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Beichte im Netz

Michael Gessat3. Februar 2013

Alle christlichen Kirchen sind im Internet präsent, der Papst wendet sich mittlerweile per Twitter an die Gläubigen. Aber kann man im Netz auch eine "echte" Beichte ablegen und Absolution für seine Sünden erhalten?

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Kerzen, ein Laptop und betende Hände. Symbolbild Online-Beichte (Foto: pa/dpa)
Online BeichtenBild: picture-alliance/dpa

Mehr als eine Milliarde Menschen nutzen Facebook , und damit sind Online-Bekenntnisse, freiwillige und zuweilen auch unfreiwillige, etwas völlig Normales geworden. Mal informieren Prominente den Rest der Welt über den jüngsten Seitensprung und bitten dabei gleich ihre betrogenen Partner um Verzeihung, mal dokumentieren Jungmanager mit offenherzigen Fotos, wie sie nach einer durchzechten Nacht aussehen.

Wer seine Sünden aber noch gezielter publik machen will, kann dies auf einer der zahlreichen Online-Beicht-Seiten tun, die es quasi schon seit den Urzeiten des WWW gibt: Da gesteht eine 14-jährige Lisa, sie habe beim Spaziergang im Park "plötzlich Lust bekommen, eine alte Frau zu schlagen" und dies dann auch getan; ein Student bekennt, ein "Fachbuch aus einer Bibliothek geklaut zu haben" und ein Angestellter gibt freimütig zu, er sei "gestern bei der Arbeit extrem faul" gewesen.

Sünden mit Unterhaltungswert

Was Menschen dazu bewegt, bei "Beichthaus.com", "Wir-beichten.de" oder "Onlinebeichte.net" solche Verfehlungen zu Protokoll zu geben, darüber kann man nur spekulieren. Über die Echtheit mancher Geschichten auch. Ganz offensichtlich sind eine Menge Spaßvögel dabei, aber auch Verbalerotiker – auf manchen Beichtseiten sind Schilderungen mit sexuellen Inhalten eindeutig in der Überzahl.

Internet-Beichte: Die Seite verspricht: Ein Klick und die Sünde ist weg (Foto: pa/dpa)
Ein Klick und die Sünde ist weg? So einfach ist das nichtBild: picture-alliance/dpa

Andere Einträge wiederum sind ganz unspektakulär und dabei doch wieder so detailreich geschrieben, dass man den Eindruck gewinnt: Hier wollte vielleicht wirklich jemand einfach seinem Herzen Luft machen. Eines allerdings haben alle öffentlichen Sündenbekenntnisse gemeinsam: Sie dienen dem Voyeurismus der Leserinnen und Leser – und mit einer "richtigen" Beichte im Sinne der christlichen Kirche haben sie so gut wie nichts zu tun.

Religiöse und virtuelle Realität

"Offizielle" kirchliche Beichtseiten gibt es denn auch nicht im Netz, obwohl der Gedanke daran ja keineswegs von vornherein absurd ist: Die Anonymität etwa, die ein realer Beichtstuhl in einer Kirche architektonisch herstellt, gäbe es im Internet quasi automatisch – und damit die Chance zu wirklicher Offenheit zwischen Beichtenden und Geistlichen.

Aber zumindest in der katholischen Kirche ist eine Online-Beichte nach derzeitigem theologischem Verständnis nicht möglich. Das Sündenbekenntnis und vor allem die Lossprechung des reuigen Beichtenden durch einen Priester gehört nämlich bei Katholiken zu den sieben "Sakramenten" – zu den "heiligen Geheimnissen", die "Zeichen und Werkzeug" für die Begegnung mit Gott sind. Im Internet aber gibt es keine Sakramente, so steht es im vatikanischen Papier "Kirche und Internet" aus dem Jahr 2002: "Virtuelle Realität ist kein Ersatz für die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie" und "die sakramentale Realität der anderen Sakramente".

Wirkliches Gegenüber im Netz?

Genauso wie nach katholischem Verständnis beim Abendmahl Jesus Christus "real anwesend" ist, so gehört zur Beichte trotz der Anonymität im Beichtstuhl eine "reale Begegnung" zwischen Gläubigem und Priester. Und zwar im Sinne von körperlicher Anwesenheit, erklärt Pater Bernd Hagenkord – er arbeitet als Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan. Als Blogger ist er selbst tagtäglich an der Schnittstelle zwischen Glauben und modernen Medien.

Ein Mädchen und katholischer Pfarrer bei der Erstkommunion (Foto: BilderBox)
Sakrament Heilige Kommunion: In virtueller Form nicht vorstellbarBild: BilderBox

Ein Kollege aus der anderen christlichen Konfession ist Oberkirchenrat Sven Waske; der ordinierte Pfarrer leitet die Onlineredaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): "Letztlich ist es die Frage, wie man Realität definiert, wie man wirkliche, persönliche Begegnung definiert, ob sie medial vermittelt sein kann. Wenn ich das Internet nicht als Wirklichkeit wahrnehme, sondern als nur virtuelle Realität, dann ist es natürlich schwierig, wenn ich da kein wirkliches Gegenüber habe."

Der Papst über "Social Networks"

In der evangelischen Kirche spielt die Einzelbeichte längst nicht eine so große Rolle wie bei den Katholiken. Zu den Sakramenten gehört sie hier nicht – körperliche Anwesenheit ist also keine zwingende Voraussetzung. Und für Sven Waske kann es eine "wirkliche Begegnung" von Gläubigen auch von PC zu PC geben, zum Beispiel im Chat mit einem Pfarrer oder einer Pfarrerin bei der Online-Seelsorge: "Da wir es im Internet ja nicht mit einer Virtualität zu tun haben, sondern mit ganz realem Leben, ist auch in solchen Momenten eine Beichtsituation, ein Schuldbekenntnis und eine Sündenvergebung dort möglich."

Wie virtuell oder wie real das Netz eigentlich ist – auch Pater Hagenkord hält das für eine spannende Frage. Und auf seinem Blog bei Radio Vatikan hat er gerade eine Botschaft von Papst Benedikt XVI zum 47. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel online gestellt: "Die digitale Umwelt ist keine parallele oder rein virtuelle Welt, sondern ist Teil der täglichen Lebenswelt vieler Menschen, insbesondere der jüngeren Generation", heißt es da; und die "Social Networks" könnten helfen, "spirituelle und liturgische Ressourcen zu teilen" oder sich "authentisch und interaktiv" "mit den Fragen und Zweifeln jener, die fern sind vom Glauben", zu beschäftigen.

Papst Benedikt sendet sein erstes Tweet (Foto: Reuters)
Papst Benedikt XVI sendet sein erstes TweetBild: Reuters

Gewissenserforschung mit Beicht-App

Auch der Vatikan geht mit der Zeit, und so kann man heutzutage als medienaffiner Katholik dem Papst einfacher denn je "folgen" – nämlich bei Twitter. Man kann einen theologisch "wirksamen" Segen auf seinem Mobiltelefon empfangen, oder man kann sich vielleicht gar mit einer App namens "Confession" auf möglicherweise begangene Sünden abfragen und das Gerät dann als Spickzettel für die Beichte mit in die Kirche nehmen.

Aber das katholische Schuldbekenntnis und die Absolution bleiben trotz des komplizierten theologischen Überbaus etwas ganz Analoges – und, trotz möglicher Online-Beichte in Ausnahmefällen: Auch in der evangelischen Kirche hat man kaum vor, den Glauben ganz ins Netz zu verlagern.