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Ramallah-Syndrom

25. Juni 2009

Noch bis Ende November läuft die Biennale von Venedig, und noch nie sind die arabischen Länder dabei so stark beachtet worden wie in diesem Jahr. Vor allem solche, die zum ersten Mal dabei sind, so wie Palästina.

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Künstler Taysir Badniji, (Foto:Taysir Badniji)
Der Künstler Taysir Badniji vertritt die Palästinenser auf der Biennale in VenedigBild: Werner Bloch

Erstmals gibt es also einen palästinensischen Pavillon – wenn auch dieser, weil Palästina kein regulärer Staat ist, sich nicht als offizieller Nationenpavillon präsentiert, sondern gleichsam außer Konkurrenz – als sogenanntes "kollaterales Ereignis". Natürlich ist der palästinensische Pavillon hoch politisch. Seine Veranstalter nennen ihn "Palestine – c/o Venice", also Palästina, zur Zeit erreichbar in Venedig."

Kein Zweifel: Der palästinensische Pavillon zählt zu den Höhepunkten der Biennale von Venedig. Ein Ort, an dem Kunst, Politik und das Nachdenken über die Zukunft so eng zusammenkommen wie vielleicht nirgendwo sonst. Die Kuratorin Salwa Mikdadi sagt: "Das Problem ist: Die palästinensische Identität unterliegt immer wieder denselben Stereotypen in der Wahrnehmung – das Palästinensertuch usw. Davon muss man sich befreien. Wir wollen nicht immer als Opfer der Besatzung oder als Terroristen wahrgenommen werden. Einer unserer jungen Künstler zeigt das Leben in Palästina als Comicfilm – den Akt der Zeugung, die Gewalt, den Tod – geradezu abstrakt, eine wortlose Animation, ohne jede Folklore. Wir brauchen neue, frische Bilder."

Neue Bilder für Palästina
Dünnes Holz, das beim Anspitzen von Bleistiften entsteht,(Foto:Werner Bloch)
Symbole des Wartens: dünnes Holz, das beim Anspitzen von Bleistiften entstehtBild: Werner Bloch

Solche Bilder findet man durchaus. Zum Beispiel in der Arbeit von Taysir Badniji. Er beschäftigt sich mit dem Thema "Warten". Seit drei Jahren kann er nicht mehr in seine Heimat Gaza zurückkehren, weil Israel die Grenzen geschlossen hat. Badniji lebt heute gezwungenermaßen in Paris und beantwortet die Situation auf seine Weise – mit Kunst. Auf dem Boden des palästinensischen Pavillons befinden sich Hunderte kleiner zarter Objekte, die wie ein Feld von Blütenblättern aussehen. Wer näher kommt, erkennt: es handelt sich um kleine Ringe aus dünnstem Holz, die beim Anspitzen von Bleistiften entstehen. Fünf Tage lang hat der Künstler im palästinensischen Pavillon Bleistifte gespitzt – ein Symbol des sinnlosen Wartens. Die verbleibenden Reste aus Feinholz veranschaulichen die schwierige Situation des palästinensischen Künstlers im Ausland, der zurückkehren möchte, den Israel aber nicht zurückkehren lässt.

Arabische Schriftzeichen für Venedig

Mehr als bedauerlich ist es da, dass ausgerechnet das vielleicht spannendste palästinensische Projekt nicht umgesetzt wurde. Die Künstlerin Emilie Jacir hatte vor zwei Jahren den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen. Ihre Idee für dieses Jahr: auf den öffentlichen Booten, den Vaporetti, die Venedig verbinden, sollten die Namen der Haltestellen - ins Arabische übersetzt - neben den italienischen Ortsnamen stehen. Also "Lido" oder "San Marco" in arabischen Schriftzeichen: Damit wollte Emilie Jacir an den Jahrhunderte zurückreichenden, regen Austausch zwischen Venedig und der arabischen Welt erinnern, dem Venedig seinen kulturellen und materiellen Reichtum verdankt. Unterzeichnet waren die Verträge zwischen der Künstlerin, der Biennale von Venedig und der Schifffahrtsgesellschaft bereits – doch im letzten Augenblick, noch während des Gaza-Krieges, machten die Venezianer einen Rückzieher. Das Projekt wurde abgeblasen. Emili Jacir, die in New York und Ramallah lebt: "Ich habe niemals einen offiziellen Grund erhalten, warum das Projekt gestoppt wurde. Es ging ja um ein kulturübergreifendes Projekt und es passt eigentlich wunderbar zum Motto der diesjährigen Biennale "Making Worlds" – Welten machen. Ich wollte einfach, dass die hässlichen gelben Anlegestellen der Boote in einen Dialog mit der sie umgebenden Architektur geraten, die ja eindeutig arabisch geprägt ist. Aber am Ende ist es wohl einigen Leuten zu heiß geworden und die Politik hat sich eingemischt."

Das Ramallah-Syndrom
Venedig zu Zeiten der Biennale 2009,(Foto:Werner Bloch)
Venedig zu Zeiten der Biennale 2009Bild: Werner Bloch

Trotzdem: Noch nie hat palästinensische Kunst so viel Aufmerksamkeit bekommen wie jetzt. Die junge Gegenwartskunst ist hier, im palästinensischen Pavillon. Einer der Räume ist zur Gummizelle mutiert – dort kann man sich eine Lautinstallation zweier junger Künstler aus Ramallah anhören mit dem Titel "Das Ramallah Syndrom" – eine akustische Meditation über die Lebenswirklichkeit in Ramallah und eine Soundcollage mit verschiedenen Meinungen dazu, ob die relativ scheinbare Normalität in Ramallah den Palästinensern eher schadet oder nutzt. Kann es Normalität unter Besatzung geben? Die meisten Stimmen, die zu hören sind, schließen das aus.

Eine Biennale in Palästina

Der Künstler Khalil Rabah hat inzwischen sogar eine besondere Vorliebe für Biennalen entwickelt – und daraus selbst ein Kunstwerk gemacht: Er veranstaltet eine eigene Biennale zeitgleich zu der von Venedig in Palästina, die sogenannte Rifaq-Biennale – in 50 Dörfern, die bislang voneinander abgeschnitten sind und die im Westjordanland vernachlässigt oder zerstört wurden. 50 lokale Biennalen, 50 Mini-Biennalen sollen dort stattfinden – und die Welt daran erinnern, dass Kunst nicht nur aus glamourösen, immer glänzenderen Ereignissen besteht, sondern auch mit architektonischer Rekonstruktion und Rettung zu tun haben kann.

Autor: Werner Bloch
Redaktion: Diana Hodali