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Gespräche mit Sterbenden

Marlis Schaum16. November 2012

Der Tod gehört zum Leben. In Deutschland aber eher am Rande. Die Mehrheit der Deutschen stirbt nicht mehr zu Hause, eine natürliche Auseinandersetzung mit dem Tod fehlt. Durch ein Projekt soll sich das ändern.

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Ein junger Mensch hält einem Sterbenden die Hand Foto: dpa - Bildfunk
Bild: picture-alliance/dpa

So wäre es eigentlich ideal: Nach einem langen und erfüllten Leben verabschiedet man sich in aller Ruhe von denen, die man liebt und schläft vor ihren Augen friedlich ein.

In der deutschen Statistik-Realität sterben allerdings mehr als 60 Prozent der Menschen nicht zu Hause, so wie noch vor etwa 50 Jahren, sondern im Krankenwagen, im Krankenhaus oder im Pflegeheim: Es ist es schwerer geworden eine Haltung zum Tod zu entwickeln, wenn der Tod weiter weg stattfindet.

Jeder muss sterben. Aber selten spricht man drüber

Christian Schulz hat irgendwann gemerkt, dass das den Menschen nicht gut tut. Der Palliativmediziner hat an der Uniklinik Düsseldorf Patienten erlebt, die am Ende ihres Lebens "in große Verzweiflung gestürzt wurden", wie er sagt. "Wenn ich keine Möglichkeit habe, mich mit dem Phänomen, dass ich endlich bin, in der wahren Begegnung, auseinanderzusetzen, dann fehlt mir ein ganz entscheidender Anteil der Persönlichkeitsbildung".

Initiatoren des Projekts sind Christian Schulz und Martin Schnell Foto: Eva Rudolf
Christian Schulz und Martin Schnell scheinen ein Bedürfnis getroffen zu habenBild: Nicole Kesting

Zusammen mit dem Philosophieprofessor Martin Schnell von der Uni Witten-Herdecke wollte er das ändern. Ende 2011 haben sie ein Projekt ausgeschrieben: "30 junge Menschen sprechen mit Sterbenden und deren Angehörigen". Ein langer Titel für ein langes Projekt: es läuft immer noch. Zehn Schüler, zehn Auszubildende und zehn Studierende nehmen daran teil, alle zwischen 16 und 23 Jahren alt. Bewerbungen gab es allerdings viel mehr. Schulz und Schnell scheinen ein Bedürfnis getroffen zu haben - auch bei denen, die mitmachen, weil sie wissen, dass sie nicht mehr lange leben werden. Ute Schlüter zum Beispiel.

Eine Haltung entwickeln. Egal welche.

Ihr kam der Tod schneller näher, als sie es erwartet hatte: "Von mir aus gesehen war das Sterben immer etwas, das in nächster Zeit überhaupt nicht in meinem Kontext geschehen würde." Sie war 50 Jahre alt, als sie erfuhr, dass sie Krebs hat. Vier Monate später lag sie auf der Palliativstation der Uniklinik Düsseldorf und traf eine Stunde lang auf Moritz. "Er kam mir vor wie mein eigener Sohn. Er konnte alles fragen. Es war ein offenes, lebendiges und interessantes Gespräch, bei dem nicht immer alles wichtig oder von Bedeutung sein musste."

Bild mit den 30 Teilnehmern
30 junge Menschen sprechen mit sterbenden MenschenBild: Michael Schäfer, Mischko Photography Cologne

Ihre Begegnung, wurde auf Video dokumentiert und wird Teil eines Films sein, der bis Ende des Jahres entsteht. "Es geht nur darum, dass der einzelne Mensch eine Haltung entwickelt“, sagt Christian Schulz. Diese Haltung könne auch sein, dass man sich nicht mit dem Tod befassen wolle. "Wir wollen niemanden erziehen, aber wir wollen etwas wieder ins Bewusstsein holen, was gesellschaftlich verdrängt wird."

Suche nach Sinn. Und plaudern über alles.

Die Teilnehmer machen sich das nicht gerade leicht. "Diese jungen Menschen sind schon in der Vorbereitung in einer Tiefe und Vielfältigkeit auf das Thema eingegangen, die mich verblüfft hat", sagt Schulz. Nora zum Beispiel. Sie ist 17, wohnt in Essen, geht noch zur Schule. Sie traf im Projekt auf eine Frau Ende 40, die unheilbar an Krebs erkrankt war. "Sie musste sehr viel Cortison nehmen, wirkte viel älter als sie eigentlich war, saß in einem Sessel, konnte sich nicht mehr bewegen und ich war mir sehr unsicher. Sie hat mir aber sofort das 'Du' angeboten."

Dann hätten sie sich über alles und nichts unterhalten, sagt Nora. Darüber wie das Leben sei, wenn man nicht mehr lange zu leben hat. "Wir haben viel zusammen geweint, aber auch gelacht. Ein Hauptaspekt war eigentlich, dass sie mir vermittelt hat: du lebst nur einmal, mach was draus." Leicht sei diese Begegnung nicht gewesen.

Bewusst machen. Und bewusster leben?

Sie könne seitdem zwar besser akzeptieren, dass der Tod zum Leben dazu gehöre, "aber ich habe schon noch eine gewisse Angst davor. Davor mein eigenes Ich, mein Individuumsgefühl zu verlieren. Vielleicht braucht man diese Angst aber in einer gewissen Weise, um sich vor Augen zu führen, dass das Leben endlich ist und dass man daraus was machen sollte."

30 junge Menschen sprechen mit sterbenden Menschen und ihren Angehörigen Ab Mai 2012 starten wir ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Diskursprojekt zu ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen in den modernen Lebenswissenschaften, dass bis Ende Februar 2013 stattfinden wird. ***Bild darf nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung zum Projekt Gespräche mit Sterbenden verwendet werden***
Flur der Palliativstation Uniklinik DüsseldorfBild: Andy Schütz

Jan sieht das anders: "Es wäre zu leicht zu sagen: durch unser Projekt lebt man aktiver. Das ist zu pauschal. Man kann es versuchen." Jan ist 20 Jahre alt, Auszubildender im Rettungsdienst, und hatte große Erwartungen vor der Begegnung mit seinem Gesprächspartner, einem 60 Jahre alten Mann, der auf ihn so fit wirkte, dass Jan kaum glauben konnte, dass er so krank war.

Anstrengend. Aber etwas nimmt man immer mit.

Ein Mann, der ihm von seinem Leben als erfolgreicher Geschäftsmann erzählt hat, der aber nicht über die eigene Endlichkeit reden wollte. Jan hatte sich etwas anderes erhofft. "Trotzdem bin ich inzwischen froh, dass ich ihn getroffen habe. Ich habe gelernt den anderen Umgang mit dem Tod zu respektieren, auch dass man das Thema verdrängen darf."

Ute Schlüter hat das nicht getan. Verdrängt. Sie habe sich gerne an dem Projekt beteiligt, sagte sie, weil die Fragen, die Schüler Moritz ihr gestellt habe, auch die Fragen gewesen seien, mit denen sie sich seit der Erkrankung beschäftigt hätte. Es sei ihrer Meinung nach besser, sich rechtzeitig mit dem Sterben auseinander zu setzen. "Niemand kann einem die Lebenslänge definieren, aber es ist jederzeit möglich daraus weg zu brechen."