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Migrationsbericht

6. Dezember 2011

Der Jahresbericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) beklagt, dass das Thema Einwanderung oft nur als Problem diskutiert wird. IOM-Forscher Rudolf Anich sagt im DW-Interview, wie sich das ändern kann.

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Rudolf Anich von der IOM (Foto: OEW)
Rudolf Anich von der IOMBild: OEW

DW-WORLD.DE: Herr Anich, der neue Jahresbericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ist vor allem ein Appell, die Debatte über Einwanderung zu versachlichen. Wird das Thema in den Zielländern so unsachlich diskutiert?

Rudolf Anich: Wir leben in der Ära der bisher größten Mobilität von Menschen, und zugleich findet eine Kommunikationsrevolution statt. Trotzdem ist die Migration noch immer eines der Themen, die am wenigsten verstanden werden. Wenn man Medienberichte liest oder politische Statements hört, steht man meist einer einseitigen Vermittlung von Migration gegenüber – und zwar einer negativen.

Woran machen Sie das fest?

Befragungen zeigen zum Beispiel, dass die Zahl der Migranten meist überschätzt wird. In Italien werden Migranten auf 25 Prozent der Gesamtbevölkerung geschätzt, während es tatsächlich nur 7 Prozent sind. In anderen Ländern ist das ähnlich.

Das ist ja noch nicht negativ…

…hat aber Einfluss auf die Meinung, ob zu viele Migranten im Land sind. Deutschland ist in dieser Hinsicht übrigens eine Ausnahme: Im Jahr 1984 waren in einer Umfrage noch 79 Prozent der Befragten der Meinung, dass zu viele Migranten im Land sind. Dieser Anteil ist stetig gesunken und 2008 waren es nur noch 53 Prozent. Das zeigt, dass sich die Meinungen ändern können, beeinflusst durch zeitgebundene Faktoren wie ökonomische Rezessionen, durch weniger veränderliche Faktoren wie Alter oder Bildungsgrad und durch die Art und Weise, wie Migration in der politischen Debatte und den Medien vermittelt wird.

Sind also die Medien dafür verantwortlich, wie Migration diskutiert wird?

Wir wollen nicht sagen, dass die Medien die Ursache sind. Wir sagen aber: Die generelle Migrationsdebatte ist keine ausgeglichene, offene Diskussion. Politiker betonen des Öfteren die Probleme, um mit teilweise populistischen Äußerungen ihre Wahlchancen zu verbessern, und Medien tun das, weil sich überfüllte Flüchtlingsboote besser für Schlagzeilen eignen als kleine, positive Geschichten. Es gibt eine Tendenz, sich auf negative Punkte zu fokussieren.

Haben Sie eine Alternative?

Wir nennen am Ende des Migrationsberichtes vier Orientierungspunkte, wie die Kommunikation sachkundiger werden könnte. Der erste Punkt ist, dass die Migrationsdebatte offener und umfassender gestaltet werden muss. Damit hängt der zweite Punkt zusammen: Die Debatte muss entpolitisiert werden. Migration dient oft als Maske für tiefer liegende Probleme wie Arbeitslosigkeit.

Meinen Sie Parolen wie: "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg"?

Genau. Obwohl die eigentliche Ursache von Arbeitslosigkeit die Wirtschaftsentwicklung ist, wird das Thema Migration oft als Ablenkungsmanöver missbraucht. Wenn Medien das dann einseitig wiedergeben, verstärken sie diese Denkweise. Die Gefahr ist, in einen Teufelskreis zu kommen.

Wie ließe sich der durchbrechen?

Durch eine bessere Zusammenarbeit zwischen denen, die Daten über Migration erzeugen und denen, die sie verwenden. Oft werden die erhobenen Daten – auch von zivilgesellschaftlichen und internationalen Organisationen wie uns - schlecht oder falsch an Medien und Politiker kommuniziert. Unsere dritte Empfehlung lautet deshalb, dass wir die Daten besser vermitteln müssen. Unser vierter Orientierungspunkt ist, dass Migranten eine größere Rolle in den Medien spielen müssen, damit sie selbst ihre Stimme erheben können.

An wen richten Sie diese Empfehlungen?

In erster Linie an Regierungen und Politiker, weil wir der Meinung sind, dass eine ausgeglichen und sachbezogene Kommunikation die Basis jeder Migrationspolitik ist und entsprechende Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssen. Wir richten uns auch an die Migranten selber, weil sie selbst aktiver an der Kommunikation teilnehmen müssen. Und wir richten uns an Medien, die stärker die Zusammenarbeit mit Migrationspraktikern und Migranten suchen müssen, um sachkundiger zu berichten.

Das klingt alles recht vage…

Wir können nicht ins Detail gehen, denn dazu unterscheidet sich die Situation von einem Land zum anderen zu stark. Wenn wir aber die existierenden Studien in verschiedenen Ländern vergleichen, zeigt sich eindeutig, dass sich Medien, Politiker und die vermeintliche öffentliche Meinung gegenseitig beeinflussen - und zwar so, dass die dominante Debatte nicht die Vorteile von Migration aufzeigt, sondern vor allem die negativen Seiten. Aus diesem Teufelskreis müssen wir herauskommen.

Rudolf Anich arbeitet in der Forschungsabteilung der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Die Hilfsorganisation ist weltweit mit 7000 Mitarbeitern an mehr als 2000 Projekten beteiligt.

Das Interview führte Dennis Stute
Redaktion: Klaus Jansen