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Das langsame Sterben des Bergbaus

Jutta Wasserrab12. Januar 2006

Der Abbau von Steinkohle in Deutschland ist hoch subventioniert. Dennoch fällt der Abschied schwer. Dabei ist der Bergbau nicht nur teuer, sondern schädigt auch die Umwelt. Eine Reportage von Jutta Wasserrab.

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Glück auf oder ein Abgesang auf die SteinkohleBild: dpa - Bildfunk

"Ich hatte meine erste Grubenfahrt in der Lehre. Der erste Tag war für mich sehr beklemmend. Diese Geschwindigkeit, mit der ich nach unter Tage gebracht worden bin, der Ohrendruck, das Sausen in den Ohren! Das war erst einmal unangenehm. Man gewöhnt sich dran." Das war vor 24 Jahren. Familiär vorbelastet ist Ramiz Music nicht. Sein Vater ist Eisenflechter, kein Bergmann. Aber die Väter seiner Jugend-Freunde sind Bergmänner - und ihre Großväter und Urgroßväter. Ihnen eifert der junge Ramiz nach. Er möchte in den Steinkohlebergbau und Schlosser werden. Das war 1981 und Ramiz glaubte damals, das sei etwas mit Zukunft: "Die Energiefrage wird nie aussterben."

Essen: Zeche Zollverein
Die monumentale Zeche Zollverein Schacht XII, 1928-32 gebaut, stellte 1986 ihren Betrieb ein.Bild: Stadt Essen

Damals allerdings war die Krise schon zu spüren. Das Zechensterben in Deutschland beginnt zu einer Zeit, in der Ramiz noch nicht einmal geboren ist. Von 1960 bis 1970 schließen mehr als die Hälfte der 125 Bergwerke. Als Ramiz mit seiner Ausbildung anfängt, sind nur noch 28 Zechen übrig. Trotzdem geht für ihn auf der Zeche Ewald zunächst alles gut. Neunzehn Jahre lang. Dann - im April 2000 - wird auch sein Bergwerk still gelegt.

Buddeln im Naturschutzgebiet

Seit fünf Jahren arbeitet Ramiz Music nun hier, im Bergwerk Walsum. 40 Kilometer von seiner alten Zeche entfernt. Der Förderkorb gleitet gerade wieder in die Tiefe. Fast lautlos schnurrt er bis auf 760 Meter unter die Grasnarbe. "Als ich hier angekommen bin, hatte ich mir im Vorfeld schon Informationen geholt und wusste, das ist ein schönes Bergwerk, ein gutes Bergwerk, das hat auch seine Förderung, das ist okay. Also da kann man längerfristig bleiben. Als dann die Information kam, dass wir hier geschlossen werden, hat es mich wie ein Blitz getroffen."

Bergwerk Walsum wird 2009 geschlossen
Noch arbeiten hier 3000 KumpelBild: AP

Im Sommer 2008 wird die Deutsche Steinkohle AG auch in Walsum dicht machen. Ein halbes Jahr früher als ohnehin geplant war. Darauf hat sich die Deutsche Steinkohle AG mit der Regierung Nordrhein-Westfalens geeinigt. Die Bergleute dürfen keine neuen Flöze unter dem Rhein abbauen, dafür können sie bis 2008 ungestört unter einem Naturschutzgebiet graben, der so genannten Momm-Niederung.

Erst buddeln sie die Steinkohle heraus, dann sackt oben nach, was unten ausgehöhlt wird, und zum Schluss drückt das Grundwasser an die Oberfläche. Klaus Friedrichs, den Vorsitzenden der Bürgerinitiative Bergbaubetroffener, ärgert das. "Entscheidend ist, dass ein Naturschutzgebiet an einen künstlichen Tropf des ewigen Abpumpens gehängt wird. Es müssen zum Erhalt dieses ganzen Gebietes 20 Millionen Kubikmeter Wasser jedes Jahr bis in alle Ewigkeit weggepumpt werden. Für drei Jahre Bergbau! Da habe ich überhaupt kein Verständnis, dass diese Ewigkeitsschäden hier verursacht werden."

