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Das Publikum will musikalische Live-Handwerker

Tamsin Walker16. September 2005

Zwei Trends sind bei der Popkomm in Berlin ans Schweinwerferlicht gekommen: die Wiederentdeckung der guten, alten Bühnenkonzerte - und die perfekte Erfolgswelle der deutschen Popmusik.

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Wichtig sind Bühne und gern auch deutsche TexteBild: dpa

Berlin macht von sich reden als Ort mit einer lebendigen Musikszene, die voller Ideen steckt. Etwa 800 Aussteller kamen aus dem Ausland eingeflogen, um an der Popkomm teilzunehmen, die am Samstag (17.9.2005) endet. Sie hat der deutschen Hauptstadt 400 Stunden Live-Musik beschert.

PopKomm
Auf der Popkomm 2005 wurde der Musikgeschmack ausgelotet - Ergebnis: Live-Konzerte sind gefragter als gekaufte CDsBild: DW

Und so soll das auch sein, sagt Raik Hölzel vom deutschen Indie-Label Kitty-Yo: "Aus dem Festival wird viel mehr gemacht, seit es gleichzeitig mit der Handelsmesse stattfindet. Und der Aspekt der Live-Performance wird in den Medien ernster genommen", berichtet er. "Live-Acts werden immer wichtiger, und Konzerte sind ein unglaublich wichtiges Marketinginstrument".

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PopKomm
Scheiben- oder Livemusik?Bild: DW

Das digitale Zeitalter hat die Verdienstmöglichkeiten der Künstler ziemlich ruiniert. Weil viele Kunden Musik lieber kopieren als sie im Laden zu kaufen, können sich auch die beliebtesten Musiker nicht mehr auf CD-Verkäufe als Altersvorsorge verlassen. Sie müssen raus auf die Bühne und sich im Schweiße ihres Angesichts ihr Abendessen erarbeiten.

Andererseits will das Publikum auch die Bands live und in Farbe kennen lernen. "Die Situation hat sich wirklich verändert. Die Leute wollen bei der Musik auch sehen, wie sie gemacht wird", sagt Hölzel. "Sie suchen nicht den perfekten Sound, sondern Emotionen und dreckige, direkte, provokative Musik."

Wirklich – eine Basstrommel

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Die Generation Techno entdeckt die Live-Instrumente wiederBild: AP

Damit sind die Dinge wieder da, wo sie in den Siebzigern waren, als Plattenfirmen wie Crysalis, Virgin und Island Records aus der Live-Industrie heraus entstanden. Jetzt ist live wieder angesagt, Bands veröffentlichen ihre Alben genau so, dass sie sie auf einer Tournee promoten können – und Plattenfirmen, die in der Klemme stecken, versuchen sich ins Live-Lager der Industrie zu retten.

Aber das ist ein hartes Geschäft. Jens Michow, Präsident des deutschen Verbandes der Eventindustrie (IDKV), sagt, es gebe tausend Event-Organisatoren in Deutschland – und hunderte von ihnen würden um die selben Auftritte rangeln. "Wenn Künstler den Großteil ihres Geldes mit der Live-Musik-Industrie verdienen, dann gucken sie natürlich, welcher Event-Manager ihnen den besten Vertrag macht. Und das schlägt sich leider in den Preisen für die Konzertkarten nieder", erklärt Michow.

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'Die Leute wollen bei der Musik auch sehen, wie sie gemacht wird'Bild: AP

Sogar Preise zwischen 30 und 75 Euro pro Ticket sind aber noch nicht exorbitant genug, um Publikum abzuschrecken. Hölzel prophezeit, der Trend zum Bühnenauftritt werde noch eine Weile anhalten. Denn: "Die Generation, die mit Techno aufgewachsen ist, hat diese Erfahrung gar nicht gemacht", sagt er. "Ich hab viele Jugendliche gehört, die sagen: 'Wow, das ist eine Basstrommel? Ich weiß von meinem Computer, wie die klingen, aber ich wusste nicht, dass es die wirklich gibt."

Quote und Kreativität

Und während die hippen jungen Menschen die handgemachte Musik ausgelassen feiern, genießen die, die sie machen, ihren Erfolg. Seit 2004, als es darum ging, im Radio eine Quote für deutsche Lieder einzuführen, hat das Interesse am heimischen Musiksektor rasant zugenommen. Künstler wie Wir sind Helden, Silbermond, Jeannette Biedermann, Nena und Juli trällern alle in ihrer Muttersprache und ernten einen Haufen Lob dafür. Die größten Erfolge der Album- und Singlecharts 2005 kommen von deutschen Künstlern. "Die Musikindustrie unterliegt Trends. Lange dachten viele, sie hätten nur Erfolg, wenn sie auf Englisch schreiben und singen", sagt Michow. "Das ist jetzt vorbei."

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Wir sind Helden - stark auch durch Quote?Bild: Ap
Aber Hölzel erklärt, dass die deutsche Musiklandschaft mehr sei als das, was man dank Quotendiskussion wahrnehme. Die Berliner Szene zum Beispiel sei enorm kreativ und produziere große Mengen an interessanter Musik. "Die Leute wollen was Besonderes machen, es geht ihnen nicht primär ums Geldverdienen", sagt er. "Diese Musik sollte von den Radiosendern ernster genommen werden."