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"Das Misstrauen gegenüber Politikern ist groß"

4. Juni 2004

- Schwieriger Europa-Wahlkampf in Polen

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Berlin, 4.6.2004, DW-RADIO, Nina Werkhäuser

Einen Tag nach dem EU-Beitritt Polens ist die Regierung von Ministerpräsident Leszek Miller zurückgetreten. Sein Nachfolger, Marek Belka, hat es bisher nicht geschafft, die Zustimmung des Parlaments zu bekommen. Vor dem Hintergrund dieser Regierungskrise verläuft der Europa-Wahlkampf in Polen schleppend. Dabei mischt sich die generelle Politikverdrossenheit mit der Hoffnung auf Impulse aus und für Europa. Und auch die EU-Gegner gehen im Wahlkampf auf Stimmenfang. Nina Werkhäuser hat sich in Polen umgeschaut:

Weit weg von Warschau kandidiert der 40-jährige Kosma Zlotowski fürs Europaparlament. Beim Wahlkampf in seiner mittelgroßen Provinzstadt muss der Kommunalpolitiker Überzeugungsarbeit leisten:

"Wenn ich mit den Leuten spreche, sind sie nicht sehr interessiert. Aber auf der anderen Seite verbinden sie irgendwelche Hoffnungen mit der EU und auch mit diesen Wahlen. Das ist ein Widerspruch, aber das ist so."

Geld und Hilfe aus Brüssel erhofft man sich hier von der EU. Einer, der wählen gehen will, sagt:

(Passant) "Wenn das EU-Parlament hier in Polen nicht endlich Ordnung schafft, dann wird es nur noch schlimmer."

Andere Passanten wenden sich genervt ab - nur keine komplizierte Politik! Für Zlotowski keine einfache Aufgabe, die Leute doch zum Wählen zu animieren:

"Vielleicht liegt es daran, dass die normalen Leute mit der Europäischen Union jetzt nicht viel zu tun haben. Vielleicht wird das in fünf Jahren anders sein. Aber die Polen müssen wissen, wozu das dient, und das ist jetzt noch ein Geheimnis für sie."

Noch sind die Institutionen der EU den meisten Polen fremd. Straßburg und Brüssel sind weit weg. Nur wenn es um die Verteidigung polnischer Interessen geht, werden Emotionen wach.

Aber das ist nicht der einzige Grund dafür, dass sich nur wenig rührt im Europa-Wahlkampf: Auch die seit Monaten andauernde Regierungskrise trägt mit dazu bei. Viele Polen gingen generell nicht zu Wahlen, sagt der Journalist Cezary Wojtczak. Bei der letzten Wahl zum polnischen Parlament lag die Beteiligung bei 46 Prozent. Bei der ersten Europawahl werden höchstens 20 Prozent der Wähler mitstimmen, vermutet Wojtczak:

"Polen kann man in diesem Punkt nicht mit Deutschland vergleichen, weil bei uns die Demokratie noch viel jünger ist. Die Einstellung der Leute zur Politik ist anders. Das Bewusstsein, dass jede Stimme zählt, gibt es in Polen nicht. Bei uns ist das Misstrauen gegenüber den Politikern groß. Viele Menschen sehen in der Politik nicht mehr als eine lange Abfolge von Korruptionsaffären und Betrügereien."

Der Hass auf "die da oben" und die ausgeprägte Politikverdrossenheit erlebt auch Kandidat Kosma Zlotowski bei seinen Wahlkampfauftritten:

"'Ihr seid alle Diebe' - ja, das habe ich schon gehört. Obwohl ich dann fragen kann: 'Was habe ich gestohlen?'"

Zlotowski, der für die konservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" antritt, ist Befürworter der EU. Das ist keine Selbstverständlichkeit: In Polen sind viele Kandidaten EU-Gegner, zum Beispiel Stefan Pastuszewski. Der Schriftsteller führt ein lokales Wahlbündnis an, das den EU-Beitritt Polens für einen Fehler hält. Deshalb hat Pastuszewski Verständnis für alle, die nicht wählen gehen:

"Es ist nicht möglich, die Wähler zu mobilisieren, und deswegen werde ich es auch nicht tun. Wenn die Beteiligung niedrig ist, dann ist das der Beweis dafür, dass die falschen Leute im Europa-Parlament sind und dass es ein Fehler war, der EU beizutreten."

Stefan Pastuszewski glaubt zwar nicht, dass er einen der 54 Sitze Polens im Europa-Parlament bekommt. Wenn aber doch, dann will er dort für die Interessen Polens kämpfen und den Ausverkauf des Landes an die großen EU-Länder stoppen, wie er sagt.

Europa-feindliche Töne verbreiten auch die nationalkonservative "Liga der polnischen Familien" oder die "Samoobrona" des populistischen Bauernführers Andrzej Lepper. Sie profitieren von der aktuellen Regierungskrise, ausgelöst durch die Postkommunisten, und stehen in den Umfragen gut da. Es ist also wahrscheinlich, dass Polen am 13. Juni zahlreiche EU-Gegner ins Europa-Parlament schicken wird. (TS)