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Das Leid mit der Pflege

Bettina Stehkämper31. August 2007

Die Missstände bei der Pflege sind nach wie vor groß, berichten die Krankenkassen. Schockbericht und Pflegeschande, titelt die Boulevardpresse. Die Empörung ist verlogen und von kurzer Dauer.

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Bild: DW

Jeder dritte Heimbewohner bekomme nicht genug zu essen, Bettlägerige lägen sich wund, würden nur unzureichend gewaschen. Nur einige der erschreckenden Ergebnisse des neusten medizinischen Prüfberichts der Krankenkassen. Man musste die vergangenen zwanzig Jahre nicht selbst einen Angehörigen in einem Heim haben, um zu wissen, wie trostlos und unwürdig die Zustände in den meisten Heimen sind. Sicher, es gibt auch hervorragende Pflegeheime, auch edle, doch die sind für die meisten nicht bezahlbar.

Über den Pflegenotstand ist oft genug berichtet und getalkt worden. Dass die Menschen immer älter werden und sich, wie das Bundesgesundheitsministerium befürchtet, der Anteil der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln wird, ist keine "Breaking News".

Abo fürs Zuhören

Alle wissen es, alle fürchten es, jeder hofft, dass der Kelch an ihr oder ihm vorbei zieht. Die Diskussion wird den Gesundheitsökonomen überlassen, die häufig eher die eigene Profilierung im Blick haben. Und die Pflege überlässt man Heimen und Diensten, die oft daran nur verdienen wollen.

Im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr bietet ein Pflegedienst ein neues Abonnement für Ältere an. Für 89 Euro kann man dreimal dreißig Minuten im Monat jemanden zum Zuhören buchen. Jede weitere Handreichung muss aber extra bezahlt werden. Man ist geneigt, sich dafür zu schämen.

Staat muss zahlen!

Pflege ist eine gesellschaftliche Aufgabe und muss aus Steuergeldern bezahlt werden. Die meisten alten Menschen sind erst am Schluss und oft nur für kurze Zeit schwere Pflegefälle. Solange wie es nur geht, möchten sie in ihren eigenen vier Wänden leben. Wenn sie Hilfe im Haushalt haben, nach Krankheiten, der Rehabilitation eine größere Rolle zukommt als der Einweisung in ein Heim, wenn Ärzte, Angehörige, Nachbarn, Wohnungsgesellschaften und Vereine mehr auf Alte achten würden, wäre schon viel gewonnen.

Warum werden Menschen nicht vom Staat dafür bezahlt, dass sie mit hilfsbedürftigen Menschen spazieren oder einkaufen gehen, ihnen zuhören? Für viele eine Aufgabe, die sie sehr gern übernehmen würden, lieber als nur von Hartz IV zu leben. Für die Pflege selbst benötigt man aber gut ausgebildete Kräfte, die sich in ihrem Beruf fortbilden können, die nicht ausgebrannt irgendwann das Weite suchen, weil die Überbelegung, der zeitliche Stress und das Leid zu groß sind.

Angehörige, die bisher zu zwei Drittel aller Pflegefälle betreuen, gehören unterstützt und nicht kriminalisiert, wenn sie aus Verzweiflung polnische Pflegerinnen beschäftigen. Ein Schritt in die richtige Richtung ist der jüngste Vorschlag der Gesundheitsministerin, Angehörigen zehn Urlaubstage zu geben, um die Pflege zu organisieren. Der kleinliche Streit, wer diese Tage bezahlen soll, zeigt aber auch wie sehr wir immer noch, Pflege und Älterwerden vor allem als finanzielles Problem sehen. Das ist es auch. Aber nicht nur. Es ist vor allem, so wie es jetzt ist, eine menschliche Tragödie.