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Das Weltsozialforum wird erwachsener

Johannes Beck, z. Zt. Porto Alegre31. Januar 2005

Sechs Tage lang haben 120.000 Teilnehmer in Porto Alegre über Alternativen zur Globalisierung diskutiert. Das inzwischen fünfte Weltsozialforum ist an einer wichtigen Schwelle angekommen, berichtet Johannes Beck.

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Mehr als nur ein buntes Happening: <br> Weltsozialforum in Porto AlegreBild: AP

Wer am frühen Morgen über die Wiesen am Ufer des Lago Guaíba spazierte, konnte seinen Augen kaum trauen. Plastiktüten, Bierdosen und Flugblätter - achtlos weggeworfen von Besuchern des Weltsozialforums. Dazwischen Müllfrauen und Müllmänner aus Porto Alegre, die versuchten die Wiesen sauber zu machen. "Eine andere Welt ist möglich" lautete das Motto des Weltsozialforums. Sechs Tage lang hat man über solidarische Volkswirtschaften, über Gewaltlosigkeit und auch über Umwelterziehung gesprochen. Und dennoch bringen es zahlreiche Teilnehmer auf ihrem Weg in eine andere Welt nicht einmal fertig, ihren Müll zu entsorgen.

Nicht nur hier gehen Anspruch und Wirklichkeit auf dem Forum auseinander. Auf der einen Seite gehört es zu den Lieblingsaktivitäten zahlreicher Redner, auf multinationale Konzerne einzuprügeln. Auf der anderen Seite lässt man sich das Forum aber vom nicht gerade als besonders umweltfreundlich bekannten Ölkonzern Petrobras, den Stromfirmen Furnas und Eletrobras sowie der Rockefeller-Stiftung sponsorn.

Konzept der kurzen Wege

Doch bei aller Kritik, das Forum ist bei seiner fünften Edition erwachsener geworden. Die teilnehmenden Gruppen vernetzen sich nun bereits im Vorfeld des Forums, man stimmt Veranstaltungen gemeinsam ab, anstatt mehrfach anzutreten.

Auch klappte die Organisation weitaus besser: Es gab sogar ein Programmheft vor Beginn des Treffens. Die Seminare fanden tatsächlich dort statt, wo sie angekündigt waren. Dazu richtete man alle Veranstaltungen entlang des Guaíba-Ufers aus, anstatt die Teilnehmer quer durch die ganze Stadt zu schicken; ähnliche Themen fassten die Organisatoren in räumlicher Nähe zusammen. Dieses Konzept der kurzen Wege erleichterte den Kontakt der Teilnehmer untereinander ganz erheblich.

Auch inhaltlich war das Forum zielgerichteter: Keine zentralen Massenveranstaltungen mehr, auf denen die immer gleichen Stars der Globalisierungskritiker ihre immer gleichen Argumente vor dem immer gleichen Publikum wiederholen. Diesmal standen kleinere, von den hier vertretenen Gruppen selbst veranstaltete Treffen im Vordergrund.

Künftig dezentral?

Das Forum muss aber noch erwachsener werden, um langfristig Erfolg zu haben. Es ist beispielsweise nicht nötig, Gruppen eine Plattforum zu bieten, welche die Existenz von Aids bezweifeln oder Ariel Scharon mit der SS und George W. Bush mit Adolf Hitler gleich setzen. Das sind zwar Randerscheinungen des Forums, aber die Art und Weise wie hier teilweise mit dem politischen Gegner umgegangen wird, bleibt dennoch erschreckend.

Ein weiteres Problem muss das Weltsozialforum ebenfalls noch lösen: Ein wirkliches Welt-Sozialforum zu werden. In Porto Alegre kamen gut vier Fünftel der Delegierten aus Lateinamerika, der Rest zumeist aus Europa. Vor einem Jahr hat man bereits den Schritt nach Indien gewagt, übernächstes Jahr will man nun nach Afrika gehen. Der Entschluss aber, das Forum im nächsten Jahr dezentral an verschiedenen Orten der Welt auszurichten, ist dagegen sinnlos, da es neben Porto Alegre bereits zahlreiche regionale, kontinentale und thematische Foren gibt.

Der Internationale Rat des Forums hat keinen neuen Termin für Porto Alegre angesetzt. Das war nicht klug, denn so ist bei vielen der Eindruck entstanden, das Forum könnte Brasilien verlassen. Hier aber ist das Forum geboren worden. Hier erhält es fast ungeteilte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Hier unterstützen es selbst den sozialen Bewegungen gegenüber eher kritisch eingestellte Politiker. Ein Standortvorteil und ein Kapital, das auch so genannte Kapitalismuskritiker nicht einfach so verspielen sollten.