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Porträt der Autorin Sefi Atta

5. Juli 2010

Viele der Geschichten der Schriftstellerin Sefi Atta spielen in ihrer Heimatstadt Lagos - ein Ort, der laut Sprichwort "nie kaputt gehen wird". Die Autorin aber hat da so ihre Zweifel, wie sie Thomas Mösch erzählt hat.

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Eine Marktfrau in Lagos (Foto: DW / Thomas Mösch)
Die Marktfrauen von Lagos verstehen sich aufs Handeln ...Bild: DW

"Everything Good Will Come" ("Sag allen, es wird gut!") – so heißt das Erstlingswerk von Sefi Atta, in dem sie das Leben zweier junger Frauen in Lagos beschreibt. Die Freundinnen Enitan und Sheri leben im zentrumsnahen Stadtteil Ikoyi, weit weg vom Lärm und Dreck der Elendsviertel. Die Christin Enitan ist die Tochter eines wohlhabenden Rechtsanwalts, der während der Militärdiktatur auch Menschenrechtler verteidigt. Sheri, eine Muslima, wächst in weniger geordneten Verhältnissen auf und wird schließlich Mätresse eines hochrangigen Militärs aus dem Norden des Landes, der sie am liebsten zu Hause einsperren will. Beide Frauen versuchen auf ihre Weise, in einer von Männern dominierten Welt ihren Platz zu finden und zu verteidigen.

"Wenn in meiner Heimat eine Frau nieste, würde irgendwer sie Feministin nennen. Ich hatte dem Wort noch nie Bedeutung beigemessen, doch gab es überhaupt ein Wort, das beschrieb, wie ich mich von einem Tag auf den anderen fühlte? Und sollte es ein Wort dafür geben? Ich hatte die Metamorphose von Frauen beobachtet (...). Wenn sie erwachsen wurden, waren Millionen individueller Persönlichkeiten in ungefähr drei Prototypen aufgeteilt: stark und ruhig, gutherzig und weich, Quasselstrippe, aber guter Laune. Der ganze Rest galt als schreckliche Frauen."

Kleingewerbe in Lagos: Eine Näherin bei der Arbeit im Wohnviertel Mushin (Foto: DW / Thomas Mösch)
Kleingewerbe in Lagos: Eine Näherin bei der Arbeit im Wohnviertel MushinBild: DW

Den Rahmen für diese Geschichte bildet das Lagos der 1960er, 70er und 80er Jahre. Damals war es noch Hauptstadt Nigerias. In Ikoyi lebten viele Beamte und andere Angehörige der Elite des 1960 unabhängig gewordenen Staates. Hier erblickte 1964 auch Sefi Atta selbst das Licht der Welt. Vor der vierspurigen Brücke nach Victoria Island erinnert sie sich an die Zeit, als die Brücke gebaut wurde: "Es war so aufregend. Ich bin zu Fuß und auch mit dem Fahrrad rüber, um meine Freunde auf Victoria Island zu besuchen. Bei dem heutigen Verkehr wäre das viel zu gefährlich. Ich jedenfalls würde meinem Kind das nicht erlauben."

Die Reichen mauern sich ein

Viele der heutigen Bewohner von Ikoyi würden gar nicht auf die Idee kommen, mit dem Fahrrad zu fahren. Sie leben in von Mauern und Kontrollposten hermetisch abgeschirmten Villenvierteln wie dem "Forshore Estate". Ein protziger Bau wetteifert mit dem anderen um die kitschigste Verzierung und die schönste griechische Säule. Jedes Grundstück hat noch mal seine eigene Mauer mit Stacheldraht auf der Krone.

