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Ambivalente Beziehung

2. November 2009

Mit dem wiedervereinigten Deutschland bekam Österreich 1990 einen neuen alten Nachbarn - größer, mächtiger, aber auch mit ganz neuen wirtschaftlichen und sozialen Problemen.

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Fiaker vor der Wiener Hofburg (Foto: dpa)
Fiaker vor der Wiener HofburgBild: picture-alliance/ dpa

Im Interview: Oliver Rathkolb ist Historiker und Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien.

DW-WORLD.DE: Herr Professor Rathkolb, "Die paradoxe Republik" lautet der Titel eines Buches von Ihnen. Die paradoxe Republik Österreich - liegt das auch am Verhältnis zum großen Nachbarn Deutschland? Und wenn ja, hat sich das in den 20 Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer geändert?

Oliver Rathkolb (Foto: Schubert)
Oliver RathkolbBild: DW

Oliver Rathkolb: Das Verhältnis zum großen Nachbarn Deutschland ist sicherlich ein zentrales Element der Konstruktion einer österreichischen Identität, wobei zwei Grundlinien tragend sind: Auf der einen Seite immer wieder eine unglaubliche Selbstüberschätzung - also wir haben die bessere Kultur und manchmal glauben wir sogar, dass wir die besseren Fußballspieler sind -, gleichzeitig aber auch immer wieder ein sehr starker Minderwertigkeitskomplex. Generell würde ich sagen, dass sich das Verhältnis seit 1989 weiter entlang dieser ambivalenten Einschätzung entwickelt hat. Das wird meiner Meinung nach noch etwas stärker auseinander gehen, als eine Folge der starken Arbeitsmigration aus Deutschland. Deutsche werden in vielen Bereichen, bis hin zum universitären Bereich, als Konkurrenten empfunden, was vor dem Hintergrund der ökonomischen Krise, der Angst um Arbeitsplätze und auch der "Ausländerfrage" eine völlig neue, interessante Dimension ist.

Es gibt einen abschätzigen Ausdruck für die Deutschen in Österreich: die Piefke. Das hat man immer sehr stark mit den Westdeutschen verbunden. Nun hatte Österreich zwar keine direkte Grenze zur DDR, dennoch war der Fall der Berliner Mauer das Bild einer Generation. Haben der Fall der Berliner Mauer und dann die deutsche Wiedervereinigung das Bild von den Deutschen verändert? Oder ist es eigentlich gleich geblieben und einfach mit der Bundesrepublik assoziiert?

Wolfgang Schüssel und Gerhard Schröder (Foto: dpa)
Kleiner Bruder - großer Bruder: die Kanzler Schüssel und SchröderBild: AP

Ich glaube, die Österreicher haben ein sehr schwammiges Bild von der deutschen Gesellschaft nach 1989. Was sie aber mitgenommen haben, und das wurde ja damals auch von der Politik gerne gespielt, ist, dass man mit - fast würde ich sagen - Schadenfreude die ökonomische Krise auch als eine Folge der Einigung Deutschlands beobachtet hat. Nach dem Motto: "Wir haben jetzt die besseren ökonomischen Daten." Das war sicherlich eine kurzsichtige Einschätzung, weil die österreichische Wirtschaft nach wie vor ganz eng mit der deutschen Wirtschaft verbunden ist. Wenn es den Deutschen schlechter geht, geht es auch uns schlechter. Ich glaube nicht, dass heute die Österreicher Ossis und Wessis unterscheiden können. Deutsche sind Deutsche und wenn man sie negativ beschreiben will, dann greift man zu einem Stereotyp des 19. Jahrhunderts und bezeichnet sie abfällig als Piefke.

Deutschland und Nachbarland Österreich (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Bild: DW

Österreich hat eine Sonderstellung, weil dort fast jeder deutsches Fernsehen empfangen kann und das auch tut. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser medialen Nähe ein?

Generell glaube ich, im Vergleich zu anderen Nachbarstaaten wissen die Österreicher doch noch mehr über deutsche Politik und Kultur als über Ungarn, Tschechien, Slowenien oder auch die Schweiz und Italien. Aber es gibt einen unbemerkten Einfluss auf die Sprache. Man merkt schon, dass immer mehr sehr typisch deutsche hochsprachliche Ausdrücke in den österreichischen Alltagsjargon hineinkommen.

Was haben Sie am 9. November 1989 gemacht? Wie erinnern Sie sich an den Fall der Berliner Mauer?

Interessanterweise habe ich keine direkte Erinnerung an den 9. November 1989, sondern eher eine Erinnerung an die Ereignisse an der österreichisch-ungarischen Grenze, also an das berühmte Paneuropäische Picknick und die Fahrt der Trabis durch Österreich. Ich glaube, ich bin hier ein typischer Europäer. Der Fall der Berliner Mauer ist primär ein deutscher Erinnerungsort, der über die Medien zunehmend ein europäischer wird. Aber für mich persönlich habe ich an den 9. November keine Erinnerung.

Das Gespräch führte Gerald Schubert.
Redaktion: Andreas Ziemons