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Dead Man Talking

Udo Bauer11. März 2004

Die durch Janet Jacksons ‘Nipplegate’-Skandal ausgelöste Verschärfung der US-Medienkontrolle fordert weitere Opfer. Howard Stern, das Enfant terrible der US-Radioszene, rechnet fest mit seiner Entlassung.

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"Alles, was ich brauche, ist eine echte Vagina. Mir ist egal, wenn der Rest künstlich ist!“ Politisch unkorrekte Sprüche wie dieser haben ihn berühmt gemacht. Deshalb lieben ihn Millionen Amerikaner und deshalb hassen ihn ebenso viele. In der 'Howard Stern Show’ führt der Shock Jock jeden Morgen (und abends als Wiederholung im Fernsehen) durch die Niederungen des menschlichen Lebens, am liebsten auf dem Niveau der Gosse.

Da treten Zwerge, Alkoholiker, Penner, Prolls, notorische Stotterer und Perverse ebenso vors Mikrofon wie Pornostars, Prostituierte, bekennende Lesben und vor allem, was die Amerikaner "Bimbos“ nennen, also hübsche, blonde, dumme Frauen. Alle Gäste werden gleichermaßen durch den Kakao gezogen, nicht ohne ihnen zuvor die intimsten sexuellen Bekenntnisse entlockt zu haben. Trotzdem kommen sie alle immer wieder in Sterns Studio in New York. Die einen, weil sie ohnehin nichts zu verlieren haben und die anderen, weil sie berühmt werden wollen - und wenn auch nur für einen Tag.

Szenen wie auf dem Pferdemarkt

Zu den Bimbos: Die meisten jungen Frauen werden ins Studio gelockt mit dem Versprechen, dass ihr Bild im 'Playboy’ veröffentlicht wird, wenn sie den Ansprüchen von Howard und seinen chauvinistischen Co-Moderatoren genuegen. Und das läuft immer nach dem gleichen Schema ab: Erst werden sie nach ihren sexuellen Vorlieben befragt, dann müssen sie sich nackt ausziehen und ihre Körperteile wie auf dem Pferdemarkt in allen Einzelheiten begutachten lassen.

Dabei wird gefeixt und gegrölt wie am übelsten Männerstammtisch. Wie neulich, als eine Blondine Mitte zwanzig zusagte, mit einem zwergwüchsigen Alkoholiker gleichen Alters ins Bett zu gehen; als Gegenleistung versprach Stern ihr eine Brustvergrößerung zu bezahlen. Am nächsten Tag ließ sich eine junge Frau mit Handschellen an einen rülpsenden und furzenden Stadtstreicher ketten und musste ihn 24 Stunden lang durch sein Leben begleiten, einschließlich beim Gang auf die Toilette.

Nachrichten- und Informationsprogramm

Jetzt wird bald Schluss sein mit dem allmorgendlichen Schabernack Marke Stern. "Die Show ist vorbei“, erklärte der selbsternannte König aller Medien kürzlich. Er werde bald Opfer des Kulturkampfes der religiösen Rechten. Der Mittvierziger mit der langen Mähne meint damit die Zensoren der Federal Communications Commission, kurz FCC.

Die haben ihn zwar schon seit jeher auf dem Kieker, konnten aber nicht gegen ihn vorgehen, weil Sterns fragwürdiger Sex-Talk geschützt war durch den ersten Verfassungszusatz, dem Recht auf freie Rede und weil seine Sendung - man höre und staune - als Nachrichten- und Informationsprogramm durchgegangen war. Ein kleiner Teil der Sendung ist tatsächlich bizarren Nachrichten aus aller Welt gewidmet - jede persönlich kommentiert vom launigen Meister Stern.

Auf dem Weg zur Hinrichtung

Noch hat sich der Radiokonzern Infinity Broadcasting zwar nicht endgültig entschieden, die landesweite Show vom Äther zu nehmen. Aber es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit bis Infinity sich ihrem Konkurrenten Clear Channel Communications (CCC) anschließt, die Howard Stern Ende Februar aus ihren Partnerstationen verbannte. Eine dreiviertel Million Dollar Strafe wegen Obszönitäten musste CCC an die Medienkontrolleure zahlen. Diese Strafe ist zehnmal höher als bisher.

Hintergrund: Die FCC hatte seit dem barbusigen Bühnenauftritt von Janet Jackson beim diesjährigen Superbowl den Regierenden in Washington versprochen, schärfer gegen Obszönitäten in den elektronischen Medien vorzugehen. Daraus schließt Howard Stern nicht ganz zu unrecht: "Diesmal müssen sie mich feuern!“ Er komme sich vor wie ein Delinquent auf dem Weg zur Hinrichtung (Dead Man Walking).

Ruck nach Rechts

Bleibt die Frage, ob es nicht besser für Amerika ist, wenn Stern arbeitslos wird. Ich denke nein, denn zu seiner Ehrenrettung muss gesagt werden, dass er einer der immer seltener zu hörenden liberalen Stimmen im amerikanischen TalkRadio-Markt ist, dass er einen wirklich guten Sinn für Humor hat, dass er selbstkritisch und immer ehrlich geblieben ist. Ohne ihn würde sein Genre ein Stück mehr den konservativen und orthodox-christlichen Hass-Predigern überlassen. Vielleicht kehrt Stern aber auch zu den Wurzeln seiner Karriere zurück. Damals gab es außer Sex und Toilettensprüchen nämlich etwas für Amerika Revolutionäres: ein anspruchsvolles, originelles und absolut ehrliches Radio.