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Snus für alle?

6. Juli 2009

Snus, ein nikotinhaltiger Lutschtabak, den man sich unter die Oberlippe schiebt, darf in Schweden konsumiert werden, nicht aber im Rest der EU. Das wollen schwedische Politiker nun ändern.

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Frau kaut Snus (Foto: dpa)
Lecker?Bild: AP

Snus ist so Schwedisch wie Maibaum, Froschtanz und Heringshappen. Das wollen zumindest jene gern glauben machen, die am schwedischen Lutschtabak verdienen. Vom Waldarbeiter bis zum König, der Snus soll in aller Munde sein. Dabei sind die Ansichten zum Snus-Gebrauch auch unter stolzen Schweden durchaus geteilt: "Mir schmeckt es, aber man wird leicht abhängig davon", sagt ein Schwede. "Ich finde das ziemlich abstoßend. Dabei bin ich mit einem Snuser verheiratet", meint eine seiner Landsfrauen. Ein Dritter rückt den schwedisch-europäischen Konflikt in den Blickpunkt: "Ich finde es nicht in Ordnung, dass uns die EU den Snus verbieten will", sagt er. "In anderen Ländern gibt es Drogen, mit denen sich die Leute umbringen. Mit unserem Snus geht das nicht."

"Weniger krebserregend als Zigaretten"

Zigaretten in Zigarettenfabrik (Foto: dpa)
Beim Rauchen müssen andere mitleidenBild: picture-alliance/ dpa

Das meint auch Christofer Fjellner. Der schwedische Abgeordnete ist emsig bemüht, den Europa-Parlamentariern das heimische Traditionsprodukt schmackhaft zu machen. Während die Fraktion der europäischen Volkspartei in ihrem Sitzungssaal über die Agenda der nächsten fünf Jahre berät, steht Fjellner draußen vor der Tür in der Qualmwolke seiner rauchenden Kollegen. Der Konservative hat den Zigaretten vor einigen Jahren entsagt, er nimmt lieber den Lutschtabak Snus. "Ich denke, niemand sollte Tabak konsumieren. Aber für jemanden wie mich, der geraucht hat, ist Snus definitiv die bessere Option, wenn er schon nicht ganz aufhören kann", sagt er. "Snus produziert keinen Rauch, den andere einatmen, Snus stört niemanden. Und er ist weit weniger krebserregend als Zigaretten."

Fjellner zieht lässig eine kleine schwarze Blechdose aus der Tasche, so wie man sie von Hustenpastillen kennt. Der Tabak steckt in weißen Päckchen, die wie Teebeutel aussehen und deren feuchte braune Füllung deutlich durchschimmert. Er angelt eine Portion aus der Dose, hebt mit zwei Fingern seine Oberlippe etwas an und schiebt mit der anderen Hand den Snus darunter.

Diskriminierung schwedischer Unternehmen?

Die schwedische Handelsministerin Ewa Björling (Foto: dpa)
Die schwedische Handelsministerin Ewa BjörlingBild: picture-alliance/ dpa

"Ich hab mal versucht, hier im Parlament eine Art Snus-Verkostung zu machen", erzählt er. "Aber das Ergebnis war nicht so, wie ich das gehofft hatte. Snus ist doch ein sehr spezielles Produkt und Leute, die es probiert haben, sagten, dass sie das einfach nicht gewohnt sind. Also, ich denke, ich kann niemand dadurch überzeugen, dass ich es zum Probieren anbiete." Doch Fjellner bekommt Unterstützung. Die schwedische Regierung hofft während ihrer EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Halbjahr das europäische Snusverbot zu kippen.

Allen voran riskiert Handelsministerin Ewa Björling gern mal eine dicke Lippe. Die gelernte Zahnärztin snust selber – und fordert Gerechtigkeit. Denn Snus ist verboten, andere Tabakformen seien es aber nicht. "Wir haben einen Brief an die EU-Kommission geschrieben, dass wir das als Frage des Europäischen Binnenmarktes sehen", sagt sie. "Wir halten das Verbot für eine Diskriminierung schwedischer Unternehmen. Wir sind der Meinung, dass es eine freie Konkurrenz geben muss."

Neue Zielgruppe Teenager

Jugendliche Schweden auf einer Bank im Zentrum von Falun (Foto: dpa)
Jugendliche sollen von der Werbung fürs Snusen begeistert werdenBild: picture-alliance/ dpa

Als eines der ersten Länder in Europa hat Schweden 2005 ein umfassendes Rauchverbot in Kneipen, Restaurants und öffentlichen Räumen erlassen. Seither werden deutlich weniger Zigaretten aber umso mehr Snus verkauft. Marktführer ist der schwedische Konzern 'Swedish Match'. Mit ihren Snus-Produkten setzten die Schweden im Vorjahr umgerechnet fast 350 Millionen Euro um. Auch bei den skandinavischen Nachbarn und in den USA erfreue sich rauchfreier Tabak wachsender Beliebtheit, betont Lars-Erik Rutqvist, ein vom Konzern beschäftigter Krebsforscher.

"Wie alle Lebensmittel kann auch der Snus unerwünschte Effekte haben, nicht anders als bei Kartoffelchips oder Kaffee", räumt er ein. "Aber wir Wissenschaftler sind uns einig, dass man das Risiko für Gesundheitsschäden ganz erheblich reduziert, wenn man Snus statt Zigaretten nimmt." Gunilla Bolinder sieht das anders. Die Oberärztin an der Uniklinik Karolinska erforscht seit den 70er-Jahren die Gesundheitsrisiken des Lutschtabaks. Snus-Konsumenten attestiert sie eine höhere Belastung des Herz-Kreislauf-Systems durch erhöhten Blutdruck und Pulsfrequenz, Schäden im Rachenraum und ein höheres Risiko, an Krebs in der Bauchspeicheldrüse zu erkranken.

"Früher snusten Grubenkumpel, Seeleute, Waldarbeiter", sagt sie. "Heute sitzt der Chef mit der Dose im Tagungsraum. Frauen sind eine neue Zielgruppe." Und 'Swedish Match' ziele gerade auch auf die Teenager. Mit schönen Worten und hippen Verpackungen wolle man die Kundschaft von morgen rekrutieren.

"Was soll man glauben?"

Tabakkonzerne wie 'Swedish Match' wittern mit ihren rauchfreien Produkten neue Marktchancen, befürchtet auch der streitbare Onkolge Lars-Erik Holm. Schweden mag in Europa für die Freigabe werben. Doch Holm ist bis heute stolz auf das europäische Snus-Verbot. Er habe einen gewissen Anteil daran, vermutet der Chef der schwedischen Gesundheitsbehörde. "Die Tabakindustrie hat jahrzehntelang geleugnet, dass Rauchen die Krebsgefahr erhöht. Wenn die Lobby jetzt das gleiche über den Snus sagt, was soll man da glauben? Es ist eine Schande, dass unser Lutschtabak so eine Bedeutung bekommen hat. Als ob es hier um die Freiheit der Schweden geht."


Autor: Alexander Budde

Redaktion: Andreas Ziemons