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Das Kulturjahr 2015: Debatten, Gefühle, Aktionen

Sabine Peschel30. Dezember 2015

Das Kulturjahr erzählt sich durch seine Protagonisten - Menschen, die mit ihren Aktivitäten einem außergewöhnlichen Jahr Inhalt und Richtung gaben. Sie haben Deutschland mitgeprägt.

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Bildergalerie Jahresrückblick Kultur 2015

Michel Houellebecq: "Unterwerfung"

Das Jahr 2015 begann mit einer verstörenden Koinzidenz: Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" über einen islamischen Präsidenten in Frankreich im Jahr 2022 erschien am 7. Januar. Am selben Tag ermordeten zwei islamistische Attentäter in der Redaktion von "Charlie Hebdo" in Paris zwölf Menschen. Das Satireblatt hatte eine Karikatur des Autors auf der Titelseite. Nach dem Attentat drückten auch außerhalb Frankreichs viele Menschen ihre Solidarität mit den Opfern mit dem Slogan "Je suis Charlie" aus. Houellebecqs umstrittener Roman wurde auch in Deutschland zum Bestseller.

Roman Unterwerfung von Michel Houellebecq
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Jafar Panahi: "Taxi"

Einen "Liebesbrief ans Kino" nannte Jury-Präsident Darren Aronofsky den iranischen Film "Taxi", mit dem der Regimekritiker Jafar Panahi den Goldenen Bären der 65. Berlinale gewann. Der Regisseur hatte den Film trotz Berufsverbot in seiner Heimat gedreht. Für die halbdokumentarische Komödie setzte sich Panahi selbst in ein Taxi und stattete es mit drei Kameras aus. Er ließ dort 90 Minuten lang verschiedene Fahrgäste vom verwirrenden Alltag in Teheran erzählen. Bei der Preisverleihung in Berlin war der Regisseur nicht dabei, weil er in seiner Heimat unter Hausarrest steht. Den Preis nahm seine kleine Nichte entgegen, die im Film auch zu den Fahrgästen gehörte.

Deutschland 65. Berlinale Preisträger
Panahis Nichte mit dem Goldenen BärenBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Helene Fischer: Hit des Jahres

Die Schlager-Queen war 2015 in den Medien gefühlt präsenter als Kanzlerin Merkel. Am 26. März erhielt Helene Fischer in Berlin den Musikpreis "Echo" für das erfolgreichste "Album des Jahres", obwohl ihr Album "Farbenspiel" schon 2013 erschienen war. Die Single-Auskopplung "Atemlos durch die Nacht" wurde zum Soundtrack des Jahres. Übertreffen konnte sie sich nur selber: Ihr im November veröffentlichtes Album "Weihnachten" setzte sich in Deutschland und Österreich aus dem Stand an die Chartspitze und wurde innerhalb weniger Wochen zum meistverkauften Album des gesamten Jahres.

Claire Danes als Carrie Mathison: "Homeland" in Berlin

Die ersten Episoden der fünften Staffel der amerikanischen TV-Serie "Homeland" spielen in Berlin. Sie wurden im Juni und Juli an Originalschauplätzen und in den Babelsberger Studios gedreht. Die Hauptstadt geriet ins Serienfieber, erst recht als hunderte Komparsen für die Produktion gesucht wurden. Die mit Golden Globes und Emmys ausgezeichnete Erfolgsserie hat wesentlich dazu beigetragen, die Serienbegeisterung in Deutschland anzufeuern. "Binge-Glotzen" wird Mode - der Begriff bringt das neue Suchtverhalten kreativ auf den Punkt.

"Homeland"-Casting in Berlin
"Homeland"-Casting in BerlinBild: DW/D. Späth

Internationaler Literaturpreis für Amos Oz und sein Buch "Judas"

2015 war das Jahr freundschaftlicher deutsch-israelischer Kontakte. Berlin und Jerusalem blickten auf fünfzig Jahre diplomatische Beziehungen zurück. Ausstellungen, Symposien, gemeinsame Publikationen und gegenseitige Besuche strukturierten das Jubiläumsjahr, beginnend mit der Leipziger Buchmesse. Zum "deutsch-israelischen Dialog" passte gut, dass der israelische Schriftsteller Amos Oz und seine Übersetzerin Mirjam Pressler Ende Juni für den Roman "Judas" mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet wurden.

