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Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung

8. Juli 2009

In Berlin wird an der Dokumentationsstätte "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" gebaut. Nach jahrelanger Diskussion nimmt damit Gestalt an, was für viel Zündstoff gesorgt hat. Jetzt wurde ein neuer Direktor gefunden.

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Das Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg, künftiger Sitz der Erinnerungsstätte zu Flucht und Vertreibung
Das Deutschlandhaus in Berlin-Kreuzberg, künftiger Sitz der Erinnerungsstätte zu Flucht und VertreibungBild: Picture-Alliance / Tagesspiegel

Die Dokumentationsstätte der Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" hat jetzt auch offiziell ein Gesicht. Das höchste Entscheidungsgremium der Stiftung, der 13-köpfige Stiftungsrat, hat sich auf Manfred Kittel als neuen Direktor geeinigt. Kittel war bislang Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München. Er gilt als ausgewiesener Kenner der Problematik, konnte sich mit Veröffentlichungen zu Flucht und Vertreibung schon früh profilieren. Und nicht zu unterschätzen ist auch sein Gespür für die deutsch-tschechischen und die deutsch-polnischen Beziehungen.

Das dürfte entscheidend sein, um das im Jahr 2000 begonnene Projekt mit Leben zu füllen. Damals gründete der Bund der Vertriebenen (BdV) die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen. Im Herzen Berlins sollte dadurch ein sichtbares Erinnerungszeichen für die Opfer von Flucht und Vertreibung entstehen. Seit die deutsche Bundesregierung im März 2008 beschloss, das vom BdV angestoßene Projekt zu einer nationalen Gedenkstätte auszubauen, lautet der Titel allerdings "Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung". Kittels dringlichste Aufgabe wird in den kommenden Wochen sein, den Bau der Dokumentstationsstätte voranzutreiben.

Das Schicksal der deutschen Vertriebenen soll besser dokumentiert werden - ohne die europäische Dimension aus den Augen zu verlieren
Das Schicksal der deutschen Vertriebenen soll besser dokumentiert werden - ohne die europäische Dimension aus den Augen zu verlierenBild: picture alliance / dpa

Deutschlandhaus wird zur Dokumentationsstätte

Die Dokumentationsstätte entsteht im Berliner Stadtteil Kreuzberg, keine fünf Gehminuten vom Holocaust-Denkmal entfernt. Als Stiftungssitz vorgesehen ist das denkmalgeschützte Deutschlandhaus, ein in den 1920er Jahren errichteter modernistischer Bau, schnörkellos, in bester architektonischer Bauhaus-Tradition. Das weiß getünchte Gebäude mit roten Sandsteinsäulen an der Seite ist derzeit eine riesige Baustelle, die innerhalb von drei Jahren im Inneren komplett saniert werden soll. 14 Millionen Euro Steuergelder hat die Bundesregierung dafür zugesagt. "Der Ort ist gerade komplett eingerüstet, was symbolisch dafür steht, dass auch das Thema Flucht und Vertreibung in Deutschland eine Baustelle ist", sagt Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen.

Sie ist im politischen Polen unerwünscht: Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV)
Sie ist im politischen Polen unerwünscht: Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV)Bild: AP

Und nicht nur äußerlich wird an der Dokumentationsstätte gearbeitet. Auch konkrete Ausstellungsinhalte werden bereits erarbeitet. Unter der Leitung des neuen Direktors Kittel wird zusammen mit dem in Berlin ansässigen Deutschen Historischen Museum ein Ausstellungskonzept entworfen. Im Zentrum soll dabei der Blick auf das 20.Jahrhundert als das "Jahrhundert der Vertreibungen" stehen. Kittel soll sich vor allem darum bemühen, internationale Geschichtswissenschaftler aus Polen, Tschechien und Ungarn zur Mitwirkung am Projekt zu bewegen. Diese fachliche Unterstützung der mittelosteuropäischen Nachbarstaaten erscheint derzeit aber fraglicher denn je, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Querelen um die Besetzung des Stiftungsrates. Es gebe hervorragende polnische Historiker, sagt Steinbach. Doch die trauten sich nicht mit diesem Projekt zusammenzuarbeiten, aus Angst, ihre wissenschaftliche Laufbahn könnte dabei Schaden nehmen. Hintergrund dafür ist der Streit um die Personalie Erika Steinbach und ihren Platz im Stiftungsrat.

"Und wenn wir da einen Besenstil benennen"

Sorgte für Aufsehen: die letzte Vertriebenausstellung in Berlin mit dem Titel "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts"
Sorgte für Aufsehen: die letzte Vertriebenausstellung in Berlin mit dem Titel "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts"Bild: picture-alliance/ dpa

Im Mai 2009 trat das höchste Entscheidungsgremium der "Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" erstmals zusammen. Das 13-Köpfige Gremium ist besetzt aus Vertretern des Bundestages, unterschiedlicher Kirchen, Historikern und Vertretern des Bundes der Vertriebenen. Für letztgenannten Verband wurden drei Plätze reserviert. Nach heftigen Protesten hochrangiger polnischer Politiker blieb ein Platz davon leer, der Platz von Erika Steinbach. Sie wird vor allem in Polen der Geschichtsfälschung bezichtigt. Der Vorwurf: Steinbach stelle die Deutschen als Opfer dar und betreibe dadurch aktiven Geschichtsrevisionismus. Nach massivem öffentlichem Druck hatte Steinbach entschieden, ihr Amt im neuen Stiftungsrat ruhen zu lassen – zumindest vorübergehend. Doch diese Zurückhaltung könnte bald enden, vielleicht schon nach der Bundestagswahl. Wen auch immer der Bund der Vertriebenen für diese Position nominiere, das sei ganz allein die Sache des Vertriebenenverbandes, betonte Steinbach Anfang Juli noch einmal demonstrativ: "Und wenn wir da einen Besenstil benennen, das ist unsere Sache." Hält Erika Steinbach aber an ihrem Posten im Stiftungsrat fest, dann dürfte bis zur Eröffnung der Dokumentationsstätte in den kommenden Jahren noch mancher deutsch-polnische Eklat folgen, soviel scheint schon heute sicher.

Und auch Steinbachs derzeitige Aktivitäten außerhalb der neuen Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung sorgen weiter für Zündstoff. Ins Licht der Öffentlichkeit dürfte zum Beispiel bald eine neue Ausstellung rücken, die ab dem 16. Juli 2009 unter dem Titel "Die Gerufenen" das Leben deutscher Siedler in Mittel- und Osteuropa beleuchtet. Die temporäre Ausstellung unter der Schirmherrschaft des Bundes der Vertriebenen will 800 Jahre deutsche Migrationsgeschichte beleuchten. Ob diese deutschen Siedler allerdings zu jeder Zeit "Gerufene" an ihren Migrationszielen waren, wie der Ausstellungstitel suggeriert, dürfte in den kommenden Wochen noch zahlreiche öffentliche Debatten hervorrufen.

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Hartmut Lüning