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Höhepunkt der Repressionen

11. August 2010

Der Iran hat sieben Mitglieder der Religionsgemeinschaft der Baha'i zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf der Spionage für Israel sei absurd, sagt Ingo Hofmann von der Baha'i-Gemeinde Deutschland im DW-Interview.

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Prof. Dr. Ingo Hofmann, Sprecher der Baha'i Gemeinde Deutschland, Foto: Baha'i Deutschland
Prof. Dr. Ingo Hofmann, Sprecher der Baha'i Gemeinde DeutschlandBild: Baha'i Deutschland

DW-WORLD.DE: Sieben führende Mitglieder der Baha'i sind am Montag im Iran zu 20-jährigen Haftstrafen verurteilt worden. Sie und ihre Gemeinde haben das Verfahren gegen die Baha'i seit deren Verhaftung im Mai 2008 verfolgt. Was genau wird ihnen vorgeworfen?

Ingo Hofmann: Seit Beginn der Verhandlungen wurde den Mitgliedern Spionage für Israel und regimefeindliche Tätigkeit vorgeworfen. Später kamen noch "Verbreitung von Terror auf Erden" und "Krieg gegen Gott" hinzu, Vorwürfe, die aus der islamischen Vorstellung herrühren. Das Urteil stützt sich aber vor allem auf die ersten beiden Punkte, obwohl die Anwälte in allen Punkten massiv widersprochen und deutlich gemacht haben, dass diese Vorwürfe unbegründet sind.

Auf welchen Grundlagen hat das Gericht die Vorwürfe erhoben?

Man muss es so einordnen, dass die iranische Justiz versucht, gegenüber der Baha'i-Gemeinde im Iran ein negatives Signal zu setzen: Was man den Baha'i vorwerfen kann, ist, dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören, die andere Zielsetzungen hat als der Islam. Sie hat ihre Wurzeln im Iran und ihre Stifter wurden im 19. Jahrhundert nach Israel, in das damalige Palästina verbannt. Und die verurteilten Baha'i hatten natürlich Kontakt zu dem Weltzentrum im israelischen Haifa, das aber mit dem Staat Israel keine politischen Gemeinsamkeiten pflegt. Allein die Existenz des Baha'i-Weltzentrums in Israel reichte in diesem Fall für die iranische Justiz aus, zu behaupten, die Mitglieder seien Spione Israels.

Glaubt denn irgendjemand in Teheran ernsthaft, die verurteilten Baha'i hätten Spionage betrieben?

Nein. Aber seit dem Amtsantritt von Irans Präsident Mahmud Ahmadieneschad sind alle möglichen Leute mit dem Vorwurf der Spionage verurteilt worden, das ist ein gängiger Vorwurf, der in den Augen der Radikalen genug Zündstoff birgt. Aber ich bin mir völlig sicher, dass die iranische Öffentlichkeit das nicht ernst nimmt.

Was sollten denn die Mitglieder der Baha'i machen, die noch im Iran leben? Ausreisen?

Nein. Obwohl man die Diskriminierung der Baha'i nicht von der Hand weisen kann. 1991 hat die iranische Führung das so genannte "Golpaygani"-Dokument vorgelegt, das auch von dem Revolutionsführer Ali Chamenei unterzeichnet wurde und den staatlichen Umgang mit dieser Minderheit von 300.000 Menschen im Iran regelt. Darin wurde festgesetzt, dass die Baha'i auf einem Existenzminimum zu halten seien, dass man ihre kulturellen und religiösen Wurzeln im Ausland mehr oder weniger auslöschen möchte und dass den Baha'i der Zugang zu Ausbildung und Beruf verwehrt wird. Das wird seit Jahren praktiziert, den Baha'i ist es verboten, an Universitäten im Iran zu studieren. Es gibt Berufspraxisverbote in allen denkbaren Berufen. Die Repressalien, die es seit 20 Jahren gibt, haben in dieser Verurteilung jetzt ihren Höhepunkt gefunden.

