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Das politische Problem Tierfutter

6. Januar 2011

Während Deutschland noch über das Ausmaß des derzeitigen Dioxin-Skandals in Lebensmitteln diskutiert, wird bereits eines deutlich: Am Ende geht es politisch um mehr als um gepanschtes Futtermittel.

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Das Silo des betroffenen Futterfett-Herstellers (Foto: dapd)
Futtersilo der Firma "Harles und Jentzsch" in UetersenBild: dapd

Viele Hände müssen mithelfen, bis Fleisch, Eier und andere tierische Produkte beim Verbraucher ankommen. Der Handel kauft bei Landwirten ein. Der Landwirt bezieht Futter für Hühner, Schweine und Rinder vom Futtermittelproduzent. Der wiederum kauft seine Rohstoffe bei Zulieferern. Es sind inzwischen zu viele Hände, sagt der Vorsitzende des Verbandes "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (BUND) Hubert Weiger. "Der Bauer weiß nicht mehr, was er verfüttert." Der Dioxinskandal sei eine logische Folge der Massentierhaltung, sagte er der Deutschen Welle.

Hühner auf Bauernhof (Foto: DW / Jutta Wasserab)
Viele Landwirtschaftsbetriebe müssen geschlossen werdenBild: Jutta Wasserrab

Diese Ansicht teilt Christiane Groß von der Verbraucherschutzorganisation "Foodwatch". "Das Dioxin kommt über die Futtermittel, das ist der übliche Eintragsweg", sagte sie dem Nachrichtensender n-tv. Dem Futtermittel beigemischte Fette und Öle wären schon häufig mit Dioxin verseucht gewesen, weshalb auch sie die Futtermittelproduktion als Hauptgrund für den aktuellen Dioxinskandal sehe.

Verseuchte Eier in den Niederlanden weiterverarbeitet

Der neue Lebensmittelskandal zieht immer weitere Kreise. 3000 Tonnen mit Dioxin belastetes Industriefett wurde an Legehennen, Mastgeflügel und Schweine verfüttert. Tausende Landwirtschaftsbetriebe wurden vorsorglich geschlossen, die meisten davon in Niedersachsen. Nach Meinung von Experten gibt es Hunderttausende belastete Eier im deutschen Lebensmittelhandel. Da zudem nur geringe Mengen Fett in Futtermittel beigemischt werden, sind womöglich zehntausende Tonnen bereits ausgeliefertes Futtermittel verseucht.

Eine Packung Hühnereier mit Dioxin-Warnsymbol (Foto: DPA)
Dioxin gelangte über Tierfutter in menschliche NahrungsmittelBild: Picture-Alliance/dpa

Am Donnerstag (06.01.2011) tauchten neue Dioxin-Eier in weiteren Bundesländern auf, und im Nachbarland Niederlande stellten Behörden fest, dass hunderttausende Dioxin-Eier aus Deutschland zu Mayonnaise und Backwaren weiterverarbeitet wurden. Noch immer untersuchen die deutschen Behörden den Futtermittelzulieferer-Betrieb "Harles und Jentzsch" im Bundesland Schleswig-Holstein, der statt lebensmitteltauglicher Mischfette verunreinigte Industriefette ins Futtermittel gepanscht haben soll. Die Polizei erklärte, der Geschäftsführer des Unternehmens habe am Telefon und via E-Mail sogar Morddrohungen erhalten.

Hat die Selbstkontrolle versagt?

Vertreter der Tierfutterproduzenten und ihrer Zuliefererbetriebe geben sich indes selbstbewusst. Die jetzt festgestellten Dioxinfunde in Lebensmittel könnten - entgegen der öffentlichen Wahrnehmung - auch als Erfolg der Eigenkontrolle durch die betroffenen Futtermittelhersteller gesehen werden. "Es gibt zwei Ebenen der Kontrolle: Zum einen die von behördlicher Seite, zum anderen aber gab es in den letzten 10 bis 15 Jahren eine massive Verbesserung auf der Ebene der Eigenkontrolle der Unternehmen", sagte Britta Noras, Pressereferentin des Deutschen Verbands Tiernahrung, der Deutschen Welle. Der Verband vertritt viele Tierfutterproduzenten und Zuliefererbetriebe.

Ulrike Höfken, Grünen-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sieht dagegen das System der Eigenkontrolle in der Branche als gescheitert an, wie sie in mehreren Radio-Interviews kundgab. Auch der Deutsche Bauernverband plädiert in öffentlichen Stellungnahmen dafür, die Dioxin-Panscher für die Schäden der Landwirte in Haftung zu nehmen.

Verbraucherministerin Ilse Aigner (Foto: AP)
Ilse Aigner: Sie muss dafür sorgen, dass die Deutschen unbedenklich essen könnenBild: AP

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) kündigte an, Futtermittel-Panscher mit harten Strafen belegen zu wollen: "Wer die Existenz hunderter Betriebe aufs Spiel setzt und die Gesundheit von Verbrauchern gefährdet, der muss zur Rechenschaft gezogen werden." Weiterhin müsse überprüft werden, ob die Produktion von jenen Mischfetten, die für Futtermittel bestimmt sind, nicht örtlich von Produktionsstätten für Fette getrennt werden sollten, die für qualitativ minderwertige industrielle Zwecke weiterverarbeitet werden. Es könne nicht sein, dass ein falscher Knopfdruck bereits sämtliche Produktionskreisläufe durcheinanderbringe.

Im Nachbarland Niederlande wird eine solche Trennung bereits praktiziert. Der Deutsche Bauernverband würde eine solche Konsequenz begrüßen. Vertreter der Tierfutterbranche halten ein solches Vorgehen dagegen für wenig praxistauglich.

Tierfutter muss wieder natürlicher werden

Kuh auf Weide (Foto: AP)
Eine gesunde Weide sehen die meisten Kühe schon lange nicht mehrBild: AP

BUND-Chef Weiger fordert eine Radikalkur für die europäische Agrarpolitik. Die auf Massenproduktion ausgerichtete europäische Landwirtschaftspolitik führe dazu, dass immer größere Landwirtschaftsbetriebe immer industrieller Hühner, Schweine und Rinder züchteten. Das führe zu immer mehr Futtermittelbedarf, der nur im Großmaßstab befriedigt werden könne. Die politische Reaktion der Verbraucherministerin kratze daher nur an der Oberfläche des Problems, sagte er der Deutschen Welle: "Immer dann, wenn Tiere nicht mehr aus der eigenen Futtergrundlage ernährt werden, wenn Futter zugekauft wird, und wenn dieses nicht zertifiziert ist, also keine lückenlosen Kontrollsysteme vorhanden sind wie das im ökologischen Landbau in Deutschland die Vorschrift ist, dann sind entsprechende Betrugsmöglichkeiten gegeben."

Die bevorstehende Reform der EU-Agrarpolitik müsse dafür sorgen, so Weiger, dass nicht mehr solche Betriebe subventioniert würden, die möglichst viel Futtermittel einsetzen. Stattdessen sollten vor allem jene Bauernhöfe unterstützt werden, die nur so viele Tiere halten, wie sie durch ihr eigenes Futtermittel ernähren können.

Autor: Richard A. Fuchs (mit dpa, ap)
Redaktion: Kay-Alexander Scholz