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Das Schweigen der Studenten

Elisabeth Gründer, Washington8. November 2004

Nach den hitzigen Präsidentschaftswahlen herrscht Stille an den Universitäten. Hier ist die Wahlschlacht alles andere als verdaut und hinterlässt erschöpfte und zutiefst gespaltene junge Akademiker.

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Vor einer Woche noch schien es schier unmöglich, über den weitläufigen Campus der George-Washington-Universität entlang zu laufen, ohne auf das Thema "Präsidentschaftswahlen" zu stoßen. Wahlkampf überall. Man wurde überholt von Autos mit Bush&Cheney-Aufklebern oder lief zwischen Rucksäcken mit "Bushit"-Ansteckern zu Vorlesungen. Heftige politische Diskussionen wohin man sah.

Freiwillige Helfer standen an den beliebten Straßenecken Georgetowns, bewaffnet mit Unterschriftenlisten und Kerry-Edwards T-Shirts, und fragten die Fußgänger mit einem fast aufdringlichen Enthusiasmus, ob sie nicht für ihren Kerry-Fanclub unterzeichnen wollten. Ab und zu wurde ihnen ein "Thanks, but, no thanks" oder ein "It’s Bush, Baby, Bush!!" ins Gesicht geschmettert. Der Wahlkampf fand auf den Straßen rund um die Hochschulen statt, in der Universitäts-Cafeteria, vor dem Hot Dog Stand, sogar in der Kinoschlange. Keine Viertelstunde verging, ohne dass man von irgendwoher ein "Kerry", "Bush" oder "Elections" aufschnappte.

Washingtons Akademiker verfolgten gebannt, nein, lebten den Präsidentschaftswahlkampf. Wer nicht mit in den Sog gezogen wurde, machte irgendetwas falsch.

Warten und hoffen

Nun ist die Wahl vorbei und eine fast beängstigende Stille hat sich über die Hauptstadt gelegt. Das graue Schmuddelwetter am Tag nach George W. Bushs Sieges- und John Kerrys Niederlagen-Rede – nichts hätte die Stimmung im hauptsächlich demokratischen Washington besser beschreiben können. Stumm und scheinbar bedrückt huschten die Studierenden an diesem Tag unter ihren Regenschirmen über den Campus.

Während die Linken fast konspirativ zusammen hocken und einen halben Weltuntergang prophezeien, atmen konservative Akademiker still und leise auf. Es ist sehr ruhig geworden in den Hörsälen und an den Esstischen der Cafeteria. Es ist, als ob man nur noch warten und hoffen kann.

Warten darauf, was die nächsten vier Jahre bringen mögen, und hoffen, dass es dem Präsidenten gelingen möge, das Land wieder zu einen, wie er es in seiner Acceptance-Speech letzte Woche versprochen hatte.

Versöhnung oder weitere Spaltung?

Schon längst wurden die hitzigen Bush-oder-Kerry-Debatten unter Studenten ersetzt durch vorsichtige Äußerungen und Vermutungen, wie Bush seine Politik in den nächsten vier Jahren wohl gestalten und seine Macht einsetzen werde. Die Meinung teilt sich auch hier, selbst unter den hart gesottensten Demokraten.

Während die einen meinen, dass es Bush nun, nach der Wahl, nicht mehr nötig hätte zu polarisieren und von nun an in milderem Ton sprechen und auf einer weniger extremen politischen Ebene handeln werde, glauben die anderen, dass Bush nun auf der äußersten rechten Spur erst richtig Gas geben werde. Immerhin habe er nichts mehr zu befürchten, denn dies ist seine zweite Amtszeit, und um die Gunst des Volkes zu werben hat er nicht mehr nötig.

Blick in die Zukunft

Auf einen grünen Zweig gekommen ist man bei diesen neuen Debatten verständlicherweise noch nicht, dafür ist es noch viel zu früh. Stattdessen drehen sich die Diskussionen in zunehmendem Masse um Clinton – nicht der ergraute Expräsident, sondern die erblondete Ex-First Lady. Sie gilt als Top-Favoritin für das nächste Präsidentschaftsrennen.

Bis zur nächsten Wahl werden sich die Washingtoner Studenten wohl von ihrem Schock erholt haben. Momentan rechnen sie mit dem Schlimmsten und hoffen auf das Beste. Sie hoffen, dass Präsident Bush die Kluft zwischen den beiden Amerikas so gut es geht überbrückt, und dass Europa seine trotzige Anti-Bush-Haltung ändern wird. Washingtons Studenten sind in ihrer Mehrzahl überzeugte Transatlantiker. Man ist doch zur Zusammenarbeit verdammt, oder? Mal sehen.