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„Das ist nicht Disneyland!"

Udo Bauer 11. März 2002

US-Qualitätsfernsehen ist doch möglich. Am Tag vor der Gedenkfeier für die Anschläge auf New York und Washington zeigte CBS die Dokumentation "9/11". DW-TV-Korrespondent Udo Bauer über ein bewegendes Fernseherlebnis.

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Nach sechs Monaten voller Pathos, Tränen, Patriotismus, Wut und unzähligen Berichten von "Ground Zero" und den Opfern des 11. September auf allen Kanälen dachte ich eigentlich, dass es mir langsam reicht mit der Verarbeitung des größten amerikanischen Traumas. Hatte ich nicht schon alle Bilder gesehen, schon alle Heldengeschichten von den Feuerwehrleuten aus Manhattan gehört? Hatte ich nicht! Die zweistündige Dokumentation "9/11" (amerikanische Schreibweise für den 11. September) hat alles zuvor Dagewesene in Sachen Authentizität in den Schatten gestellt.

Zum Hintergrund: Zwei französische Filmemacher wollten eine Langzeit-Dokumentation über einen jungen Mann drehen, der sich in der New Yorker Feuerwache "Ladder 1" zum Feuerwehrmann ausbilden liess. Der Titel stand schon fest und lautete sinngemäß "Vom Kind zum Mann". Eine Geschichte über die Kameradschaft und die Familienatmosphäre unter den härtesten Jungs von Big Apple. Dann kam der 11. September und die Franzosen ließen ihre Kameras laufen.

Von Coolness zu Entsetzen

Sie durften als Einzige in der unmittelbare Nähe der Feuerwehrleute arbeiten, sprich in der Lobby des World Trade Center. Sie drehten die Gesichter der Brandbekämpfer und die sagten mehr als alle Worte. Professionalität und Coolness am Anfang, Angst und Entsetzen, als der erste Turm zusammenbrach und dessen Staub den Tag zur Nacht machte. Orientierungslosigkeit und Kommunikationsprobleme, aber keine Panik. Im Film werden die flüchtenden Menschen und die Opfer nur am Rande und im Hintergrund gezeigt. Es reichte aber auch der Blick auf die Feuerwehrleute, ihr kurzes Zusammenzucken, wenn von draußen wieder einmal dieses schreckliche Geräusch von aufschlagenden menschlichen Körpern zu hören war.

Das Wort "Helden" ist angebracht

Dann die dramatische Flucht aus dem Turm, Keuchen, Flüche, hektische Befehle. Und schließlich werden die französischen Beobachter selbst zu Flüchtenden, beinahe zu Opfern. Staubbedeckt und ausgebrannt wie alle ihre Freunde von "Ladder 1" kehren sie in die Wache zurück, zwischendurch angeraunzt von Polizisten. „Nimm Deine Kamera und hau ab! Das ist nicht fucking Disneyland!" rief einer. Alle Brandbekämpfer dieser Wache kommen wohlbehalten zurück, ein kurzer Anruf bei der Familie, eine kleine Stärkung, ein paar Umarmungen von Kameraden, dann geht‘s wieder zurück zu Ground Zero, um nach Überlebenden zu suchen. Uns Europäern fällt es nicht so leicht das Wort "Helden" in den Mund zu nehmen wie den Amerikanern. Hier aber ist es angebracht, ohne Pathos, ohne falsche Tränen im künstlichen Ambiente von Fernsehkameras. "9/11" ist echt!

Vielleicht hat auch die Tatsache, dass nicht Amerikaner, sondern Franzosen diesen Film gemacht haben, zu dieser Echtheit beigetragen. Jedenfalls hat man hier das Gefühl dabei gewesen zu sein.

"9/11" in der ARD

Deutsche Fernsehzuschauer werden übrigens auch in den Genuss dieser Dokumentation kommen. Am Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center wird die ARD eine redaktionell bearbeitete Version ausstrahlen. Ob wie bei CBS auch Robert de Niro moderieren wird ist noch nicht entschieden. Sicher ist aber, dass "9/11" fürr die ARD eine der teuersten Dokumentationen aller Zeiten wird. Wieviel das Erste für die Rechte geboten hat ist nicht zu erfahren. Der Leiter des ARD-Studios in Washington, Claus Kleber, sprach lediglich von einem „beachtlichen sechsstelligen Euro-Betrag". Dieser Film ist jeden Cent wert.