Buchcover Judas von Amos Oz
Bild: Suhrkamp Verlag

Ai Weiwei in Deutschland

Als im Mai in acht Städten und neun Museen des Ruhrgebiets mit "China 8" die größte Ausstellung des Jahres eröffnet wurde, fragten noch viele Kritiker, weshalb denn Ai Weiwei mit seinen Werken bei dieser Schau zeitgenössischer chinesischer Kunst nicht vertreten war. Diese Frage hatte sich kurz darauf erledigt. Der Künstler kam selber. Ai Weiwei, der bis dahin China vier Jahre lang nicht hatte verlassen dürfen, traf Ende Juli in München ein. Der Künstler, der seit seiner "documenta"-Teilnahme 2007 auch in Deutschland viele Freunde, Kontakte und Anhänger hat, polarisierte auch hier schnell. Er fühlte sich falsch zitiert und lieferte sich öffentlich via Instagram eine heftige Auseinandersetzung mit führenden Medien. Seit Oktober konzentriert sich Ai Weiwei in seiner neuen künstlerischen Heimat Berlin auf seine Arbeit im Atelier und als Gastprofessor der Universität der Künste.

München Ankunft Ai Weiwei
Ai Weiwei bei seiner Ankunft in MünchenBild: Reuters/M. Rehle

Jenny Erpenbeck: "Gehen, ging, gegangen"

Den Deutschen Buchpreis, für den sie auf der Shortlist nominiert war, erhielt sie nicht. Dafür aber von den Medien und auf der Frankfurter Buchmesse mehr Aufmerksamkeit als der eigentliche Preisträger Frank Witzel. Denn Jenny Erpenbeck hatte mit ihrem Roman "Gehen, ging, gegangen" das Buch nicht nur der Stunde, sondern des Jahres geschrieben. Es geht um die Begegnung mit Flüchtlingen und um deren Schicksale - also um das Thema unserer Zeit.

Buchcover Gehen, Ging, Gegangen Schriftstellerin Jenny Erpenbeck
Bild: Knaus

Rimini Protokoll inszenierte "Mein Kampf"

Ende des Jahres 2015 läuft der Urheberrechtschutz für Hitlers "Mein Kampf" ab, dessen Verbreitung in Deutschland bisher verboten war. Schon seit langem wird darüber diskutiert, wie mit diesem Buch umzugehen sei. Die Theatergruppe Rimini Protokoll thematisierte diese Fragen Anfang September beim Weimarer Kunstfest erstmals auf der Bühne. Normale Menschen sprachen dort über ihre Beziehung zu "Mein Kampf". "Wir wollen mit unserem Stück dazu beitragen, das unheimliche Buch zu entmystifizieren", sagte Daniel Wetzel, einer der beiden Regisseure.

Rimini Protokoll Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2
Rimini Protokoll: "Adolf Hitler: Mein Kampf"Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Navid Kermani

Der habilitierte Orientalist regte immer wieder politische Debatten an und bezog Stellung zur Konfrontation von Islam und den Weltreligionen. Für sein akademisches, schriftstellerisches und publizistisches Werk wurde Navid Kermani im Oktober der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Unter Berufung auf den Islam würden "in Saudi-Arabien Regimekritiker gekreuzigt, in Iran die bedeutendsten Werke der Gegenwartsliteratur verboten", klagte Kermani in seiner gefeierten Dankesrede. Dass er das Publikum in der Paulskirche zum Gebet aufforderte, war Ausgangspunkt einer grundsätzlichen Wertedebatte unter deutschen Intellektuellen: Ist Aufklärung ein Wert an sich?

Frankfurt Verleihung Friedenspreis des Deutschen Buchhandels Navid Kermani
Navid Kermani bei seiner Festrede in der Frankfurter PaulskircheBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Christoph Waltz als Gegenspieler von James Bond in "Spectre"

Seit seinen mit Oscars prämierten Auftritten in Filmen von Quentin Tarantino ist Christoph Waltz international ein gefragter Star. Im neuen "James Bond" durfte er als Chef der Organisation "Spectre" die Rolle des zentralen Bösewichts übernehmen. Die glamouröse Weltpremiere des 24. "James Bond"-Abenteuers fand Ende Oktober in London statt. "Spectre" brach auf Anhieb alle Rekorde: In Großbritannien konnten seine Produzenten den erfolgreichsten britischen Kinostart aller Zeiten feiern. Für den Deutsch-Österreicher gab es im Dezember auch noch eine Auszeichnung: In Berlin nahm er sehr bewegt den Europäischen Filmpreis für seinen "Beitrag zum Weltkino" entgegen.

