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Tracking - was bringt es den Clubs

17. Oktober 2011

Seit dieser Saison gibt es in der Fußball-Bundesliga das umstrittene Spielertracking – noch ausführlicheres Datenmaterial über jeden einzelnen Spieler. Was können diese Daten verraten und wie arbeiten die Vereine damit?

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Eine Abseitlinie (virtuelle Grafik) im Fernsehen
Abseits, Sprints, Laufdistanz - alles messbarBild: IMPIRE

Jeder Pass, jeder Sprint, jede Positionsveränderung in einem Bundesligaspiel wird registriert. Spezielle Kameras im Stadion helfen den Scoutern bei der Datenerfassung. Nun können sie nicht nur Zweikämpfe, Ballbesitz, Entfernungen und Schussgeschwindigkeiten messen, sondern auch die zurückgelegten Strecken und Geschwindigkeiten jedes einzelnen Spielers. Und das zu jedem Moment des Spiels, erklärt Professor Jürgen Buschmann von der Deutschen Sporthochschule Köln. "Der Trainerstab kann zur Halbzeit oder sofort nach dem Spiel darauf zurückgreifen." Das sei sehr wichtig, weil Trainer ständig unter Druck stehen – auch gegenüber den Medien. Mithilfe der relativ objektiven Daten können sie nun sofort argumentieren und zeigen, was ihre Mannschaft geleistet hat.

Zweikampf ist nicht gleich Zweikampf

Doch diese Daten müssen richtig gelesen werden. Und auch Zahlen können nicht immer alles konkret ausdrücken. Fußballexperte Buschmann nennt ein Beispiel: Die Fehlpassquote. "Ich spiele einen Pass und mein Partner schläft in diesem Moment ein bisschen, so dass der Gegner an den Ball bekommt." Der Passgeber bekomme in diesem Fall einen Minuspunkt – zu Unrecht, findet Buschmann. "Bei quantitativen Daten kann man solche qualitativen Aussagen überhaupt nicht machen."

Umstritten sind auch die Zweikampfwerte, da der Ball selten genau in die Mitte zwischen zwei Spieler fällt und damit meistens ein Spieler im Vorteil ist. Dennoch lassen sich aus den Statistiken wichtige Aspekte für den taktischen Bereich ableiten – zum Beispiel Passfolge, Geschwindigkeit des Balles und typische Laufwege des Gegners.

Nicht jeder Trainer arbeitet gern mit Daten

Wolfsburgs Trainer Felix Magath beobachtet das Spiel. (Foto: dpa)
Ein erklärter Gegner der Datenanalyse: Felix MagathBild: picture-alliance/dpa

Diese Daten haben die Vereine bisher teuer eingekauft. Seit dieser Saison bekommen sie das Datenmaterial kostenlos zentral von der Firma IMPIRE AG gestellt, welche die offizielle Ausschreibung der Deutschen Fußball Liga (DFL) gewonnen hat. Die Vereine sparen also Geld – mehrere Millionen Euro. Für einen kleinen Verein wie den FC Augsburg zum Beispiel eine große Chance. Dennoch bleibt dessen Manager Andreas Rettig skeptisch. "In erster Linie ist unser Trainer jemand, der mehr an der Praxis lebt und arbeitet." Rettig sieht die moderne Datenanalyse als eine Art Hilfestellung. "Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir die Daten als das allein Seligmachende ansehen."

Und so sieht der Manager auch die modernsten Möglichkeiten des Livetrackings kritisch. Er fürchtet, dass die Daten darüber, wie viel und wie schnell ein Spieler gelaufen ist, falsch interpretiert werden. "In einem Spiel gibt es sechs Ein- und Auswechslungen oder 25 Ecken. In dem anderen Spiel ist mehr Spielfluss drin. Es gibt verschiedenste Beispiele dafür, warum am Ende das bloße zur Verfügungstellen von Daten auch manchmal in die falsche Richtung zeigt."

England macht es vor

Gerade deshalb sollte die Zusammenarbeit mit Universitäten forciert werden, fordert Buschmann, der seit der Ära von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit seinem Team Fußballspiele für die deutsche Nationalmannschaft analysiert. In anderen Sportarten seien Analysen und Statistiken längst Teil der Vor- und Nachbereitung. In der Premier League in England gibt es bei den großen Vereinen moderne Analyse-Abteilungen.

Doch in der Bundesliga werden Neuerungen eher abgelehnt, manch ein Trainer verzichtet komplett auf die Datenanalyse. Dabei sollte im modernen Fußball jeder Profiverein einen ganzen Stab an Analysten haben, fordert Buschmann. "Einer, der sich um die Spielvorbereitung kümmert, einer für die Spielnachbereitung, zwei Leute, die das klassische Scouting machen. Und einer, der das technische Know-how hat, der die Datenbank aufbaut und sie verwaltet." Diese Spezialisten sollen dem Trainer zuarbeiten und die Datenflut, die mehrere 100 Seiten Material umfassen kann, komprimiert aufarbeiten. "Wenn der Trainerstab anfragt, müssen das diese Leute bearbeiten können. Sie müssen die Spezialisten sein. Das ist keine Aufgabe des Trainers."

Realtaktische Aufstellung FC Bayern und SC Freiburg am 5. Spieltag der Saison 2011/2012. (Foto: IMPIRE AG)
Realtaktische Aufstellung (gemittelte Positionen jedes Spielers) beim 7:0-Sieg des FC Bayern gegen den SC Freiburg: Von den Freiburger Spielern war nur Cissé (Trikot-Nr. 9) in der Bayernhälfte.Bild: Firma Impire

So können Spielanalysten auf den Punkt genau zusammenfassen, wie der Torjäger des nächsten Gegners in der Regel seine Tore schießt, der Mittelfeldregisseur die Bälle verteilt und wie sich die Abwehrkette unter Druck verhält. Wie groß ist der Abstand zwischen den einzelnen Spielern, zwischen Mannschaftsteilen, wie also verschieben die Spieler ihre Positionen auf dem Feld?

Mithilfe einer Datenbank lassen sich für die vakante Position im Team exakt auf die Wünsche des Trainers abgestimmt Spieler herausfiltern, auf die das Anforderungsprofil passen könnte. Und auch die eigene Mannschaft wird entlarvt: Die Alibiausreden zur Halbzeit: "Aber ich bin doch gelaufen" können sofort überprüft werden. Je wissenschaftlicher der Fußball wird, desto breiter wird auch das Berufsfeld im Verein. Die Fachleute von morgen sollen deshalb ganz speziell ausgebildet werden: Im nächsten Jahr bietet die Deutsche Sporthochschule Köln einen entsprechenden Masterstudiengang an.

Autorin: Olivia Fritz
Redaktion: Arnulf Boettcher