Die am 14.5.2008 vom iranischen Geheimdienst verhafteten Mitglieder des nationalen Bahai-Führungsgremiums im Iran, Frau Fariba Kamalabadi, Herr Jamaloddin Khanjani, Herr Afif Naeimi, Herr Saeid Rezaie, Herr Behrouz Tavakkoli und Herr Vahid Tizfahm (sechs Mitglieder). Das siebte Mitglied, Frau Mahvash Sabet, war bereits am 05.03.2008 unter einem Vorwand verhaftet worden (ebenfalls vom Geheimdienst), Quelle: DW
Die am 14.5.2008 vom iranischen Geheimdienst verhafteten Mitglieder des nationalen Bahai-Führungsgremiums im Iran

300.000 Anhänger haben die Baha'i im Iran, einem Land von 74 Millionen Einwohnern. Sollte man nicht meinen, die iranische Führung hätte andere Probleme, als diese religiöse Minderheit zu verfolgen?

Das könnte man meinen und man muss auch bedenken, dass sich die Baha'i aufgrund ihrer religiösen Vorstellungen eher als eine aufbauende Kraft in der Gesellschaft verstehen. Sie haben vieles unternommen, zum Beispiel zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie am Aufbau der Frauenbewegung und der Erziehung von Kindern beteiligt. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist einer ihrer Hauptgrundsätze. Die iranische Führung wäre eigentlich gut beraten, in einem Land, in dem es so viele Probleme und Nöte gibt, die Baha'i zu integrieren. Sie bringen ein hohes Maß an Loyalität mit, denn das gehört auch zu ihren Glaubensgrundsätzen: sich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, in der sie leben.

Aber genau das macht man ihnen zum Vorwurf. Es hat beispielsweise Fälle in Shiraz gegeben, wo Jugendgruppen, die sich für benachteiligte Kinder engagiert haben - und da ging es nicht um religiöse Fragen - von der Straße weg verhaftet wurden und zum Teil heute noch im Gefängnis sitzen.

Aber die iranische Führung ist dem gegenüber blind, weil sie diese Religion nicht tolerieren will. Das hat historische Gründe: Der Stifter Baha'u'llah hat verkündet, dass der Islam nicht die letzte Religion ist. Religion ist ein Weg, der über viele Stufen geht, keine Religion ist die letzte und auch der Islam ist es nicht. Somit verstehen sich die Baha'i auch nur als eine Stufe auf dem Weg zur Einheit der Menschen und dem Abbau von religiösen Vorurteilen und Schranken. Aber gerade dieses Konzept akzeptiert die iranische Führung nicht und darin sieht sie einen inneren Gegner.

Die jetzt Verurteilten sitzen seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft. Was wissen Sie über die Haftbedingungen?

Die Haftbedingungen im Evin-Gefängnis sind denkbar schlecht. Die Zellen der Angeklagten waren ohne Tageslicht, sie lebten praktisch im Dunkeln. Sie hatten keine Betten, sondern schliefen auf Bodenlagern, die Bedingungen waren katastrophal. Aber wie wir gehört haben, sind sie jetzt nach dem Urteil noch schlechter geworden, weil sie in das Gohardasht-Gefängnis in der Nähe der Stadt Karadsch verlegt wurden. Und das ist unter Menschenrechtlern bekannt dafür, dass dort die Haftbedingungen noch schlimmer und entwürdigender sind.

Es gibt internationale Proteste, auch die Bundesregierung hat die Verurteilung scharf kritisiert und spricht von einem "herben Rückschlag für Menschenrechte" in Iran. Was erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft?

Ich bin überzeugt, dass die Stimmen, die aus der internatonalen Gemeinschaft kommen, im Iran wahrgenommen werden. Denn es gibt ja nicht nur die Fundamentalisten dort, es gibt auch rationaler Denkende. Allein, dass der Prozess so lange gedauert hat, zeigt, dass die iranische Justiz nicht in der Lage war, einen solchen Prozess zu führen, es hat keine richtige Verhandlung gegeben. Und die Angeklagten hatten insgesamt weniger als eine Stunde, in der sie in zwei Jahren mit ihren Anwälten reden durften.

Die Forderung nach einer Aufhebung des Urteils, die die Bundesregierung ausgesprochen hat, ist mehr als berechtigt. Wir freuen uns sehr über die Forderung der Bundesregierung und wir können nur hoffen, dass es im Iran noch einige Vernünftige gibt, die sich dazu durchringen, diesen Prozess in eine Berufung zu bringen.

Ingo Hofmann ist Professor für Physik an der Universität Frankfurt und Sprecher für Menschenrechtsfragen der deutschen Baha'i-Gemeinde in Deutschland.

Das Interview führte Karin Jäger

Redaktion: Ina Rottscheidt