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Zeig, was Du bist!

22. Juli 2010

"Human Branding" lautet die Losung für die Optimierung des Selbst. "Handle unternehmerisch!" ist der kategorische Imperativ der Gegenwart, behaupten Soziologen. Ein Coach soll helfen, die Marke "Ich" zu finden.

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Der Coachingtrainer Jon Christoph Bernd vor einem Flipchart. Foto: dw-Sabine Oelze
Coachen, um das Ich zu finden.Bild: DW

9 Uhr morgens in einer Büroetage in der Kölner Innenstadt. Draußen scheint die Sonne, drinnen herrscht die kühle Tristesse der Schreibtischarbeit. Jon Christoph Berndt, Markenexperte und Managementtrainer, wirkt gut gelaunt und ausgeschlafen, sein weißes Hemd sieht frisch gebügelt aus, keine Spur von langer Zugreise. Berndt ist aus seiner Heimatstadt München für einen Marken-Tag nach Köln gekommen. Eine Weile lang ordnet er Zettel, bereitet sich vor auf seinen Tag mit dem Coachee Peter S., der seinen richtigen Namen nicht in der Presse lesen will. Sich auf die Suche nach dem "Ich" zu machen, zu lernen, sich selbst als Produkt zu vermarkten, ist nicht gerade etwas, was man an die große Glocke hängt. Peter S. betritt den Raum, nimmt Platz. Er sei mit dem Zug angereist aus einer Kleinstadt an der niederländischen Grenze, erzählt er, sei aber noch nicht ganz da: "Nur die Hülle befindet sich in Köln", erklärt er und packt eine Papierrolle mit gelben Klebezetteln aus, auf denen er alles aufgelistet hat, was ihm wichtig ist.

"Finde heraus, wofür Du stirbst"

Verschiedenfarbige Zettel an einer Pinwand. Foto: dw-Sabine Oelze
Herausfinden, was im Leben zählt.Bild: DW

Im Seminar von Jon Christoph Berndt geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. "Finde heraus, wofür du stirbst" oder "Entscheide, ob du in der Hand schmilzt oder im Mund" wirbt Berndt für seine Selbstfindungs-Kurse. Vor einem Jahr hat er darüber ein Buch veröffentlicht: "Die stärkste Marke sind Sie selbst. Schärfen Sie ihr Profil mit Human Branding!" heißt es. Wer es liest, der hat meist Zweifel an sich und seinem Erfolg, der will sich nicht länger im Beruf und im Privatleben verrenken. Der will endlich wissen, was des Pudels Kern ist, was das Ich im Innersten zusammenhält. Jon Christoph Berndt verspricht, die Weltformel zu kennen.

Peter S. glaubt an Berndt und ans Marketing. Er hat es selbst studiert. Danach hat er sich selbständig gemacht, mit einem Chauffeursunternehmen. Das lief nicht. Jetzt ist er hier. Das Büro hat Jon Christoph Berndt angemietet, es versprüht den Charme einer Bahnhofshalle. Auf dem Tisch die übliche Thermoskanne mit Kaffee, eine Auswahl an Getränken, an der Seite ein Flipchart, nackte Wände. Langsam aber sicher taut Peter S. auf. Erzählt von dem tiefen Loch, in das er fiel, nachdem er seine kleine Firma dicht gemacht hat.

Träume von einem besseren Leben

Jon Christoph Berndt hört zu, bohrt nach, und ermuntert Peter S., seine Bedürfnisse zu äußern. "Wir können jederzeit einen Spaziergang machen. Es gab schon Kunden, die wollten mit mir auf den Rummelplatz in London fahren." Bis zur Mittagspause geht es vor allem darum, herauszufinden, wo Peter S. in seinem Leben hin will, was seine Ziele sind, seine Stärken und Schwächen. "Familie", ein "schönes Haus im Landhausstil", "ein Auto" und am liebsten eine "Million auf dem Konto", zählt Peter S. seine Wünsche auf.

Sehnsüchte, die er mit vielen Deutschen teilt, weil sie mit Statussymbolen und gesellschaftlicher Anerkennung zu tun haben. Aber braucht man dafür einen Coach? Jon Christoph Bernd spricht gerne in Metaphern, von "Schokoriegeln" und "Verpackung", wenn er dem 32-Jährigen erklärt, dass er sich auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren muss. Es gehe darum, die "Rezepte fürs Leben" zu finden, es komme auf das "Selbstbild" an, von "Gesellschaftsbeitrag" und "Glaubwürdigkeit" ist die Rede. Er malt ein Markenei auf den Flipchart: Unten steht "Ich heute" und oben "Ich morgen". In den Markenkern von Peter S. schreibt er "Geschenk". Gutes tun, das ist dem 32jährigen Peter S. ein Anliegen.

Was Menschen und Marken verbindet

Fotos und Bilder mit verschiedenen Motiven an einer Pinwand. Foto: dw-Sabine Oelze
Bilder, die zu mir passen.Bild: DW

Jon Christoph Berndt schreibt Marken auf den Flipchart, die es zur Premium-Marke geschafft haben, weil man mit ihnen etwas Positives verbindet. Und er erklärt, warum Marke und Mensch sich ähneln. Bei beiden gehe es um Glaubwürdigkeit, um Ehrlichkeit, um Authentizität. Der Tag vergeht wie im Flug.

Ein Whiskey-Glas, ein Vogel auf einem Ast, gewienerte Schuhe, ein Händeschütteln. Peter S. sucht Fotos aus, die ihn charakterisieren. Dann sucht er nach Sätzen und Worten in einer Liste, von denen er glaubt, dass sie zu ihm passen. Kuss auf dem Eifelturm, Sommerregen, Eiche. "Paris ist Liebe – meine Frau bedeutet mir viel. Den Sommerregen finde ich schön und die Eiche steht unter anderem für Bodenständigkeit."

Die Temperatur in dem kleinen Tagungsraum ist stündlich gestiegen. Doch die Hitze schlägt keineswegs auf die Stimmung. Nach neun Stunden Power-Coaching scheint Peter S. tatsächlich seiner Marke näher gekommen zu sein. In einem improvisierten Radio-Spot wirbt er selbstbewusst für seine Fähigkeiten. "Kommen Sie mit ins Internet. Da zeige ich Ihnen, wer ich wirklich bin. Ich bin Ihr Lebenszeiger. Weniger schuften, mehr erreichen, vor allem für ihr Herz", erklärt er und klingt tatsächlich zufrieden, sein Ich so geschliffen auf den Punkt zu bringen. Alleine hätte er sich nicht so schnell zurecht gefunden, sagt er zum Abschluss. Jetzt will er sein Leben entrümpeln, von Zeitfressern befreien, sich auf das Wichtigste konzentrieren. Alle paar Wochen soll er Jon Christoph Berndt künftig anrufen und erklären, ob er seine Ziele weiter im Blick hat.

Autorinnen: Susanne Luerweg, Sabine Oelze
Redaktion: Günther Birkenstock