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Das Land der Freude

Martina Farmbauer2. März 2014

Brasilien fühlt sich durch negative aus dem Ausland Berichterstattung ungerecht behandelt. Ronaldo verteidigt die brasilianische Seele 100 Tage vor der WM in einem offenen Brief an den Rest der Welt.

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Der frühere brasilianische Fußballstar Ronaldo posiert mit dem Maskottchen für die WM 2014 (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

In kaum einem anderen Land der Welt sind Fußball und Gesellschaft so eng verknüpft wie in Brasilien. Als ihre Nationalmannschaft die Fußball-Weltmeisterschaft 2002 gewann, fühlten sich die Brasilianer wie die Elite einer Welt, die Lebensfreude und Verspieltheit als die wichtigsten Eigenschaften überhaupt ansieht. Als die Seleção bei der WM 2006 im Viertelfinale verlor, fielen die Brasilianer in tiefe Trauer und sahen sich als Dritte-Welt-Land, das neidvoll zu den ach so fortschrittlichen Europäern aufblickt. Die Austragung der WM 2014 im eigenen Land sollte eigentlich zeigen, dass Brasilien, das ewige "Land der Zukunft", endlich in der Ersten Welt angekommen ist. Die Wirtschaft boomt, die Demokratie ist gefestigt. Seine Kultur vertritt Brasilien wie als Gastland der Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr selbstbewusst.

Ronaldo, brasilianischer Fußball-Weltmeister und Mitglied des WM-Organisationskomitees, wendet sich in einem Brief, den die brasilianische Botschaft in Berlin zum 4. März an deutsche Medien verteilen wollte und der der DW bereits vorab vorlag, an die Welt. Darin heißt es: "Wird die FIFA-Weltmeisterschaft letztlich nicht eine Art 'Endspiel' für Brasilien sein, dahingehend, dass Brasilien sich international noch mehr konsolidiert? Die Scheinwerfer sind auf uns gerichtet, das ist eine gute Chance zu zeigen, was Brasilien und wie seine Menschen wirklich sind." Ein Land mit einer starken Wirtschaft und sozialen Unterschieden, das wichtige Fortschritte dabei gemacht hat, diese auszugleichen. Ein Land mit talentierten, entschlossenen, kreativen und innovativen Menschen und mit einer überschwänglichen, unvergesslichen Natur.

Das schöne Bild fängt an zu bröckeln

Doch dieses Bild hat angefangen zu bröckeln, als beim Confederations Cup Hunderttausende Brasilianer gegen die WM und die ungleichen Verhältnisse in ihrem Land demonstrierten, als bei Bauarbeiten Arbeiter starben und Stadien die Frist des Fußball-Weltverbandes FIFA überschritten oder Mängel aufwiesen - die "Arena da Baixada" in Curitiba drohte sogar aus dem Spielplan zu fallen, so weit war sie hinterher. Darüber berichteten auch die europäischen Medien.

Auszug aus dem Brief von Ronaldo Luís Nazário de Lima (Foto: Martina Farmbauer)
Ronaldo verteidigt in seinem Brief die brasilianische SeeleBild: Martina Farmbauer

In Brasilien ist der Eindruck entstanden, dass positive Aspekte in den Medien kaum eine Rolle spielen: Die bislang gut zwei Millionen verkauften Tickets (und die zigfache Nachfrage nach den restlichen), die 15.000 Volunteers, die Begeisterung Joachim Löws und Jürgen Klinsmanns für die Architektur der Stadien oder moderne Flughäfen. Brasilien wittert eine Negativkampagne. Der dreimalige Weltfußballer Ronaldo verteidigt die brasilianische Seele: "Im Laufe der Vorbereitung sahen wir uns schon harten Tests ausgesetzt", schreibt er. Ronaldo meint, dass Brasilien diese Tests schon bestanden hat: den Confederations Cup, die Gruppen-Auslosung in Costa do Sauípe und zuletzt den Team-Workshop in Florianópolis.

Während Ronaldo ("es war der beste Confed Cup bisher") und andere Vertreter Brasiliens das machen, was in Brasilien "fazer bonito" heißt, also schönreden und in Superlativen sprechen, fährt die FIFA einen Wechselkurs zwischen großem Lob und harter Kritik. So war das zuletzt auch wieder an Sepp Blatter und Jérôme Valcke zu beobachten, bevor die FIFA darüber entschied, ob Curitiba auf dem Spielplan bleiben dürfte oder nicht.