Die Mittelklasse, die Sefi Atta in ihrem Roman beschreibt, kann sich das Leben hier kaum noch leisten. Doch noch ist es auch in Ikoyi zu finden, das quirlige, geschäftige, "echte" Lagos – zum Beispiel auf dem Markt in Obalende: Hühner und Hähne in kleinsten Käfigen, davor Stapel mit Eier-Paletten, sorgfältig aufgeschichtete Salatköpfe und Ananas-Stauden. Mopeds und Dreirad-Transporter drängen sich durch die Kunden. Es riecht, duftet und stinkt. "Die Fliegen schwärmten über den Marktplatz, setzten sich auf Mangos, zwischen Spinatblätter und Rindfleischstücke", beschreibt Sefi Atta den Markt in ihrem Buch und fährt fort: "Nachher würden sie sich in Rinnsteinen und verstopften Abflüssen niederlassen und wieder zurückfliegen auf die Lebensmittel." Die Wirklichkeit heute sieht nicht viel anders aus. Trotzdem liebt die Autorin die Atmosphäre auf dem Markt, die für Ortsfremde eine Herausforderung darstellt. "Dein Geist muss hier ganz wach sein," warnt Sefi Atta. "Die Marktfrauen verstehen sich aufs Verhandeln. Die erkennen, wenn du nicht von hier bist."

Ein offener Abwasserkanal in Lagos (Foto: DW / Thomas Mösch)
Dreck von Millionen: Immer noch durchziehen offene Abwasserkanäle die Stadt.Bild: DW

"Es war schwer, diese Stadt zu lieben; ein Handelschaos. Handel blühte an der kleinsten Straßenecke, in Läden, auf den Köpfen der Straßenhändler und sogar in den Vorstädten, wo die Wohnungen der Familien je nach Bedarf zu Finanzierungsgesellschaften oder Friseursalons umgewandelt wurden. Das Ergebnis war Dreck, haufenweise Dreck, in den Straßen, den offenen Rinnsteinen und auf den Marktplätzen, die beidem Tribut zollten: dem Dreck und dem Handel."

Wer allerdings jung sei und einen festen Job habe, der gehe lieber in den Supermarkt, betont Sefi Atta. Ansonsten findet man die junge Elite in den schicken Cafés auf Victoria Island. Hier schlürfen sie ihren Cappucino, essen ihr Sandwich, während sie am Laptop ihre Emails per W-LAN lesen – genau wie in New York, Paris oder Tokio. Oder sie gehen am Wochenende an den Strand, den "Bar Beach". Ein Schild verbietet hier zwar das Baden wegen der gefährlichen Strömung, aber der helle Sandstrand lädt zum Picknick oder Ballspielen ein. Ein Wall aus Betonquadern schützt die neue Promenade und die Uferstraße vor den Fluten, die noch vor einigen Jahren regelmäßig den Sand auf die Straße spülten.

Megastadt im Aufwind?

Die Schriftstellerin Sefi Atta in Lagos (Foto: DW)
Sefi Atta in LagosBild: DW

Lagos ist eine Metropole im Wandel. Elendsquartiere kontrastieren mit den Hochglanzfassaden im Bankenviertel. Immerhin sind die Müllberge von früher verschwunden, die Fahrbahnen frei von Verkaufsständen. Geht es also wieder aufwärts mit Lagos? Sefi Atta fällt es schwer, eine einfache Antwort zu geben: "Es gibt da diesen Spruch 'Eko o ni baje'. Das heißt 'Lagos wird nie kaputt gehen'. Ich hoffe nur, dass wir es nicht kaputt machen – wir, die Menschen von Lagos."

"Am ersten Tag telefonierten wir miteinander: In was für einem Land lebten wir? Wie sollten wir von zu Hause wegkommen? Am zweiten Tag waren die Kinder begeistert, zwei ganze Tage ohne Schule! Am dritten Tag machten sie ihre Eltern verrückt. Rasch fanden sich Lösungen. Eine Bank schickte einen Bus herum. Jemand kannte einen Angestellten einer Ölgesellschaft mit Benzinreserven; ein anderer Jemand kannte jemanden, der jemand anderen kannte, der Benzin zu Schwarzmarktpreisen verkaufte."

Der Verkehrsinfarkt und der Benzinmangel, der Zustrom von Menschen, der steigende Meeresspiegel, der an den Stränden der Lagunen-Stadt nagt – viel Grund für Optimismus gebe es da nicht, gibt Atta zu bedenken. "Und doch habe ich diesen Optimismus aus irgendeinem Grund. Vielleicht ist es, weil uns keine andere Wahl bleibt, als optimistisch zu sein."


Autor: Thomas Mösch
Redaktion: Ramón García-Ziemsen

Sefi Atta: Sag allen, es wird gut! Peter Hammer Verlag. 376 Seiten. 22,- Euro.