mutig ins Amt hievte, dürfte auch die Zukunft des Schalker Sportvorstands eng verknüpft sein. Derzeit herrscht in Gelsenkirchen das Heidel-Tedesco-Prinzip.

Heidel-Vorgabe: internationaler Wettbewerb

Die erste Saison Heidels misslang. Der 54-Jährige war angetreten, um den Traditionsklub wieder zurück in die Erfolgsspur zu führen. Rund 70 Millionen Euro hatte der ehemalige Mainzer Manager dafür in neue Spieler investiert. So viel Geld hatte der Klub in seiner langen Geschichte noch nie ausgegeben. Heraus kamen allerdings das Verpassen des internationalen Wettbewerbs sowie der bis zum Saisonende latente Kampf gegen den Abstieg.

Auch um die eigene Position zu stärken, fordert Heidel von seinem neuen Coach für die kommende Spielzeit "in den internationalen Wettbewerb zurückzukehren". Sollte das gelingen, wäre ein erster wichtiger Schritt getan und die Position des Trainers und des Sportvorstands zunächst gestärkt.

Tedesco beim Training
Viele neue Ansätze und die Suche nach der Wunsch-Elf: Domenico Tedesco beim TrainingBild: Picture alliance/augenklick/firo Sportphoto

Aber neben den sportlichen Erwartungen sorgen auch die personellen Perspektiven in diesen Tagen für Nervosität rund um den Schalker Markt. Mittelfeld-Ass Leon Goretzka verweigert derzeit ebenso eine Verlängerung seines auslaufenden Vertrages wie die Eigengewächse Thilo Kehrer und Max Meyer. Bislang ist es Heidel in Schalke noch nicht gelungen, einen Vertrag eines Spielers zu verlängern.

Heidel bietet Lockerheit dar

Die Spieler wollen scheinbar erst die Perspektiven bei den Schalkern abwarten und den eigenen Marktwert erforschen. Sollten aber gerade diese Profis nicht in Gelsenkirchen verlängern und den Verein ohne Ablösesumme verlassen - wie zuletzt Sead Kolasinac - dürfte die Kritik an Heidel größer werden.

Christian Heidel
Schalke-Sportvorstand Christian HeidelBild: picture-alliance/augenklick/R. Ibing

Denn damit würde dem Klub nicht nur weitere finanzielle Substanz, sondern auch zusätzliche Schalker Identität verloren gehen. "Zur Vertragsunterzeichnung gehören nun einmal zwei Seiten", sagt Heidel trotzig. "Verträge laufen nun mal aus. Wenn mir einer sagt, wie er das verhindert, dann ist er ein Großer. Dann muss er diesen Posten übernehmen."

Zudem sei es nicht so, dass die Schalker die Türen absperren müssen, weil alle Spieler weg wollten, sagt der Manager. Diese Gerüchte und Diskussionen seien völlig normal. "Wir sind entspannt, das ist eine ganz normale Situation in vielen anderen Vereinen", so Heidel.

Doch bei aller dargebotenen Lockerheit des Managers hat mit der DFB-Pokal-Partie in Berlin eine heiße Phase für den Klub begonnen. Die nächsten Wochen werden darüber entscheiden, ob die Schalker wieder in die deutsche Spitze zurückfinden können. Oder ob sie das gleiche Schicksal ereilt, wie die Traditionsklubs Werder Bremen und den Hamburger SV, die seit Jahren den Erfolgen alter Zeiten hinterher rennen.