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Deutschland geweinnt den ESC

31. Mai 2010

Für einen Moment lang ist ein ganzes Land einfach nur glücklich. Deutschland gewinnt den Eurovision Song Contest nach 28 Jahren mit einem Beitrag, der die Regeln des medialen Zirkus souverän durchbricht.

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Lena Meyer-Landrut und TV-Moderator Stefan Raab auf dem Flughafen in Hannover aus dem Flugzeug. (Foto: Maurizio Gambarini dpa/lni)
Bild: dpa

Vielleicht war das einfach mal nötig, nach all den Wirtschaftskrisen und explodierenden Bohrinseln, eine Auszeit von den Wirrungen der Globalisierung, dem alltäglichen Rattenrennen und den ständig spürbaren Verunsicherungen des 21. Jahrhunderts. Und es war der Glücksfall Lena.

Die nationale Aufgabe

Als Deutschland im letzten Jahr bei einem hierzulande immer weniger beachteten, oft belächelten und verspotteten europäischen Gesangswettbewerb wieder mal ganz hinten landete, wussten die Verantwortlichen in der öffentlich-rechtlichen ARD, dass sie nur noch eine Chance hatten. Wenn das so weiterginge mit den letzten Plätzen, würde Deutschlands Grand Prix-Teilnahme auf dem Spiel stehen. Über den eigenen Schatten zu springen und mit der privaten Fernsehkonkurrenz eine Partnerschaft einzugehen, war eine ziemliche Verzweiflungstat. Doch das Glück war mit den Verantwortlichen, denn Stefan Raab, der Mann, der die Kandidatenauswahl organisierte, liebt Musik. Das hatte er schon mehrfach bei seinen eigenen Shows bewiesen. Und, noch einmal Glück, er hatte sich vorgenommen, den Konkurrenten von der bekanntesten TV-Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" zu beweisen, dass man ein Casting machen kann, ohne die Kandidaten zu entwürdigen.

(Foto: EBU)
Mit Mädchencharme zum SiegBild: EBU

It’s the singer, not the song

4500 Bewerber gab es bei der mehrteiligen Serie "Unser Star für Oslo", zehn kamen in den Wettbewerb. Gleich in der ersten Sendung war klar, dass Lena Meyer-Landrut etwas hatte, das in der Form kein anderer Casting-Star mitbrachte. Stefan Raab formulierte: "Wenn Sie auf die Bühne geht, dann blüht alles". An der Gesangstechnik lag es nicht, da waren einige andere Kandidaten besser, doch Lenas Ausstrahlung, dieses Vermögen, den Gute-Laune-Pegel bei den Zuschauern schlagartig zu heben, war einmalig. Auch der Song "Satellite", mit dem Lena dann in Oslo antrat, ist ein zwar eingängiges aber dennoch ziemlich normales Stückchen Popmusik. Ohne Lenas Performance hätte man ihn vielleicht gar nicht größer bemerkt.

Gegen die Regeln

Der Eurovision Song Contest, diese größte Fernseh-Show der Welt, hat über die Jahre ein eigentümliches Paralleluniversum aus Kitsch und Pomp hervorgebracht: Bühnenauftritte mit übertriebenen Inszenierungen, geschmackloser Garderobe und Songs, die man oftmals ohne Gefallen am Trash nicht ertragen konnte. Das einfach nicht mitzumachen war eine weise Entscheidung und so nur mit Lenas Ausstrahlung möglich. Wo andere mit Schneidbrennern auf der Bühne hantierten, LED-Kleider vorführten und jede Menge sportive Einlagen boten, kam Lena auf die Bühne und war einfach nur Lena. Obwohl sie seit Februar massenweise Medientermine hinter sich gebracht hat und neben dem Abitur noch eben das erste Album eingesungen hat, wirkt sie bis heute authentisch und alles andere als routiniert. Dieses bewusste Nicht-Marketing-Konzept hat zunächst Deutschland und jetzt ganz Europa überzeugt.

Lena wird begeistert in Hannover empfangen (Foto: Maurizio Gambarini dpa/lni)
Eine Nation in TranceBild: AP

Alle ein bißchen Lena

Gerade weil man nichts über ihr Privatleben weiß und sie konsequent vom Schmuddeljournalismus ferngehalten wird, ist Lena die optimale Identifikationsfigur: Selbstbewusst, jung, frech, ein bisschen verrückt, aber zielstrebig. Wer von uns wäre nicht gerne ein wenig so? Leere Versprechungen, mediale Fälschungen oder künstlich generierte Emotionen haben wir genug. Genießen wir einfach den Moment, und freuen wir uns darüber, dass das Phänomen Lena Generationen vereint, den Abartigkeiten von Top Model und Superstar Paroli bietet, und natürlich, dass Deutschland im nächsten Jahr den Eurovision Song Contest ausrichten wird.

Autor: Matthias Klaus
Redaktion: Rick Fulker/ Conny Paul