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Was wir von Afrika lernen können

Thomas Mösch2. Januar 2016

Der Buchautor Hans Stoisser zeichnet ein provozierend anderes Bild des Kontinents: Natürlich gebe es Krisen, sagt er, und die EU müsse auch aufpassen - aber nicht nur deshalb.

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Oscar Onyema (l.), Chef der nigerianischen Börse, und der französische Bankmanager Mathieu Pigasse (Foto: Getty)
Oscar Onyema (l.), Chef der nigerianischen Börse, und der französische Bankmanager Mathieu Pigasse (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/F. Cofrini

DW: Der Untertitel Ihres Buches heißt "Was wir von Afrika lernen können". Für viele Europäer dürfte das ein wunderlicher Gedanke sein, wenn nicht sogar eine Provokation. Was können wir denn von Afrika lernen?

Hans Stoisser: Ich versuche in meinem Buch ein anderes Afrika zu beschreiben, als man es bei uns hier üblicherweise kennt: nicht das Afrika der Katastrophen und der Entwicklungshilfe, sondern das Afrika, das ich selbst erlebt habe. In den 20, 25 Jahren, in denen ich immer wieder nach Afrika gereist bin, habe ich mit Menschen zusammengearbeitet, die jedes Mal besser ausgebildet waren, einen besseren Lebensstandard hatten, dynamischer und optimistischer waren. Auch die Umgebung war dynamischer: Es gab jedes Mal mehr Geschäfte, mehr Kommunikationstechnologie und so weiter. Ich habe ein Afrika der Vitalität, der Dynamik, der Realwirtschaft und der Veränderung kennengelernt.

Was wir von Afrika lernen können, ist, dass es diese Veränderungen geben kann, dass eine kritische Masse afrikanischer Länder aus dem Teufelskreis der Armut und Ungerechtigkeit herausgekommen ist. Was ich vor allem mitteilen wollte, ist, dass wir unseren Narrativ von Afrika verändern sollten.

Hans Stoisser (Foto: Thomas Mösch)
Hans StoisserBild: DW/T. Mösch

Sie beschreiben Afrika in Ihrem Buch als das, was viele "Chancenkontinent" nennen. Andererseits gibt es ja auch die Länder, die von Krieg, von Staatszerfall, von Flucht und Terror geprägt sind. Die Realität ist ja nicht nur die Chance, oder?

Es gibt Krisen, es gibt einige Länder, die wir als gescheiterte Staaten bezeichnen. Wenn wir jetzt zum Beispiel auf die aktuelle Flüchtlingssituation bei uns schauen, muss man allerdings sagen: Die meisten Flüchtlinge kommen nicht aus Afrika. Die Krisen, die Europa betreffen, liegen im Moment nicht in Afrika, sondern in Syrien, Irak und Pakistan. Ja, Krisen gibt es auch in Afrika und es wird passieren, dass es bei Ausbruch einer größeren Krise auch in afrikanischen Ländern eine Flüchtlingswelle geben wird, auf die wir antworten müssen. Man muss aber unterscheiden zwischen Krisenflüchtlingen und dem, was wir als Wirtschaftsmigration bezeichnen könnten. Auf diese beiden Situationen müssen wir vollkommen unterschiedlich reagieren: Auf die eine mit humanitärer Hilfe und Sicherheitspolitik, auf die andere mit einer klugen Wirtschafts- und Außenpolitik.

Wenn über die Ursachen von Migration aus Westafrika nach Europa gesprochen wird, dann kommt sehr oft das Argument der Perspektivlosigkeit der Jugend. In Ihrem Buch beschreiben Sie die vielen jungen Menschen auf dem Kontinent eher als Chance...

Unbedingt. In Subsahara-Afrika war das Wirtschaftswachstum in den vergangenen zwei Jahrzehnten größer als das Bevölkerungswachstum. Im Durchschnitt sind also die Chancen des einzelnen Jugendlichen nicht gesunken. Aber der Durchschnitt sagt hier natürlich nicht viel aus und man muss sich die einzelnen Länder anschauen.

Mittelschicht in Ghana (Foto: Anneselma Bentil)
Afrika ist modern, jung, dynamisch - und birgt großes Potenzial, so StoisserBild: Anneselma Bentil

30 der insgesamt 54 Länder Afrikas sind relativ dynamisch. Da sehe ich gute Chancen für eine Formalisierung der Wirtschaft, für Arbeitsplätze und für eine Qualifizierung der Jugend. Eine neue Generation kommt jetzt in Führungspositionen, eine Generation, die bereits mit Zugang zur Weltöffentlichkeit - Satelliten-TV, Mobiltelefonie, Internet - aufgewachsen ist.

Sie warnen in Ihrem Buch davor, dass Europa weltweit ins Hintertreffen geraten könnte, wenn es die Chancen in Afrika nicht wahrnimmt. In Afrika sind ja eine Reihe anderer Player am Werk. Was machen die denn besser?

Richtig, die Entwicklung in den afrikanischen Ländern ist ohne das Engagement Chinas nicht zu denken. Auch Indien, Pakistan, die Türkei: viele nicht-westliche Länder spielen eine große Rolle. Die Chinesen sind erfolgreich, weil sie sehr viele Projekte haben. Es war eine strategisch-politische Meisterleistung Pekings, sich ab den 1990er Jahren, wenn nicht schon früher, den Zugang zu Rohstoffen und lokalen Märkten in Afrika zu sichern und im Gegenzug Infrastruktur zu liefern. Das ganze lief unter dem Titel der "Nicht-Intervention", das heißt, China mischte sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Partnerstaats ein. Dieser Deal war von Anfang an nicht auf Hilfe ausgerichtet, sondern die Idee war, Geschäfte zum gegenseitigen Vorteil zu machen. Das hat im Großen und Ganzen funktioniert. Immer mehr chinesische Institutionen sind in Afrika verankert, Handel und Direktinvestitionen steigen. Das war im Vergleich zum europäischen Entwicklungshilfe-Ansatz ein erfolgreicherer.

Der letzte EU-Afrika-Gipfel auf Malta und bezog sich auf die Flüchtlingskrise und den Versuch, die Wirtschaftsmigration aus Afrika zumindest zu steuern. Angesichts der Beschlüsse hat man das Gefühl, da wurde Flüchtlingsbremse gegen Geld verhandelt. Kann sowas mittel- oder langfristig Erfolg haben?

Auf Malta sind schon auch ein paar kluge Sachen beschlossen worden, wie zum Beispiel den Studentenaustausch, also das ERASMUS-Programm, auf afrikanische Studenten auszuweiten. Aber insgesamt bin ich skeptisch. Ich glaube nicht, dass "Geld gegen Aussperrung" funktionieren kann. Längerfristig geht es um eine grundsätzliche Vernetzung mit der neuen Mittelschicht in den afrikanischen Ländern, denn diese Menschen sind ja unsere natürlichen Partner. Die wollen genauso wie wir mehr Sicherheit, mehr Wohlstand, mehr Freiheit; genauso ein selbstbestimmtes Leben führen. Eigentlich sind diese Menschen die Bastion gegen zukünftige autoritärere Regime und damit auch gegen zukünftige Krisen. Wenn wir uns mit der anderen Seite stärker vernetzen, lernen wir sie besser kennen und werden auch die Migrationen leichter in den Griff bekommen.

Der Unternehmer und Berater Hans Stoisser lebt in Wien und bereist seit 1982 immer wieder verschiedene afrikanische Länder. Im November 2015 erschien sein Buch "Der schwarze Tiger - Was wir von Afrika lernen können".

Das Interview führte Thomas Mösch.