Kino Neuer Bond-Film Spectre
Christoph Waltz als düsterer Bösewicht in "Spectre"Bild: picture-alliance/dpa/Sony Pictures 2015

Til Schweiger: Mann des Jahres

Mit fast sieben Millionen Kinogängern war sein tragikomischer Film "Honig im Kopf" lange der erfolgreichste Streifen des Jahres. Doch Anerkennung hat sich Til Schweiger nicht nur als Schauspieler und Regisseur verdient. Sein Engagement für Flüchtlinge und sein Widerstand gegen Fremdenhass ließ er in die Gründung einer Stiftung für Flüchtlingskinder münden. Diese bezeichnete der 51-Jährige als sein Lebenswerk. Im nächsten Jahr will er nun einen Unterhaltungsfilm über Flüchtlinge drehen. Das "GQ"-Magazin kürte den Schauspieler und Regisseur im November zu einem der "Männer des Jahres".

Berlin Deutscher Filmpreis Lola Til Schweiger
Til Schweiger bei der Gala des Deutschen Filmpreises LolaBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Literaturnobelpreis für Swetlana Alexijewitsch

Eine Geschichtensammlerin sei sie, sagte die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch in ihrer traditionellen Nobel-Vorlesung. Ihre Bücher erzählen, was Menschen in der Sowjetunion, der Ukraine oder in Weißrussland der ehemaligen Journalistin in Interviews anvertraut haben. Alexijewitschs "vielstimmiges Werk setze dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal", hatte die Jury ihre Wahl begründet. Die Wahl einer stark an der Realität interessierten Schriftstellerin wie Swetlana Alexijewitsch passe in die Zeit, urteilten viele Kritiker in Deutschland. Am 10. Dezember überreichte ihr König Carl Gustaf in Stockholm den Nobelpreis.

Schweden Weißrussland Swetlana Alexijewitsch Rede vor der Akademie in Stockholm
Swetlana Alexijewitsch während ihrer Rede vor der Akademie in StockholmBild: Reuters/TT News Agency/F. Sandberg

R.I.P.

11. Januar: Anita Ekberg (83), Schauspielerin und ehemalige Miss Sweden ("Das süße Leben")

29. Januar: Rod McKuen (81), US-amerikanischer Lyriker, Komponist und Singer-Songwriter (bekannt für englischsprachige Übersetzungen von Hits von Jacques Brel wie "If You Go Away" und "Seasons in the Sun")

27. Februar: Leonard Nimoy (83), US-amerikanischer Schauspieler (bekannt als "Mister Spock" aus der TV-Serie "Raumschiff Enterprise")

12. März: Terry Pratchett (66), britischer Fantasy-Schriftsteller ("Die Farben der Magie", "Gevatter Tod")

13. April: Günter Grass (87), deutscher Schriftsteller und Nobelpreisträger für Literatur

7. Juni: Christopher Lee (93), britischer Schauspieler (bekannt für Horror-Filme wie "Frankenstein's Fluch," "Blut für Dracula")

9. Juni: James Last (86), deutscher Komponist und Erfinder des "Happy Sound"

22. Juni: James Horner (61), US-amerikanischer Filmkomponist ("Titanic", "Avatar", "A Beautiful Mind - Genie und Wahnsinn", "Braveheart")

10. Juli: Omar Sharif (83), ägyptischer Schauspieler ("Dr. Schiwago", "Funny Girl")

30. August: Oliver Sacks (82), britischer Neurologe und Schriftsteller ("Awakenings: Zeit des Erwachens", "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", "Der einarmige Pianist. Über Musik und das Gehirn")

30. August: Wes Craven (76), US-amerikanischer Regisseur ("Nightmare on Elm Street", "Scream 1 - 4")

29. September: Hellmuth Karasek (81), deutscher Journalist, Autor und Literaturkritiker (bekannt aus der deutschen TV-Sendung "Das Literarischen Quartett")

5. Oktober: Henning Mankell (67), schwedischer Schriftsteller (Krimi-Serie "Kurt Wallander")

10 Oktober: Hilla Becher (81), deutsche Industrie-Fotografin (Mitbegründerin der Düsseldorfer Fotoschule)

19. Dezember: Kurt Masur (88), deutscher Dirigent (New York Philharmonic, London Philharmonic Orchestra, Orchestre National de France)

28. Dezember: Ian "Lemmy" Kilmister (70), britischer Gründer und Sänger der Heavy Metal Band "Motörhead"