Humanpharmaka im Grundwasser

Bauarbeiter Dieter Bäumer bohrt in der Momm-Niederung gerade eine meterlange Stahlstange durch den Boden. "Mit diesem Gestänge machen wir die Pilotbohrung - bis dahin, wo wir hin müssen. Und wenn wir die Größe haben, dann wird hinten das Rohr daran gebunden und zurückgezogen." Durch die Rohre wird später das Wasser aus dem Naturschutzgebiet in den nahe gelegenen Rhein gepumpt, damit die geschützten Kopfweiden nicht abfaulen.

Seit sechs Jahren streitet Klaus Friedrichs für die Bürgerinitiative Bergbaubetroffener. Wenn es nach ihm ginge, müsste die Zeche Walsum sofort schließen. Denn nicht nur das Naturschutzgebiet säuft ab, sondern Wohngebiete sinken so tief, dass sie bei Rheinhochwasser überschwemmt werden. Und 73.000 Bürger bangen um ihr sauberes Trinkwasser.

Lesen Sie in zweiten Teil von ausgelaufenen Fischteichen, Ansprüchen an den Staat und gutem väterlichen Rat.

"Es gibt kein arroganteres Unternehmen als den deutschen Bergbau"

Brikett
Lohnt der Aufwand?Bild: dpa

Von der Baustelle zum Wasserwerk der niederrheinischen Stadt Dinslaken sind es mit dem Auto ein paar Minuten. Klaus Friedrichs fährt sich durch seinen Bart und blickt nachdenklich auf das Gebäude mit dem Flachdach. "Dieses Wasserwerk hat wirklich einen großen Vorteil gehabt: Es hatte eine Rohwasserqualität, die eine Aufbereitung nicht erforderlich macht." Doch wenn die Bergarbeiter weiter Steinkohle unter der Momm-Niederung fördern und der Boden langsam nachbricht, mischt sich Wasser aus dem Rhein ins Grundwasser. Der Rheinwasseranteil steigt auf bis zu 25 Prozent. Klaus Friedrichs befürchtet sogar 30 oder 40 Prozent: "Das Problem entsteht, weil wir in unmittelbarer Nähe der größten Kloake Deutschlands - nämlich der Emscher - leben, dass hier Röntgenkontrastmittel und Humanpharmaka gefunden werden, die vom Rhein in den Grundwasserleiter hineingedrückt werden." Die gute Wasserqualität ist dann hin. Das Wasser muss für immer durch einen Filter gepresst werden, damit es die Bewohner von Dinslaken wieder trinken können. Der Naturschutzbund von Nordrhein-Westfalen klagt deswegen gegen das Bergwerk Walsum.

Klaus Friedrichs von der Bürgerinitiative ist nach Brüssel gegangen, um Druck auf die Europäische Kommission auszuüben. Die soll darauf bestehen, dass deutsche Beamte die so genannte Wasserrichtlinie der EU einhalten und das Grundwasser dementsprechend schützen. Die Deutsche Steinkohle AG hat sich davon bis jetzt nicht aufhalten lassen. "Es gibt kein arroganteres Unternehmen als den deutschen Bergbau. Das kann sich auch einmal rächen", glaubt Friedrichs.

400 Jahre und Ewigkeitskosten

Es gab eine Zeit, in der standen die Bürger geschlossen hinter ihren Bergleuten. Aber in den letzten sechs Jahren haben sich 1800 Menschen der Bürgerinitiative Bergbaubetroffener angeschlossen. Zehntausende demonstrierten gegen das Bergwerk Walsum. Die Solidarität mit den 3000 Bergleuten bröckelt. Das spürt auch Bergmann Ramiz. "Für 400 Jahre haben wir Kohle und die können wir fördern. 400 Jahre sichere Energie. Ich verstehe nicht, warum sich alle dagegen sträuben und sagen: Das wollen wir nicht. Wir kaufen lieber aus dem Ausland."

