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Wie andere Länder über ihre "Leitkultur" diskutieren

Klaus Krämer | Felix Schlagwein
5. Mai 2017

In Deutschland gibt es mal wieder eine Diskussion über das, was typisch deutsch sein soll. Ein Thema, das auch in anderen Ländern für Debatten sorgt. Beispiele sind der "Danmarkskanon" und die "Australian Values".

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Griechenland Olympische Spiele Fahnen in in Athen
Bild: picture alliance/dpa/P. Kneffel

Kaum ein Wahlkampf in Deutschland, in dem nicht zu irgendeinem Zeitpunkt diese Themen polarisieren: Integration von Zuwanderern, Flüchtlingspolitik, Grenzen der Einwanderung, pro und kontra von Multikulti. Auch der Begriff der "Leitkultur" feiert in diesem Zusammenhang immer wieder fröhliche Urständ. Kreiert hat ihn im Jahr 1996 Professor Bassam Tibi, deutscher Politikwissenschaftler syrischer Herkunft. Allerdings sprach Tibi in einem Aufsatz von "europäischer Leitkultur".

Vor 17 Jahren war es dann Friedrich Merz, damals Fraktionschef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der bemerkte, Zuwanderung habe sich im Zeichen deutscher Leitkultur zu vollziehen. Anders gesagt: Wer auf Dauer in Deutschland leben wolle, müsse sich "einer gewachsenen freiheitlichen deutschen Leitkultur anpassen". Heftigste Diskussionen folgten in den Feuilletons und an den Stammtischen, wobei eine einheitliche Definition des Begriffs "Leitkultur" nicht formuliert wurde. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Bild am Sonntag Innenminister Thomas de Maiziere
"Leitkultur": Zeitungsinterview mit FolgenBild: Bild/Foto: DW/M. Fürstenau

Dass das verbale Stehaufmännchen "Leitkultur" nun wieder in aller Munde ist, verdankt Deutschland Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der konservative CDU-Politiker nannte in einem Zeitungsinterview zehn Thesen zu einer Leitkultur in Deutschland. Dazu hielt er ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft ("Wir sind nicht Burka"), für Bildung und Erziehung als Wert, für "aufgeklärte Patrioten", die ihr Land lieben, aber andere nicht hassen.

Obwohl es nicht verwerflich ist, zu fragen, was die Gesellschaft zusammenhält, was die Seele einer Nation ausmacht oder welche Werte wichtig sind, flammt auch 2017 die beinahe deckungsgleiche Diskussion auf wie seinerzeit bei Friedrich Merz. Der Grund: Es ist eben Wahlkampf!

Doch wie sieht es in anderen Ländern aus? Gibt es anderswo ähnliche Thesen für eine nationale Leitkultur? Wie wird dort diskutiert?

Dänen haben bereits abgestimmt

Deutsch-Dänischer Grenzübergang
Dänemark: Neue Werte will das LandBild: picture-alliance/dpa/C. Rehder

Die Dänen haben bereits im November 2016 darüber abgestimmt, was für sie in einen neuen Wertekanon, den "Danmarkskanon" gehören soll. Initiiert wurde er vom früheren dänischen Kulturminister Bertel Haarder. Zugezogenen Ausländern solle der Kanon zeigen, "in welchen Bereichen wir keine Kompromisse eingehen", so der Ex-Minister seinerzeit. Aus fast 2500 Vorschlägen nominierte eine Kommission 20 Begriffe, aus denen die Dänen zehn wählen konnten. An der Online-Umfrage beteiligten sich 327.000 der fünf Millionen Menschen zwischen Nord- und Ostsee. Damit ist sie zwar nicht repräsentativ, aber allemal aufschlussreich.

Auf den ersten beiden Plätzen des Kanons liegen die recht universell anmutenden Werte "Wohlfahrtsgesellschaft" und "Freiheit". Doch schon der Begriff "Wohlfahrtsstaat" sei aus dänischer Sicht bereits national, "weil man sich damit schon sehr stark von anderen Gesellschafts- oder Wirtschaftsmodellen abgrenzt", sagt der in Dänemark lebende deutsche Kulturwissenschaftler Professor Moritz Schramm der DW: "Beim Begriff "Wohlfahrtsstaat" geht es schon darum, das Dänische zu verteidigen." Überhaupt sei der "Danmarkskanon" bestens geeignet, sich gegenüber allem, was nicht dänisch ist, abzugrenzen.

Kein Platz für Mitmenschlichkeit

Dänemark Kliplev Autobahn Flüchtlinge Polizei
Immer Richtung Norden - Flüchtlinge 2015 auf einer dänischen AutobahnBild: picture-alliance/dpa/B. Nolte

Schon 2002/2003 hätten Rechtspopulisten begonnen, von einem Kulturkampf um dänische Werte zu sprechen. Daraus sei 2004 ein Kultur-Kanon hervorgegangen, der von Experten bestimmt wurde, erzählt Schramm, der seit rund 20 Jahren in Dänemark lebt und an der Süddänischen Universität lehrt: "Es ging dann über die Kultur- in eine Wertediskussion." All das habe die dänische Gesellschaft gespalten.