Präsidentin Rousseff hat eine Mission

Zunächst schrieb FIFA-Präsident Blatter in einem E-Mail-Interview mit der brasilianischen Tageszeitung "Folha de São Paulo": "Die Weltmeisterschaft ist jetzt schon ein Erfolg, Brasilien wird ein großartiger Gastgeber sein." Dann ließ FIFA-Generalsekretär Valcke in seiner Kolumne auf der Internetseite der FIFA verlauten: "Brasilien hat einen Gang zugelegt, aber …" Letztlich durfte Curitiba nur bleiben, nachdem Dilma Rousseff eingeschritten war.

Die brasiliansiche Präsidentin Dilma Rousseff bei der Präsentation der Gruppen-Auslosung für die WM 2014 in Brasilien
Präsidentin Rousseff nutzt die Fußball-WM im WahlkampfBild: dapd

Denn Rousseff hat eine Mission. Brasiliens Staatspräsidentin lässt sich gerne mit "a presidenta" ansprechen - einer noch weiblicheren Form als "a presidente", die es im Portugiesischen eigentlich gar nicht gibt. Im Oktober stehen in Brasilien Präsidentschaftswahlen an. Rousseff möchte, dass ihre Landsleute sie dann wieder zur "presidenta" wählen. Deshalb ist es für sie besonders wichtig, dass die WM ein Erfolg wird. Und deshalb drückt sie auch durch, was dafür notwendig ist. Koste es, was es wolle.

Verzögerungen bei den Stadien

Tatsächlich ist es beim Bau einiger Stadien zu Verzögerungen und anderen Problemen gekommen. Darauf spielt Ronaldo an mit dem Satz: "Aber darüber hinaus müssen wir weiter arbeiten." Neben der "Arena da Baixada" in Curitiba ist auch die "Arena Corinthians" in São Paulo im Zeitplan hinterher, nachdem im Dezember ein Kran auf die Arena gestürzt war und zwei Bauarbeiter dabei ums Leben kamen. Auch Manaus mit der "Arena de Amazônia", Cuiabá mit der "Arena Pantanal", Natal mit der "Arena das Dunas" und Porto Alegre mit dem "Estádio Beira-Rio" haben die FIFA-Frist (31. Dezember 2013) überschritten.

Die Arena in Natal ist immerhin seit Ende Januar eröffnet. Staatspräsidentin Dilma Rousseff schrieb auf Twitter: "Dies bringt uns einen Schritt näher an die Weltmeisterschaft." Und in Porto Alegre fand bereits der erste offizielle Test des SC Internacional statt. Allerdings sieht sich der Klub, dem das Stadion gehört, nur dafür verantwortlich, dieses umzubauen - nicht aber dafür, WM-Anlagen wie zum Beispiel das Mediencenter rund um die Spielstätte zu errichten.

Der Optimismus bleibt

Das passt zu dem, was Martin Gegner, Gastprofessor für Stadt- und Architektursoziologie an der Universidade de São Paulo und Leiter des Büros des Deutsch Akademischen Austauschdienstes in der Elf-Millionen-Metropole, der Deutschen Welle bereits im Dezember gesagt hatte: "Ich gehe davon aus, dass die Stadien fertig werden. Aber wie es darum herum aussieht, da sehe ich viel größere Probleme." Also bei Straßen von und zum Flughafen, Buskorridoren zwischen Stadtzentrum und Stadion, U-Bahnlinien und anderen Infrastruktur-Maßnahmen.

Brasilianer sagen, dass in Deutschland die Organisation gut sei und alles andere schlecht. Und dass in Brasilien die Organisation schlecht sei und alles andere gut. "Zum Glück für uns sind Fröhlichkeit und Optimismus auch strukturell", hatte Renato Cymbalista, Kurator des deutschen Beitrags zu der Architektur-Biennale von São Paulo im vergangenen Jahr, der Deutschen Welle gesagt. Ronaldo schreibt in seinem Text: "Wir sind das Land der Freude und mit dieser Freude werden wir alle Besucher mit offenen Armen empfangen, die zur Weltmeisterschaft kommen werden."