In Deutschland liegt für 400 Jahre Steinkohle, das stimmt, aber sie liegt tief. Sie heraufzuholen ist teuer. Während Ramiz und seine Kollegen in tausend Metern Tiefe schürfen, erledigen das die Amerikaner im Tagebau. Die Deutsche Steinkohle AG kann ihre teure Kohle nur deshalb verkaufen, weil sie hoch subventioniert wird. 16 Milliarden Euro wollen der Bundeswirtschaftsminister und die Wirtschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen bis 2012 an die Deutsche Steinkohle zahlen.

Bergleute in Duisburg
Bald nur noch ein Bild aus der Vergangenheit ...Bild: AP

Hinzu kommen die so genannten Ewigkeitskosten: Renten der Bergleute und Kosten, die entstehen, weil der Bergbau Umwelt, Straßen oder Häuser beschädigt. In Klaus Friedrichs Scheune beispielsweise sprengen meterlange Risse den Erdboden. Zwischen einer alten Kommode und der Schubkarre klafft der größte Spalt. "Dort, wo Beton ist, ist der Beton abgesetzt. Aber hier sind dann die offenen Risse im Erdboden. Ich kann ja mal einen Zollstock in die Hand nehmen. Mal gucken." Klaus Friedrichs schiebt den ausgeklappten Zollstock vorsichtig in den Spalt. "Sie sehen 1,20 Meter tief. Größte Breite ist, glaube ich, 13 oder 14 Zentimeter. Das sind Zerrungen durch Bergbau. Und Sie können sich vorstellen, wenn die auf das Haupthaus zugelaufen wären, das hätte das Haupthaus nicht überlebt."

Das steht noch, wenn auch ein wenig schief. Klaus Friedrichs macht sich einen Spaß daraus, eine Flasche auf den gefliesten Dielenboden zu legen. Er muss sie nicht anstoßen, sie rollt von selbst. In der Küche sind Fliesen abgesprungen, im Wohnzimmer laufen kleine Risse durch die Wand. Sogar sein Fischteich im Garten ist ausgelaufen, weil er eines Morgens schräg stand.

Wieder ist der Staat gefragt

Der Mutterkonzern der Deutschen Steinkohle, die RAG, möchte die Haftungsansprüche für solche Folgeschäden dauerhaft los werden. Sie plant, Mitte 2007 an die Börse zu gehen. Der Staat könnte die Haftungsansprüche übernehmen, hofft die RAG. Dafür soll er die Erlöse aus ihrem Börsengang erhalten. Mit fünf Milliarden Euro rechnet das Unternehmen. Niemand weiß, ob das ausreichen wird, um die Schäden zu zahlen, denn vor allem die Kosten für die zukünftigen Umweltschäden kann keiner abschätzen.

Die Politiker stecken in der Klemme. Auf der einen Seite türmen sich die Kosten, auf der anderen Seite stehen Menschen wie Mehmet Kesgin, die an ihrer Arbeit hängen. "Ich hab nur Bergbau gelernt. Ich schau draußen ab und zu bei der Arbeitsvermittlung vorbei, ob etwas zu mir passt, was ich machen kann. So einfach ist das ja nicht. Als Bergmann kommt man unter Tage raus, man muss dann draußen irgendwo arbeiten gehen. Das ist für mich jetzt fremd. Aber wenn die Möglichkeit bestehen würde, natürlich. Von heute auf morgen. Aber draußen haben wir ja auch nichts."

Bei der Deutschen Steinkohle gab es noch nie eine betriebsbedingte Kündigung. Schließt ein Bergwerk, erhalten die Älteren Anpassungsgeld und gehen in den frühzeitigen Ruhestand. Die Jüngeren verlegt die Deutsche Steinkohle auf die anderen Zechen. Aber davon gibt es immer weniger. Wenn Walsum schließt, werden es in der Bundesrepublik voraussichtlich noch sieben Zechen sein. Ramiz hofft, dass der Bergbau nicht ganz ausläuft. Sein Jüngster ist fünfzehn Jahre alt und interessiert sich dafür. "Er ist sehr fasziniert, er würde von heute auf morgen in meine Fußstapfen treten." Momentan, sagt Ramiz Music, muss er seinem Jüngsten aber abraten.