Auf den weiteren Plätzen bekommt der "Danmarkskanon"  dann eine deutlich nationale Tendenz, etwa mit den Begriffen "Hygge", der für die dänische Wohlfühl-Kultur steht, "Dänische Sprache" oder "Dänischer Freisinn". "Es ist immer gedacht als Abgrenzung, deshalb ist der Begriff Mitmenschlichkeit auch nicht gewählt worden", sagt Schramm. So verwundert es auch nicht, dass die Begriffe "Dänemark in der Welt" und "Raum für Vielfalt" ebenfalls bei der Abstimmung auf der Strecke blieben.

Keine Relevanz

Moritz Schramm, Süddänische Universität
Prof. Moritz SchrammBild: Süddänische Universität

Heute, rund ein halbes Jahr nach der Abstimmung des skandinavischen Landes, hält Moritz Schramm den "Danmarkskanon" hinsichtlich seiner Bedeutung für überbewertet. Er helfe den Dänen nicht, sich auf dänische Werte zu besinnen. "Das ist ein reines Spiel für die Galerie - ein Medien-Spiel, das mit dem Alltag nichts zu tun hat." Dänemark sei heute, wie viele andere Länder auch, ein vielfältiges Land mit vielen verschiedenen Einflüssen. "Ich persönlich erlebe nicht, dass der Wertekanon eine Relevanz für den Alltag hat. Das klassische Zusammenleben funktioniert in der Regel sehr gut."

Allerdings befürchtet der Gelehrte für Kulturstudien, dass diese Art von Wertedebatten in Dänemark nicht abreißen werden. Das Land habe im Gegensatz zu Deutschland keinen Grundwertekanon wie im Grundgesetz. In Dänemark sei die Verfassung sehr offen und veränderbar. "Die Wertegrundlage des Staates ist nicht definiert, deshalb gibt es immer wieder diese Debatten um Werte", so Schramm.

Australien fragt zukünftig "australische Werte" ab

Australien Backpacker Steuer im Parlament Canberra
Australiens Premierminister Malcom TurnballBild: picture-alliance/dpa/M. Tsikas

Die Diskussion um einen nationalen Wertekanon flammte fast zeitgleich mit der aktuellen Debatte in Deutschland auch in Australien auf. Australiens konservativer Premierminister Malcolm Turnbull gab Ende April bekannt, dass seine Regierung "australische Werte zu einem zentralen Bestandteil des Einbürgerungstests" machen wolle. Was darunter konkret zu verstehen sei, ließ der Regierungschef zunächst offen. Turnbull betonte lediglich, dass "der Respekt vor Frauen und Kindern und ein 'Nein' zu Gewalt" elementarer Bestandteil dieser australischen Werte seien, die Menschen, die australische Staatsbürger werden wollen, verinnerlichen müssten. Zusätzlich zur "Werteprüfung" müssen potentielle Staatsbürger nun Englisch auf Universitätsniveau sprechen und vier Jahre, anstatt zuvor ein Jahr, mit permanenter Aufenthaltsgenehmigung in Australien gelebt haben.

Kritiker: Regierung gibt Rechtspopulisten nach

Den verschärften Kurs in der ohnehin schon rigiden Einwanderungspolitik Australiens erklären Kritiker mit dem rasanten Aufstieg von rechtspopulistischen Parteien wie "One Nation". Bereits im Februar hatte die britische "Financial Times" in einem Artikel gezeigt, dass sich Turnbull und seine konservative Partei deren radikale Rhetorik zunehmend zu Eigen machen, um Wähler vom rechten Rand wiederzugewinnen. Ähnliche Vorwürfe muss sich hierzulande Innenminister Thomas de Maizière gefallen lassen. Seine Thesen zur "deutschen Leitkultur" seien vor allem "AfD-Verhinderungspolitik", formulierte Heribert Prantl in einem Kommentar in der "Süddeutschen Zeitung".

Australien verfolgt schon lange eine harsche Flüchtlingspolitik

Papua-Neuguinea Flüchtlinge im Internierungslager auf der Insel Manus
Flüchtlinge im Internierungslager auf der Insel Manus Bild: picture-alliance/dpa/EPA/E. Blackwell

Schon seit Jahren verschärfen die Regierungen in Down Under sukzessive die Einwanderungspolitik. Nach dem Bombenanschlag von Bali 2002, bei dem 88 Australier getötet wurden, wurde der Ruf nach einer stärkeren Abgrenzung vor allem gegenüber muslimischen Einwanderern lauter - und die Politik reagierte. Seitdem fängt die Marine Flüchtlingsboote aus Asien ab und zwingt sie zur Umkehr. Geflüchtete, die das Festland erreichen, werden in Internierungslager auf den Pazifikinseln Nauru und Manus gebracht. Dort warten sie teilweise jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen auf die Aufnahme ihres Asylverfahrens. Während Menschenrechtsorganisationen Australiens Flüchtlingspolitik seit Jahren scharf kritisieren, rühmte sich der Minister für Immigration, Peter Dutton, Ende April damit, dass seit nunmehr 1000 Tagen kein Flüchtlingsboot mehr die australische Küste erreicht habe.