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Kreativer Ruhestörer

19. Februar 2007

Düster und grotesk ist der Grundton im Werk des Schriftstellers Jakov Lind, bisweilen fast apokalyptisch. Damit schuf sich der gebürtige Wiener nicht viele Freunde. Er blieb ein Geheimtipp - bis zu seinem Tode.

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Jakov Lind (Archivbild)
Jakov Lind (Archivbild)Bild: PA / dpa

Nein, ein massentauglicher Schriftsteller war er nie - eher ein "Ruhestörer", wie ihn Marcel Reich-Ranicki einmal nannte, einer, der die Erfahrung von Vertreibung, Verfolgung und Heimatlosigkeit aggressiv und sarkastisch schilderte - fernab von rührseliger Anne-Frank-Stimmung. Am Samstag (17.2.) starb Lind in seiner Wahlheimat London - nur eine Woche nach seinem 80. Geburtstag.

Vor rund zehn Jahren setzte im deutschsprachigen Raum eine späte, zaghafte Lind-Neuentdeckung ein. Bis dahin galt er als Geheimtipp, einer, den die Literaturszene kannte oder die Gemeinde derer, die das Schicksal des Wiener Juden teilten. In seinem umfangreichen Werk, das Romane und Erzählungen ebenso umfasst wie Hörspiele und Drehbücher, wählte Lind dabei nie die Perspektive des leidenden Opfers. Der wortgewaltige Autor schilderte seine Erfahrungen in ungezähmten Fantasien, die alle Regeln sprengten.

Groteske Verfremdung

Verzweiflung und Trauer ließen sich für Lind nur mit Ironie und grotesker Verfremdung darstellen: "In Wirklichkeit probiere ich bloß andere Möglichkeiten der Existenz und mache mir Notizen. Schreiben heißt für mich Alternativen finden. Das Unerträgliche erträglich denken", formulierte er einmal.

Der Sohn einer kunstsinnigen jüdischen Händlerfamilie wurde 1938, nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, mit einem Kindertransport nach Holland geschickt. Nach der Besetzung der Niederlande durch die Deutschen tauchte er unter und überlebte unter falschem arischen Namen als Schiffsjunge auf Rheinschleppern, später als Kurier im deutschen Reichsluftfahrtministerium.

Landarbeit, Erzählungen und Aquarellmalerei

Nach dem Krieg versuchte er sich in Israel, Wien und Holland als Schauspieler, Landarbeiter, Strandfotograf, Privatdetektiv, Filmagent und Gastprofessor. Eine Heimat fand er schließlich in London. Dort entstanden 1962/63 der viel beachtete Erzählband "Seele aus Holz" und der Roman "Landschaft in Beton". Bereits den ersten Band seiner Autobiografie, "Counting my Steps" (1969) verfasste Lind auf Englisch, es folgten weitere Romane, Erzählungen und Hörspiele. Ausgezeichnet wurde Lind unter anderem 1997 mit der Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold. In diesem Jahr erhält er in Wien den Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil, den er aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst entgegen nehmen kann.

Neben der literarischen Betätigung beschäftigte sich Lind, der abwechselnd in London und auf Mallorca lebte, seit längerem intensiv mit der Aquarellmalerei: Zahlreiche Ausstellungen in den USA und Europa zeugten von seinem künstlerischen Können. (wga)