1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

10.000 Namen

Andreas Leixnering29. Juli 2008

Tschechien veröffentlicht Dokumente aus der Stasi-Vergangenheit des Landes - fast zwei Jahrzehnte nach Ende des Kommunismus. Historiker kritisieren Art und Weise der Offenlegung.

https://p.dw.com/p/EmBW
Aufarbeitung als Puzzlespiel: Zerissene Akte der ostdeutschen Stasi (Quelle: dpa)
Aufarbeitung als Puzzlespiel: Zerissene Akte der ostdeutschen StasiBild: dpa

10.000 Namen stehen im Internet - Namen von Personen, die in den Akten des vormaligen tschechischen Spitzeldienstes Statní Bezpecnost (StB) auftauchen. Veröffentlich hat sie das Prager "Archiv der Tschechischen Sicherheitsdienste". Damit will der osteuropäische Staat ernst machen mit der systematischen Offenlegung von Stasi-Dokumenten. Und die Liste ist erst der Anfang. Insgesamt lagert eine rund 19 Kilometer lange Reihe an Akten in den Archiven. Problematisch an der Auflistung: Ob die Genannten anderen hinterher schnüffelten oder - im Gegenteil - Opfer von Bespitzelung waren, erfährt man nicht.

Wie umgehen mit Geheimdienst-Akten?

Vaclav Havel (2. von links) als Mitglied der Dissidentengruppe Charta 77 (Quelle: AP)
Vaclav Havel (2. von links) als Mitglied der Dissidentengruppe Charta 77Bild: AP

Der Umgang mit Stasi-Akten ist seit jeher ein heikles Thema im Land. Seit der Kommunismus vor 19 Jahren sein Ende fand und der StB aufgelöst wurde, gab es verschiedene Bemühungen, die dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten. 1990 erließ Präsident Vaclav Havel das Lustrationsgesetz (lateinisch "Durchleuchtung"). Damit verbot der ehemalige Dissident die Rückkehr ehemaliger KP-Bonzen und Stasi-Schlapphüte in staatliche Ämter. In der Offenlegung von Dokumenten sah Havel jedoch eine Gefahr für den Frieden in der jungen Demokratie.

Von streng geheim zu jedermann zugänglich

1992 brachte ein vormaliger Regimekritiker ein Verzeichnis einstiger Stasi-IM ("Inoffizielle Mitarbeiter") illegalerweise an die Öffentlichkeit. Ein gefundenes Fressen für viele. Die Medien gierten nach Enthüllungsgeschichten, Politiker instrumentalisierten Verdächtigungen, um Gegner zu diffamieren. Der Skandal löste aber auch eine jahrelange Debatte aus. Seit 1996 dürfen Bürger Einblick in Akten nehmen, die sie selbst betreffen. Der Großteil der Schriften blieb aber verschlossen. 2002 beschloss das Parlament dann die Offenlegung sämtlicher Papiere.

Marianne Birthler zeigt eine Cd mit deutschen Stasi-Akten (Quelle: AP)
Marianne Birthler zeigt eine Cd mit deutschen Stasi-AktenBild: AP

Doch erst die konservative Regierung unter Mirek Topolanek machte vergangenes Jahr ernst. Die Verwaltung der Akten ging vom Innenministerium auf das unabhängige Institut zum Studium totalitärer Regime über. Dem Institut ist wiederum das Archiv der Tschechischen Sicherheitsdienste angegliedert. Seit letztem Jahr kann praktisch jeder die Akte von jedem einsehen. Ein Ausmaß an Offenheit, das sogar Marianne Birthler befremdete - sie leitet die deutschen Behörde zur Verwaltung der Stasi-Akten der DDR.

Historikerin: "Völlig abwegig"

Auch Christiane Brenner vom Münchner Collegium Carolinum, einer Forschungsstelle für die böhmischen Länder, hält das Vorgehen für gefährlich: "Die Vorstellung, durch das Einstellen von 10.000 Namen objektive Grundlagen für die Erkenntnis von Geschichte zu schaffen, ist völlig abwegig", sagt Brenner gegenüber DW-WORLD. Während des Umbruchs 1989/90 sei etliches Material von den alten Machthabern vernichtet worden. Ehemalige Stasi-Mitarbeiter höchstselbst hätten danach jahrelang an der Auf- und Verarbeitung dieser Aktien mitgearbeitet. "Das heißt, man weiß bis heute nicht, wie vollständig dieser Aktenbestand ist und man weiß nichts über seinen Wahrheitsgehalt", gibt die Historikerin zu bedenken.

Umstrittener Forschungsansatz: Institut zum Studium totalitärer Regime
Umstrittener Forschungsansatz: Institut zum Studium totalitärer Regime

Skeptisch ist auch Ivo Bock von der Forschungsstelle Osteuropa in Bremen. Die Fachhistoriker seien misstrauisch gegenüber der Aussagekraft der Dokumente. Nicht weil sie per se etwas gegen die Beschäftigung damit hätten. "Aber sie meinen, man darf das nicht für die maßgebliche oder authentische Interpretation der kommunistischen Ära halten", sagt der in der ehemaligen Tschechoslowakei geborene Kulturwissenschaftler. Das Interesse der Öffentlichkeit hält er - fast zwei Jahrzehnte nach Ende des Kommunismus - ohnehin für gering.

Kein Schlussstrich - sondern Vielfalt in der Forschung

Dennoch habe Tschechien sich eher und intensiver als andere Staaten Ostmitteleuropas mit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit beschäftigt, loben beide Forscher. Und neben dem Institut zum Studium totalitärer Regime mit seiner Politik der "völligen Offenheit" gebe es inzwischen eine pluralistische und vielfältige Forschungslandschaft, die auch in andere Richtungen frage.